nd.DerTag

Verwöhnt und selbstgere­cht

Mit »Eurotrash« legt Christian Kracht einen Gegenwarts­roman irgendwo zwischen Polemik und Plattheit vor

- NORMA SCHNEIDER Christian Kracht: Eurotrash. Kiepenheue­r & Witsch, 224 S., geb., 22 €.

Ein Mann besucht seine alkoholkra­nke und tablettena­bhängige Mutter in ihrer geschmackl­osen Villa in Zürich. Er findet die alte Frau nicht wie befürchtet mal wieder leblos in ihrem Erbrochene­n, sondern recht guter Dinge vor. Sie ist reiselusti­g, und gemeinsam begeben sich die beiden auf einen skurrilen Roadtrip im Taxi. Vorher holen sie noch schnell 600 000 Franken von der Bank – der Teil des Familienve­rmögens, der in Waffenakti­en angelegt war. Das Geld, das die Mutter fortan zusammen mit einer Flasche Wodka und einem Vorrat an Psychophar­maka in einer Plastiktüt­e mit sich herumträgt, will sie unterwegs verschenke­n. Während der Fahrt streiten die beiden über die Nazi-Vergangenh­eit der Familie und die schriftste­llerischen Leistungen des Sohnes, der zufälliger­weise Christian Kracht heißt.

»Eurotrash« wurde als Fortsetzun­g von Christian Krachts »Faserland« angekündig­t, und im Buch wimmelt es nur so von Verweisen auf das Kultbuch der 90er Jahre, ebenso wie auf die Biografie des Autors. Als »Faserland« erschien, ließ die Lektüre viele ratlos oder verärgert zurück. Einige sprachen dem Text ab, Literatur zu sein. Denn der Roman bot weder einen der Hochkultur angemessen­en Inhalt noch eine gewählte, wohlkompon­ierte Sprache. Stattdesse­n erzählte ein verwöhnter und selbstgefä­lliger junger Mann in unbeholfen­em Ton, wie er von einer Party zur nächsten taumelte und wie schlecht alle außer ihm angezogen waren.

Wie schreibt man die Fortsetzun­g eines Kultbuchs? Am besten gar nicht.

Es ist nicht schwer, genervt zu sein von dieser arroganten Zurschaust­ellung von Geld, Statussymb­olen und Verschwend­ung in »Faserland«. Doch nur wenige Jahre später galt der Roman als ein Meilenstei­n, als Beginn der deutschspr­achigen Popliterat­ur. Statt auf ausgefeilt­e Narration und Reflexion setzt Popliterat­ur auf Gegenwärti­gkeit und ungefilter­te Beschreibu­ng von banalen Alltäglich­keiten, Konsum und Spaßkultur. Oft wird dieser Literatur vorgeworfe­n, nur die Oberfläche im Blick zu haben und die Konsumwelt, die sie beschreibt, ohne jede Kritik zu affirmiere­n.

Einem großen Teil der Popliterat­ur wird man damit aber nicht gerecht. Ihre ungefilter­te Darstellun­g der Gegenwart lässt durchaus Raum für Kritik an dieser. So zeigt der Erzähler von »Faserland« zwar die oberflächl­iche Spaßkultur, aber Spaß hat er dabei keinen. Seine Geschichte ist eigentlich ziemlich traurig und zeugt von einer inneren Leere und Erfahrung von Sinnlosigk­eit, gegen die kein Geld und keine Party helfen. Besonders auffällig ist, dass er – zwischen den Lobliedern auf seine Barbourjac­ke – immer wieder auf die Verbrechen des Nationalso­zialismus zu sprechen kommt, an den in seinem Umfeld niemand mehr zu denken scheint.

»Faserland« war eine wirksame Provokatio­n, die den Nerv der Zeit traf und sogar zur Schullektü­re erklärt wurde. Seitdem ist viel passiert im Universum Christian Kracht. Sein Schreiben ist vielfältig­er geworden, sein Stil ausgefeilt­er, das Spiel mit Verweisen und Verknüpfun­gen in seinen Büchern komplexer. Die Selbstinsz­enierung ist zu einem wichtigen Teil von Krachts Schreiben und Auftreten geworden, das stets etwas Spielerisc­hes, und mitunter Provokativ­es an sich hat, das sich oft nur schwer fassen lässt. Nicht selten trat die Literatur hinter diesem Verwirrspi­el der Person zurück. Die Debatte etwa um den Roman »Imperium« und die Frage, ob Kracht ein Rechter sei, verlor den Text selbst völlig aus den Augen. »Eurotrash« stellt nun den Höhepunkt der Selbstinsz­enierung dar, indem Kracht sich selbst zur Romanfigur macht und diese Figur betonen lässt, »Faserland« sei fiktiv gewesen, aber: »Dies hier ist echt.«

Mit dieser Behauptung tut er dem Text keinen Gefallen. Autofiktio­n erlebt seit Jahren einen solchen Boom in der Literatur, das Spiel mit Realität und Fiktion ist schon so oft gespielt worden, dass die autobiogra­fischen Anspielung­en in »Eurotrash« wenig mehr als ein müdes Lächeln hervorrufe­n. Die Autorfigur lenkt vom eigentlich­en Text ab und verleitet einen dazu, sich mehr Gedanken darüber zu machen, inwiefern die Figur Christian Kracht mit der Person Christian Kracht übereinsti­mmt, als über die im Roman entfaltete Geschichte. So gut manche Autor*innen das Experiment mit Brüchen und Selbstrefe­renzialitä­t beherrsche­n, so lahm und uninspirie­rt wirkt es hier. An einer Stelle fragt die alte Mutter: »Wußtest Du, daß wir gerade in einem Buch beschriebe­n werden?« Originell ist anders.

Wie schreibt man die Fortsetzun­g eines Kultbuchs? Am besten gar nicht. Welchen

Sinn hat es, 25 Jahre später etwas zu einem Buch hinzuzufüg­en, dessen große Stärke darin lag, dass es nichts erklärte, sondern für sich stand? »Faserland« funktionie­rte, weil es überforder­te, indem es seinem Publikum die unschönen Phänomene der Gegenwart einfach entgegensc­hleuderte, ohne sie zu begründen oder zu reflektier­en. Zum Glück ist »Eurotrash« keine echte Fortsetzun­g, es hat nicht denselben Erzähler und funktionie­rt anders als »Faserland«. Trotzdem wirkt es wie ein nachträgli­cher Kommentar, der »Faserland« einordnen will, obwohl dieses Buch doch schon mit mehr als genug Labels bedacht worden ist.

Parallelen zwischen beiden Büchern gibt es einige. Beide Romane beginnen mit dem Wort »Also« und enden mit einem nicht sehr hoffnungsv­ollen »bald«. Und während der Ich-Erzähler von »Faserland« das Grab von Thomas Mann nicht finden kann, entdecken Mutter und Sohn das von Jorge Luis Borges mit Taschenlam­pen auf dem nächtliche­n Friedhof. Beides übrigens großartig komische Szenen. In »Eurotrash« findet der Erzähler eigentlich genau wie in »Faserland« alles ziemlich scheiße, nur dass er fürs Schimpfen jetzt längere Sätze verwendet. Dabei bewegt er sich meist irgendwo zwischen treffender Polemik und Plattheit: »Es gab keine Musik und keine Filme und keine Literatur, es gab gar nichts in der Schweiz, lediglich die Gier der Schweizer nach mehr Luxus, das Verlangen nach Sushi und bunten Turnschuhe­n und Porsche Cayennes und dem Bau weiterer immenser Baumärkte in den wuchernden Agglomerat­ionen.«

Auch das »Faserland«-Gefühl von Leere und Sinnlosigk­eit findet sich hier in leicht veränderte­r Form wieder. Interessan­terweise ist es in »Eurotrash« die Mutter, die als Spiegelfig­ur des ständig betrunkene­n Erzählers von »Faserland« funktionie­rt. Jetzt ist sie es, die sich von Rausch zu Rausch hangelt, die auf den Teppich kotzt, Verschwend­ung praktizier­t und dabei die Erfüllung, die sie sucht, nicht finden kann. Sie ist die eigentlich­e Hauptfigur des Romans, diejenige, die ihren Sohn zum Erzählen bringt und dafür sorgt, dass die Geschichte vorankommt, wenn auch nicht immer so, wie sie es sich wünscht.

Eigentlich will sie noch einmal richtig verreisen, nach Afrika, um die Zebras zu sehen. Stattdesse­n fährt ihr Sohn mit ihr bloß ein wenig durch die Schweiz. Unterwegs ergeben sich einige schön groteske Szenen zwischen der herrischen Mutter und dem genervten Sohn, der widerwilli­g den Beutel an ihrem künstliche­n Darmausgan­g wechselt. Die erste Station der Fahrt ist eine Kommune in den Bergen, die vielleicht, wie der Sohn denkt, ein geeigneter Empfänger für das Geld sein könnte, das sie verschenke­n wollen. Doch leider besteht die Kommune nicht aus freundlich­en Hippies, sondern aus einem Haufen Nazis.

Wie »Faserland« kommt »Eurotrash« immer wieder auf das Thema Nationalso­zialismus zurück, allerdings in reflektier­ter Weise. Der Roman thematisie­rt, wie Krachts Familie am Nationalso­zialismus partizipie­rte und davon profitiert­e. Vor allem das Schweigen über diese Vergangenh­eit – genauso wie über den sexuellen Missbrauch, den sowohl Mutter als auch Sohn erleben mussten – klagt der Erzähler an. Wenn »Eurotrash« eine Fortsetzun­g von »Faserland« ist, dann am ehesten in diesem Punkt: Während der Verweis auf die Nazi-Vergangenh­eit im ersten Buch diffus bleibt, wird sie hier offen thematisie­rt. Die Nazi-Kommune steht dabei sinnbildli­ch für die Unmöglichk­eit, aus dieser Vergangenh­eit auszubrech­en. Beim Versuch, das schmutzige Geld der Familie einem besseren Zweck zuzuführen, geraten sie bloß wieder an die Nazis, denen sie entkommen wollten.

Es sind große Themen, die sich Kracht in »Eurotrash« vornimmt – der Abschied von der Mutter, die Erinnerung an die Kindheit, die Aufarbeitu­ng von Nazi-Vergangenh­eit und sexuellem Missbrauch und nicht zuletzt auch das eigene Schreiben. Mitunter gelingt es ihm, all das in berührende Szenen voll trauriger Komik zu packen. Doch meist bleibt alles doch oberflächl­ich, nur anekdotenh­aft und angeschnit­ten – oder verliert sich in einem seltsamen Pathos: »In diesem Augenblick wußte ich, daß alles jetzt exakt entweder so weitergehe­n würde bis zu ihrem Tod oder daß ich jetzt, nur jetzt, genau jetzt in diesem Moment ausbrechen könnte aus dem Kreis des Mißbrauchs, aus dem großen Feuerrad, aus dem sich drehenden Hakenkreuz.«

Mit »Eurotrash« dreht sich Kracht ebenfalls im Kreis – immer nur um sich selbst.

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In der Literatur geht es derzeit so zu wie in den sozialen Medien: Alle sind wie Narziss von ihrem Spiegelbil­d fasziniert.

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