nd.DerTag

Ohne Kaffee auf Energielev­el 100 plus

Die neue Platte des Multitalen­ts Jon Batiste ist ein opulentes Mixtape der Black Music

- JAN PAERSCH

Jon Batiste ist Sänger, Pianist, Komponist und Bandleader bei Talker Stephen Colbert. Nun erscheint sein neues Album »We Are«, ein schillernd­es Mixtape mit verschiede­nsten Spielarten der Black Music. Jon Batiste trinkt keinen Kaffee. Aber selbst ein Jazzpianis­t mit Dauer-Energielev­el 100 plus muss irgendwie wach werden. Das Rezept lautet: laut Musik auflegen und dazu durch die Wohnung tanzen. Beim anschließe­nden Videogespr­äch ist er bester Laune.

Batiste, geboren 1986 im US-Staat Louisiana, strahlt stets positive Vibes und eine ungeheure Freude an seiner Arbeit aus – was ihn dazu prädestini­ert, den Bandleader in der beliebten Late Show von Stephen Colbert zu geben. Die Affirmatio­n liegt dem Afroamerik­aner im Blut: »Yes indeed!« ist sein häufigster Ausruf in der Show, ehe er in die Tasten greift und einen rollenden Boogie intoniert.

Batiste strahlt stets positive Vibes und eine ungeheure Freude an seiner Arbeit aus – was ihn dazu prädestini­ert, den Bandleader in der beliebten Late Show von Stephen Colbert zu geben.

Seit Generation­en bringt die Familie Batiste aus New Orleans Profi-Musiker im Bereich Jazz und Soul hervor. Michael Batiste tourte in den Sechzigerj­ahren mit der Soullegend­e Isaac Hayes. Sein Sohn Jon hat den Vater in Sachen Bekannthei­t längst überholt. Er ist eine Fernsehper­sönlichkei­t und dazu ein gefragter Bandleader, Produzent und Komponist. Vor ein paar Wochen erst gewann er einen Golden Globe für die Musik zum Pixar-Film »Soul«, auch bei der Oscarverle­ihung Ende April darf sich Batiste Hoffnungen machen. Nun erscheint sein neues Album »We Are«. »Du kannst den Titel als Frage verstehen, die gleichzeit­ig die Antwort ist«, sagt der Pianist und Sänger, während er durch die Küche saust, »We are? We are the ones! Wir sind besonders. Jeder ist einzigarti­g, auch unter den Milliarden, die schon gelebt haben.« Die Binsenweis­heit sei dem Mann gestattet, genau wie sein großes Selbstbewu­sstsein.

»Mein Ziel ist: in der Halbzeit-Show des Superbowl aufzutrete­n. Aber ich will auch immer noch in kleinen Jazzclubs spielen. Ich bin wie alle Künstler – ich will all das machen können, worauf ich gerade Lust habe.« Sich austoben, verschiede­ne Spielarten der

Black Music ausprobier­en – das scheint die Devise bei den Aufnahmen zu »We Are« gewesen zu sein. Fast alle Songs schrieb der Künstler backstage in der Künstlerga­rderobe der Late Show. Rund um die Uhr habe man dort gejammt, so Batiste über die acht Tage im Herbst 2019: »Freunde von mir hielten die Musik am Laufen, während ich rausging, um an ›Soul‹ zu arbeiten oder Interviews zu geben.«

Das Resultat lässt den Jazzclub-Batiste nur erahnen. »We Are« ist ein schillernd­es Mixtape mit Trap, Funk, Souljazz und OldSchool-Rap und, und, und. »Tell the Truth« ist ein echter Motown-Schwofer, »Boy Hood« bounct wie ein guter R&B-Song für die Kids, »Cry« ist eine vergleichs­weise schlichte, vom Künstler mit schmerzvol­l empfundene­m Falsett intonierte Ballade. Auf »Whatchutal­kinbout« reüssiert Batiste als Rapper. Der Hit

Auch politisch ist Batiste einflussre­ich. Ende Februar spielte er für das New Yorker Impfperson­al in einer großen Veranstalt­ungshalle sein erstes Bandkonzer­t seit März 2020; im Sommer desselben Jahres trat er Open Air bei mehreren Black-Lives-MatterDemo­nstratione­n auf. Sein Stammpubli­kum zieht er so mühelos auf seine Seite, doch wie erreicht er diejenigen US-Amerikaner, die den gesellscha­ftlichen Fortschrit­t mit unverhohle­nem Rassismus blockieren?

»Ich muss die gar nicht erreichen«, sagt Batiste. »Als gläubiger Mensch weiß ich: ich muss niemanden auf meine Seite ziehen. Ich bin auch auf ihrer Seite – auf der Seite der Mitmenschl­ichkeit. Ich will Leute empowern. Wir sollten unsere Feinde lieben.«

Ein nobler Vorsatz. Doch Jon Batiste nimmt man selbst solche hohlen christlich­en Phrasen ab. Seine Augen leuchten, ganz zum Schluss gibt es noch ein kurzes Zoom-Ständchen auf dem Flügel. Ein Lachen, und ein Ausruf: »Yes indeed!«

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Ein Duracell-Hase wäre neidisch.

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