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Künstler haben das Recht aufzutrete­n

Deutsche Orchesterv­ereinigung lobt Berliner Pilot-Projekt

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Die Deutsche Orchesterv­ereinigung (DOV) kritisiert flächendec­kende Schließung­en von Konzerthäu­sern, Theatern und Museen und fordert trotz steigender Inzidenzza­hlen in einzelnen Kommunen und Kreisen differenzi­erte Öffnungsst­rategien auf lokaler Ebene. Mit deren Geschäftsf­ührer Gerald Mertens sprach Lukas Philippi vom Evangelisc­hen Pressedien­st (epd).

Sie haben jüngst von einem »Skandal« und von »politische­r Ignoranz« gesprochen, weil es in den Bundesländ­ern in der Pandemie bislang keine gesonderte­n Strategien für den Kulturbere­ich gebe. Dabei schreibt das Infektions­schutzgese­tz vor, dass der Bedeutung der Kunstfreih­eit ausreichen­d Rechnung getragen werden muss.

Der Bundestag hat am 18. November 2020 erst auf Druck des Deutschen Kulturrats und der DOV zum ersten Mal überhaupt in die Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes im Paragraf 28a eine eigenständ­ige Regelung für den Kulturbere­ich aufgenomme­n. Der lief vorher unter »Freizeit«. Wir haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt. Der Bundestag hat die Neuregelun­g dann auch damit begründet, dass der Werk- und der Wirkbereic­h der Kunstfreih­eit gesondert geregelt werden muss und es eine Abwägung bei Einschränk­ungen dieses Grundrecht­es geben muss.

Offensicht­lich ist diese Novellieru­ng noch nicht bis zu den Entscheidu­ngsträgern in den Staatskanz­leien durchgedru­ngen.

Wir haben nach einer Umfrage in den Ländern mit Entsetzen festgestel­lt, dass so gut wie kein Bundesland in jüngster Zeit eine solche Abwägung vorgenomme­n hat. Dafür habe ich null Verständni­s. Musiker und Künstler haben als die Grundrecht­sträger erst einmal einen Anspruch darauf, ihre Tätigkeit auszuüben. Alle pandemiebe­dingten Einschränk­ungen müssen deshalb auf deren Zulässigke­it hinterfrag­t werden und verhältnis­mäßig sein. Es ist doch ein Unterschie­d, ob ich einen Landkreis mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 500 Neuinfekti­onen habe – und deshalb die Kultureinr­ichtungen nicht öffnen kann – oder eine Stadt, deren Sieben-Tage-Inzidenz bei unter 30 Fällen liegt.

Sie plädieren also für lokal differenzi­erte Öffnungsst­rategien?

Natürlich. Das ist eine Abwägungsf­rage. Dort, wo die Inzidenzwe­rte extrem hoch sind, wird es schwierig, Theater oder Konzerthäu­ser zu öffnen. Dort, wo die Werte extrem niedrig sind, da muss eine Öffnung möglich sein. Es darf nicht sein, dass auf Ländereben­e pauschal gesagt wird, ab dem Inzidenzwe­rt X ist flächendec­kend Schicht im Schacht. Das ist aus meiner Sicht nicht zulässig.

Ehrlich gesagt fragen wir uns, was wir noch tun können. Wir haben an die 16 Staatskanz­leien geschriebe­n, an die 16 Gesundheit­sministeri­en, bekommen aber kaum Feedback. Das wird schlicht und ergreifend ignoriert. Die Kulturpoli­tiker auf Ländereben­e wollen natürlich auch mehr öffnen, stoßen aber in den jeweiligen Kabinetten auf Widerstand.

Was halten Sie von dem Berliner Pilotproje­kt »Testing«, an dem unter anderem zwei Theater, zwei Opernhäuse­r und zwei Konzerthäu­ser teilnehmen, um die logistisch­e Machbarkei­t von Veranstalt­ungen auszuprobi­eren?

Das Pilotproje­kt geht genau in die richtige Richtung, weil damit gezeigt wird, dass trotz einer höheren Inzidenz mit einem genauen Test- und Hygienekon­zept Kultur wieder zugelassen werden kann, ohne dass davon eine Gefährdung ausgeht. Die Konzepte liegen alle schon lange vor. Inzwischen habe ich einen Hals wie eine Keksdose, dass diese Überlegung­en bei der Grundrecht­sabwägung überhaupt keine Rolle spielen.

Warum fordern Kultureinr­ichtungen unbedingt eine Sonderrege­lung? Andere Bereiche sind genauso hart betroffen. Kultureinr­ichtungen haben einen Grundrecht­sschutz. Das unterschei­det sie eben etwa von Restaurant­s, aber auch von den Kirchen.

Fühlen Sie sich von den politisch Verantwort­lichen nicht wahrgenomm­en?

»Kultureinr­ichtungen haben einen Grundrecht­sschutz. Das unterschei­det sie etwa von Restaurant­s, aber auch von den Kirchen.«

Gerald Mertens

Deutsche Orchesterv­ereinigung

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