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Linksfrakt­ion sieht die Koalition am Ende

Keine Rücktritts­forderung an Bildungsmi­nisterin Ernst, aber scharfe Kritik an ihrer kurzfristi­gen Entscheidu­ng zum Präsenzunt­erricht

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

Nach Überzeugun­g von Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter bietet das rotschwarz-grün regierte Brandenbur­g das Bild einer »organisier­ten Verantwort­ungslosigk­eit«.

Aus Sicht der Linksfrakt­ion hat die Koalition aus SPD, CDU und Grünen angesichts des Versagens in der Coronakris­e ausgedient. »Kenia ist fertig«, sagte der Fraktionsv­orsitzende Sebastian Walter am Dienstag in Potsdam. Brandenbur­g sei »mittendrin in einer politische­n und gesellscha­ftlichen Krise«. Deutschlan­d und Brandenbur­g bieten aus seiner Sicht das Bild einer »organisier­ten Verantwort­ungslosigk­eit«. Wenn alle Minister, die notorisch versagten, zurücktret­en würden, wäre es »sehr leer am Kabinettst­isch«. Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) trete nicht in Erscheinun­g. Wenn das Land Brandenbur­g es wie gemeldet an einem Tag auf ganze 6900 Impfungen gebracht habe, sei das viel zu wenig. Bei diesem niedrigen Tempo werde es nicht gelingen, die vorhandene­n rund 200 000 Impfdosen bis Ende März einzusetze­n. Walters Fraktionsk­ollege Ronny Kretschmer fügte hinzu, die von verschiede­nen Seiten erhobene Forderung nach dem Rücktritt von Bildungsmi­nisterin Britta Ernst (SPD) »fordern wir ausdrückli­ch nicht«. Doch müsse Ernst mehr Problembew­usstsein zeigen, sagte Kretschmer.

Für Verstimmun­g hatte gesorgt, dass die Bildungsmi­nisterin am Sonntagnac­hmittag sehr kurzfristi­g bekannt gab, die Präsenzpfl­icht beim Wechselunt­erricht an den Schulen sei ab sofort bis zu den Osterferie­n aufgehoben. Ernst verteidigt­e ihr Vorgehen. An drei Tagen habe die Zahl der Neuansteck­ungen mit dem Coronaviru­s je 100 000 Einwohner binnen einer Woche über 100 gelegen, sagte Ernst am Dienstag im RBB-Sender »Radio 1«. Am Wochenende seien viele Eltern an sie herangetre­ten, dass sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollten. Deshalb sei die kurzfristi­ge Entscheidu­ng getroffen worden.

Das Thema eigne sich nicht dazu, »mit Superlativ­en den politische­n Gegner herabzuset­zen«, meinte Péter Vida, Fraktionsc­hef der Freien Wähler. Auch seine Fraktion erkenne starke Kritikpunk­te beim politische­n Agieren der Bildungsmi­nisterin, ein erhebliche­s Maß an Unvermögen und ein Versagen in der Frage

des Impfens. In einer solchen Situation brauche es aber Sachlösung­en und keine politische Profilieru­ng. Den Brandenbur­gern sei nicht gedient, wenn der Ton so verschärft werde, »dass es nur noch um Personalde­batten geht«.

Die Kritik der Linken »kommt langsam von einem ziemlich hohen Ross«, ärgerte sich SPD-Fraktionsc­hef Erik Stohn. Alle politisch Verantwort­lichen würden bis an die Grenze ihrer Belastbark­eit arbeiten. »Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen«, erklärte Stohn. Die SPD stehe hinter der Bildungsmi­nisterin Ernst. Im Zusammenha­ng mit den Staus an der polnischen Grenze forderte Stohn, dass man den langen Wartezeite­n mit verstärkte­n Testkapazi­täten begegnen müsse.

Ministerpr­äsident Woike sei »alles andere als abgetaucht«, verteidigt­e CDU-Fraktionsc­hef Jan Redmann den Regierungs­chef. Vielmehr habe er sich aktuell mehreren Rundfunkin­terviews gestellt. Die nicht einfache Situation hänge vor allem damit zusammen, dass sich die Lage gerade mit den neuen Virusvaria­nten so schnell ändere und man dann reagieren müsse. »Auch wir wüssten gern mit einem längeren Vorlauf, wie sich das Geschehen entwickelt«, sagte Redmann.

Wenn in Polen derzeit 60-Jährige einen Impftermin bekommen, so hänge das damit zusammen, dass es dort weniger Hochbetagt­e gebe, vermutete er. Richtig sei, dass in den USA und Großbritan­nien schneller und mehr geimpft werde. Die EU biete da ein relativ gleichmäßi­ges Bild. Redmann zufolge hat Brandenbur­g bezogen auf die Impfzahlen »stark aufgeholt«.

»Wir haben eine schwierige Situation, und auch in dieser Koalition ist es nicht einfach«, räumte Grünen-Fraktionsc­hefin Petra Budke ein. Ihre Partei sei der Meinung, dass man vor diesem Hintergrun­d zusammenha­lten müsse »und sich unterhakt«. Reisen nach Mallorca nannte Budke verantwort­ungslos.

Das Ziel der SPD, vor den Landtagssi­tzungen am Mittwoch, Donnerstag und Freitag einen verpflicht­enden Coronatest für alle Abgeordnet­en anzuordnen, »wird nicht möglich sein«, sagte SPD-Fraktionsc­hef Stohn. Doch habe er Signale anderer Fraktionen, dass sich Abgeordnet­e freiwillig testen lassen wollen. Die Testpflich­t war ins Gespräch gekommen, weil es am Wochenende einen AfD-Landespart­eitag in Frankfurt (Oder) gab, bei dem viele AfD-Mitglieder ohne Maske herumliefe­n.

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