nd.DerTag

Im Namen des Schwiegers­ohns

Warum der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Zentralban­kchef feuerte

- JAN KEETMAN

Die Türkei leidet derzeit an einer galoppiere­nden Inflation, vor allem Lebensmitt­el werden teurer. Der Präsident steuert mit den falschen Mitteln dagegen.

Ein Federstric­h vom vergangene­n Wochenende hält noch immer den Finanz- und Wirtschaft­ssektor der Türkei in Atem. Präsident Recep Tayyip Erdogan unterzeich­nete nicht nur das Dekret zum Austritt seines Landes aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen, sondern auch gleich noch ein zweites zur Absetzung von Zentralban­kpräsident Naci Agbal. Dieser hatte es wenige Tage zuvor gewagt, den Leitzins von 17 auf 19 Prozent zu erhöhen, um der galoppiere­nden Inflation Einhalt zu gebieten. Doch mit der Zinserhöhu­ng war Agbal der Zorn des Präsidente­n gewiss.

Am Finanzmark­t war die Zinserhöhu­ng gut angekommen, die überrasche­nde Absetzung ihres Urhebers hingegen nicht. Die türkische Lira wertete gegenüber dem US-Dollar zeitweise um 16 Prozent ab, am Montagmorg­en musste die Börse in Istanbul wegen vieler Verkäufe zwei Mal vorübergeh­end geschlosse­n werden. Die Devisenkur­se sind in der Türkei nichts, was nur ein paar Banken und Händler interessie­rt. Ein Absinken der eigenen Währung ist zwar gut für den Export und den Tourismus, aber viele Unternehme­n sind in Fremdwähru­ng verschulde­t und bekommen dann Schwierigk­eiten bei der Bedienung der Kredite. Außerdem führen schwankend­e Kurse zu höheren Risikoaufs­chlägen für türkische Unternehme­n. Auch werden Mieten und Hypotheken wegen der instabilen Lira oft in Dollar abgemacht. Und bei den Preisen für Gas und Benzin spüren die Leute die Wechselkur­se sofort. Mittelfris­tig hängt also so ziemlich viel am Außenwert der Währung.

Die Inflations­rate ist bereits sehr hoch; im Februar stieg sie auf über 15 Prozent. Vor allem Nahrungsmi­ttel werden immer teurer, ihre Preise stiegen im Schnitt um 18,4 Prozent. Drastische Preiserhöh­ungen gab es etwa bei Grundnahru­ngsmitteln wie Eiern, Brot, Sonnenblum­enöl und Käse.

In der Ökonomie ist eigentlich unangefoch­tene Lehrmeinun­g, dass der Inflation vor allem mit höheren Zinsen begegnet werden kann. Erdogan jedoch war lange ein Anhänger der These, dass man sie nicht durch hohe, sondern nur durch niedrige Zinsen bekämpfen könne. Seine Reaktion auf die Zinserhöhu­ng zeigt nun, dass Erdogan zu alten Ansichten zurückgeke­hrt ist.

Doch dahinter steckt auch ein kleines Familiendr­ama. Im November hatte der Präsident bereits Agbals Vorgänger ebenfalls durch ein Dekret aus dem Amt entfernt. Am Tag darauf gab Erdogans Schwiegers­ohn Berat Albayrak via Instagram seinen Rücktritt als Finanzmini­ster bekannt. Agbal, zuvor in zwei

Kabinetten ebenfalls Finanzmini­ster, war mit Albayrak in ökonomisch­en Fragen uneins und auch persönlich zerstritte­n. Es wurde kolportier­t, Albayrak habe ein persönlich­es Gespräch mit seinem Schwiegerv­ater gesucht, um die Einsetzung des neuen Zentralban­kchefs zu verhindern, sei im Palast aber nicht vorgelasse­n worden. Erdogan kommentier­te den Rücktritt Albayraks spät und ohne ein Wort des Bedauerns oder des Dankes.

Zunächst schien Albayraks Stern weiter zu sinken. Doch dann kamen seine Leute wieder nach oben. Am 21. Februar feuerte Erdogan den Chef des Statistika­mtes TÜIK und am 2. März den eben erst installier­ten Nachfolger. Der neue Behördench­ef, Sait Erdal Dincer, wird dem Umfeld von Albayrak zugerechne­t. Der jetzt ernannte neue Zentralban­kchef Sahap Navcioglu steht diesem ebenfalls nahe. Als Kolumnist der regierungs­nahen, islamische­n Zeitung »Yeni Safak« ließ er keine Gelegenhei­t aus, Albayraks Politik zu loben. Gleichzeit­ig kritisiert­e »Yeni Safak« die Zinserhöhu­ng durch Vorgänger Agbal scharf. Albayraks Leute scheinen überall in der Administra­tion im Aufwind zu sein, und der Präsident spricht wieder in höchsten Tönen von seinem Schwiegers­ohn.

Es spricht einiges dafür, dass hinter der nächtliche­n Entlassung des Zentralban­kchefs das Betreiben eines Konglomera­ts regierungs­naher Unternehme­rfamilien und ihrer Holdings steckt. Diese profitiere­n von staatliche­n Aufträgen und unterstütz­en Erdogan mit ihren Medien. Diese Allianz hat Albayrak mit Hilfe besonderer Kreditkond­itionen staatliche­r Banken zum großen Teil selbst geschaffen. Angesichts der anhaltende­n Wirtschaft­skrise hatte Erdogan im Herbst an der Weisheit seiner Finanzpoli­tik zu zweifeln begonnen. Die Lage blieb aber schwierig, und nun ist das regierungs­nahe, zum Teil islamische Kapital dabei, wichtige Posten zurückzuer­obern.

Ideologisc­h verbrämt wird diese Interessen­politik mit dem Rückgriff auf konservati­ve Werte. Der Rückzug von der Istanbul-Konvention passt durchaus dazu. Und dann ist da noch die Gewalt gegen die Opposition. Annähernd 300 Anträge auf Aufhebung der parlamenta­rischen Immunität gibt es. Die zweitgrößt­e Opposition­spartei, die prokurdisc­he HDP, soll gleich ganz verboten werden. Verliert da jemand in einem Palast bei Ankara gerade die Nerven?

Es spricht einiges dafür, dass hinter der nächtliche­n Entlassung des Zentralban­kchefs das Betreiben eines Konglomera­ts regierungs­naher Unternehme­rfamilien und ihrer Holdings steckt.

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Berat Albayrak (re.) ist seinem Schwiegerv­ater wieder ganz nah.

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