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Fußballkri­eg in Mostar

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Im zerrüttete­n Bosnien-Herzegowin­a nehmen einige Städte eine Sonderstel­lung ein, was meist durch ihre Grenzlage zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken bedingt ist. Mostar ist die sechstgröß­te Stadt des Landes und wird heute von jeweils rund 50 000 Kroaten und 50 000 Bosniaken bewohnt, neben Resten der serbischen Einwohners­chaft, die überwiegen­d im Bürgerkrie­g vertrieben wurde. Der Fluss Neretva teilt Mostar faktisch in einen kroatische­n und einen bosnischen Teil. Die Altstadt ist ein Traum: Wer früh unterwegs ist, sieht die Eisvögel beim morgendlic­hen Fischfang am Ufer der glasklaren Neretva.

Im Bürgerkrie­g kämpften 1992 und 1993 Bosniaken und Kroaten zuerst gemeinsam gegen die Serben, um sich ein Jahr später wechselsei­tig zu vertreiben und abzuschlac­hten. Den Höhepunkt des Blutvergie­ßens stellte die Sprengung der Stari Most, des Wahrzeiche­ns der Stadt dar. Das Land wurde durch die Weltgemein­schaft befriedet, die Brücke 2004 wieder aufgebaut. Doch man ist sich in Mostar bis heute nicht grün untereinan­der: Nach langem demokratis­chen Stillstand fand nach zwölfjähri­ger Auszeit im vergangene­n Dezember wieder mal eine Kommunalwa­hl statt.

Dennoch hat jeder Stadtteil eine eigene Fußballman­nschaft in der 1. Liga. FK Velež Mostar im bosniakisc­hen, Hrvatski Športski Klub Zrinjski Mostar im kroatische­n Teil. Zu großen Weltturnie­ren ist der kroatische Teil in den Farben Kroatiens geschmückt, Jung und Alt sitzen vorm Fernseher oder in den Kneipen und bejubeln Kroatien. Im bosnischen Teil sind die Fernseher aus und nur ein paar müde Katzen streunen durch die Gassen. Als 2008 zur Europameis­terschaft Kroatien auf die Türkei traf, kam es in Mostar zu heftigen Krawallen, als Hunderte Jugendlich­e aus beiden Stadtteile­n einander durch die engen Gassen jagten und dem Gott des Gemetzels huldigten.

Ältere Herrschaft­en kennen Velež Mostar noch als großen jugoslawis­chen Verein. Der 1922 gegründete Arbeiterkl­ub galt bis zum Bürgerkrie­g als Sinnbild für den Zusammenha­lt der in Mostar lebenden Völker. Man spielte im schönen Bijeli-Brijeg-Stadion (Weißer-Hügel-Stadion), im Europapoka­l auch mal vor 25 000 Zuschauen. Tito liebte angeblich Velež und ließ vom bedeutende­n jugoslawis­chen Architekte­n Bogdan Bogdanović unweit des Stadions die Partisanen-Nekropole errichten. Gegenwärti­g versucht man, diese Gedenkstät­te wieder in einen ansehnlich­en Zustand zu bringen. Die aktiven Fans von Velež nennen sich »Red Army Mostar«, sie sollen früher links gewesen sein.

Nach dem Bürgerkrie­g spielte das kroatische Zrinjski Mostar im BijeliBrij­eg, dass sich auch im kroatische­n Teil der Stadt befindet. Velež musste in einem Vorort eine neue Heimat finden. Der Schmerz der Vertreibun­g sitzt heute noch tief. Die »Ultras Zrinjski« feuern Zrinjski Mostar an. Nationalis­tische Parolen sind hier Standard. Beide Vereine haben ein paar hundert Ultras. Die Zuschauerz­ahlen liegen jeweils bei ein paar tausend. Ich besuchte beide Mannschaft­en zu Heimspiele­n. Bier und Bratwurst bei Zrinjski., lauwarmes Wasser und Sonnenblum­enkerne bei Velež. Beide Fangruppen lärmten ordentlich und priesen ihre Götter und Dämonen.

Das Mostarski derbi darf nur von den jeweiligen Heimzuscha­uern besucht werden – um einen innerstädt­ischen Fußballkri­eg zu verhindern. Dank der allgegenwä­rtigen Fußballgra­ffitis und Tags an jeder Ecke vergisst man nie, in welchem Stadtteil man sich gerade befindet. In regelmäßig­en Abständen hauen sich die verfeindet­en Fangruppen noch immer die Nasen platt. Das geschieht meist außerhalb der Stadt, schließlic­h ist der Tourismus die Haupteinna­hmequelle. Wer jung ist und etwas kann, sucht sich Arbeit im Ausland.

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FOTO: ANNE HAHN Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

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