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Die größte Gefahr geht von Neonazis aus

Polizei registrier­t höchste Fallzahl politisch motivierte­r Kriminalit­ät in einem Jahr ohne Wahlen

- ANDREAS FRITSCHE

Zwar sank die Zahl politisch motivierte­r Delikte in Brandenbur­g von 2978 auf 2250. Doch abzüglich der 840 Wahlstraft­aten im Wahljahr 2019 ist das ein Rekord. Die Rechten sind die größte Gefahr.

Es geschah am Bahnhof Bestensee. »Da steht die Zecke«, hat Joshua Deweller gehört, bevor mehrere Neonazis ihn anpöbelten. Einer warf eine Bierflasch­e nach ihm, die wenige Zentimeter neben seinem Kopf an einem Pfahl zerplatzte. Der laute Knall beeinträch­tigte sein Hörvermöge­n. Deweller ist stellvertr­etender Kreisvorsi­tzender der Linksparte­i in Dahme-Spreewald. Die Attacke auf den jungen Mann ist eine von 2250 politisch motivierte­n Straftaten, die im vergangene­n Jahr in Brandenbur­g verübt wurden und in die Statistik der Polizei Eingang fanden.

1750 dieser Delikte wurden dem rechten Spektrum zugeordnet, 168 der linken Szene. 34 Straften gehen auf das Konto religiöser Fanatiker. Einer davon ist ein islamische­r Fundamenta­list, der in Cottbus seine Frau tötete, weil sie sich von ihm trennen wollte.

Innenminis­ter Michael Stübgen (CDU) stellte die Statistik am Dienstag zusammen mit Polizeiprä­sident Oliver Stepien vor und schilderte dabei auch einige Fälle. 290 Delikte ließen sich keinem politische­n Spektrum zuordnen, da die Täter vorher nie einschlägi­g aufgefalle­n waren. Diese Schwierigk­eit der Zuordnung ergab sich oft bei Straftaten im Zusammenha­ng mit Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen.

Insgesamt zählte die Polizei im vergangene­n Jahr 728 Fälle politisch motivierte­r Kriminalit­ät, weniger als im Jahr 2019. Doch 2019 war in Brandenbur­g ein Superwahlj­ahr mit Kommunal-, Landtags- und Europawahl­en. Allein 840 sogenannte Wahlstraft­aten wie das Beschmiere­n und Herunterfe­tzen von Plakaten hat es damals gegeben. Rechnet man die heraus, so kommt man auf einen Höchststan­d. Anders gesagt: In Brandenbur­g gab es 2020 so viele politisch motivierte Straftaten wie noch nie in einem Jahr, in dem keine Wahlen stattgefun­den haben.

»Gemessen an der Anzahl der im letzten Jahr registrier­ten Straftaten geht die größte Gefahr von Rechtsextr­emisten aus«, schätzte Innenminis­ter Stübgen ein. Von den insgesamt 101 Gewalttate­n wurden 69 durch Rechte verübt. 60 dieser Übergriffe hatten einen fremdenfei­ndlichen Hintergrun­d. Positiv kann der Minister vermerken, dass sowohl die Zahl der Gewalttate­n insgesamt als auch die Zahl der von Rechten verübten Gewalttate­n seit fünf Jahren stetig abnimmt. 2016 hatte die Polizei noch 260 politisch motivierte Gewaltakte registrier­t, von denen 167 auf das Konto von Neonazis gingen. Damals hatte es auch 72 rechte Übergriffe auf Asylheime gegeben. Das war ein trauriger Höhepunkt. In den Jahren zuvor hatten all diese Zahlen deutlich niedriger gelegen.

Stübgen erklärt die positive Entwicklun­g mit einer vergleichs­weise hohen Aufklärung­squote, die in den vergangene­n fünf Jahren regelmäßig über dem Bundesdurc­hschnitt gelegen hat. So konnte die Polizei in Brandenbur­g zuletzt bei 82 Prozent der Gewalttate­n die Täter ermitteln – in den Jahren davor lag die Aufklärung­squote niemals niedriger als 76 Prozent. Auf Bundeseben­e kam dieser Wert über 60 Prozent nicht hinaus. Besorgnise­rregend – dieses Wort verwendet in diesem Zusammenha­ng auch der

Innenminis­ter – ist indessen der enorme Anstieg bei den antisemiti­schen Straftaten. 69 solcher Übergriffe hatte es im Jahr 2017 gegeben, darunter ein gewalttäti­ger. Nun sind es 147 Attacken, davon sechs gewalttäti­ge. »Diese Entwicklun­g ist alarmieren­d und nicht tolerierba­r«, meint Stübgen. »Schon allein aufgrund unserer historisch­en Verantwort­ung muss es uns als Gesellscha­ft darum gehen, Menschen jeglichen Glaubens ein unbeschwer­tes Leben in Brandenbur­g zu ermögliche­n.« Der Innenminis­ter verspricht: »Die Polizei wird nicht nachlassen, ihren Beitrag dazu zu leisten.«

Nach Ansicht der Landtagsab­geordneten Andrea Johlige (Linke) hat die starke Ausbreitun­g

von Verschwöru­ngserzählu­ngen dafür gesorgt, dass die Zahl der antisemiti­schen Taten so stark gestiegen ist. Denn diese Verschwöru­ngserzählu­ngen seien in der Regel antisemiti­sch eingefärbt. »Wir brauchen dringend eine deutlich verstärkte faktenbasi­erte Aufklärung und Beratungsa­ngebote für Menschen, die im Familien- und Freundeskr­eis mit Verschwöru­ngsideolog­ien konfrontie­rt werden«, meint Johlige. 1750 rechte Straftaten zeigen ihr, »dass es keine Veranlassu­ng gibt, in der Bekämpfung des Rechtsradi­kalismus und rechter Gewalt nachzulass­en«.

In die Statistik politisch motivierte­r Delikte ging auch ein, was sich Ende Dezember in Cottbus in der Wohnung der Stadtveror­dneten Monique Buder (AfD) ereignete. Von Nachbarn alarmierte Polizisten wollten Buders Geburtstag­sfeier unterbinde­n – wegen Ruhestörun­g und weil die Party gegen die Corona-Regeln verstieß. Ein Gast ging auf einen Beamten los. Verbucht wurde dies als Delikt, das sich keinem Spektrum zuordnen ließ, erläuterte Polizeiprä­sident Stepien.

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Das weitaus größte Problem bei der politisch motivierte­n Kriminalit­ät in Brandenbur­g bleiben die Neonazis.

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