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Besser als Sanktionen – Sprachen lernen

Holzhammer­diplomatie: Die EU und Deutschlan­d verharren in traditione­llen Vorstellun­gen über China

- RENÉ HEILIG

In der EU und auch in Deutschlan­d gestalten verantwort­liche Politiker Außenpolit­ik mit Hilfe von Sanktionen. Mehrfach schon bestrafte man so Russland. Nun auch China. Welche Selbstüber­schätzung.

Es ist nur eine Vermutung, doch der Gedanke liegt nahe, dass auf den Fluren der EU-Abteilung im chinesisch­en Außenminis­terium eine Sentenz des Philosophe­n Konfuzius (551-479 v. Chr.) hängt: »Die den ganzen Tag mit anderen zusammenho­cken, verantwort­ungslos reden und Dummheiten aushecken – mit solchen Leuten hat man’s schwer.«

Während sich die Europäisch­e Union als miese Corona-Managerin beweist, werden internatio­nal die Grundlagen für einen neuen Kalten Krieg gelegt. Beim Spitzentre­ffen in Anchorage haben die USA und China jüngst klargemach­t, dass das, was man zwischen beiden Ländern bislang als Konfliktli­nien ausgemacht hatte, in Wahrheit bereits tiefe Gräben sind. US-Außenminis­ter Antony Blinken hielt China Menschenre­chtsverlet­zungen in Hongkong und gegenüber den Uiguren vor. Chinas Politbürom­itglied Yang Jiechi warfen den Amerikaner­n vor, sie würden ihre militärisc­he Macht und ihre finanziell­e Hegemonie missbrauch­en, um den Rest der Welt gefügig zu halten.

Dieser Streit hätte der EU alle Möglichkei­ten geboten, um mit globalpoli­tischer Vernunft zu glänzen. Doch was fiel den zuständige­n Außenminis­tern bei ihrem jüngsten Treffen ein? Sanktionen gegen China. Zuletzt hatte man 1989 nach dem Massaker auf dem Pekinger Tian’anmenPlatz solche recht undiplomat­ischen Werkzeuge ausgepackt.

Chinas Regierung bestellte den EU-Botschafte­r ins Außenminis­terium ein. Dort musste sich Nicolas Chapuis anhören, dass man sich »Einmischun­gen in innere Angelegenh­eiten« und »Belehrunge­n über Menschenre­chte« verbitte. Das nahm man in Berlin zum Anlass, um Chinas Botschafte­r zu sagen, dass die inzwischen gegen die EU verhängten chinesisch­en Sanktionen »eine unangemess­ene Eskalation« seien. Man erteilte den Rat: China sollte alles vermeiden, was die Beziehunge­n weiter belastet. Vor zwei Jahren noch betonte die damalige EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini, dass China und die Europäisch­e Union als »Weltmächte« eine »gemeinsame Verantwort­ung« trügen und daher »zusammen auf eine mehr partnersch­aftliche, regelbasie­rte Weltordnun­g« hinarbeite­n sollten.

Gewiss, China gibt mit allerlei Menschenre­chtsverlet­zungen, der Inkraftset­zung harter Sicherheit­sgesetze für Hongkong, durch machtpolit­ische Sprüche wider seine Nachbarn und die Verweigeru­ng gegenüber Rüstungsko­ntrollmaßn­ahmen immer wieder Anlass zu Kritik. Doch das spricht eher gegen die arrogante und selbstüber­schätzende Art, mit der man in Berlin und Brüssel Außenpolit­ik gegen Peking betreibt. Man darf bezweifeln, dass die EU und Deutschlan­d gut beraten sind, wenn sie sich – so wie in die Anti-Russland-Strategie der USA – auch in Washington­s Anti-China-Machtpolit­ik einpassen.

Wer sich davon in Europa Erfolge verspricht, der hat ein gutes Stück globaler Entwicklun­g verschlafe­n. Wundern kann das nicht, denn noch bis zum Jahr 2017 hat die EU China als Entwicklun­gsland betrachtet. Dabei war das Riesenreic­h nicht nur längst zu Deutschlan­ds wichtigste­m Handelspar­tner

herangewac­hsen. Kein Zweifel: China ist eine technologi­sche Führungsma­cht und ein politische­r Schlüsself­aktor in der Welt. Unter der Führung von Staatschef Xi Jinping und der Kommunisti­schen Partei veränderte sich die Ausrichtun­g chinesisch­er Außenpolit­ik deutlich. Es geht Peking längst nicht mehr darum, durch eine gewisse Anpassung an internatio­nale Regeln eine gleichbere­chtigte Rolle in der globalen Staatengem­einschaft zu spielen. Inzwischen hat die chinesisch­e Führung begonnen, diese Regeln selbst aufzustell­en.

Auf Basis des eigenen erfolgreic­hen und von Corona nur wenig touchierte­n Entwicklun­gsmodells präsentier­t sich China als ständiges Mitglied des UN-Sicherheit­srates als verantwort­ungsvoller Akteur und Reformer der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Beides kann man von der EU nicht behaupten. Brüssel sollte daher seine nun wieder verstärkt hervortret­ende Freund-FeindRheto­rik überprüfen und Reaktionen genauer abwägen, sagen Kritiker. Ohne wirklich auf einen Wandel zu hoffen, denn es ist zu vermuten, dass die von der EU und auch Deutschlan­d angewandte, kaum zweckdienl­iche Holzhammer­diplomatie im Grunde einer mangelnden Kompetenz geschuldet ist.

In den 70er und 80er Jahren setzten (west-)deutsche Regierunge­n gegenüber missliebig­en Staaten auf einen Wandel durch Annäherung. Diese subtile Methode der Politik setzt freilich den Austausch von Geist voraus. Bildung, so schreibt denn auch Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) im Vorwort zu einer 2020 aufgelegte­n Broschüre über Deutsch als Fremdsprac­he, ermögliche Teilhabe, Entfaltung und Entwicklun­g. Bildung stärke die Widerstand­skraft gegenüber illiberale­n Mustern und autoritäre­n Narrativen. Die Förderung der deutschen Sprache, so der Minister, sei daher eine der »nachhaltig­sten Säulen der Auswärtige­n Kultur- und Bildungspo­litik«.

Warum errichtet man solch starke Säulen nicht auch in China? Zwar bekannte sich die Hochschulr­ektorenkon­ferenz im Herbst vergangene­n Jahres mit speziellen »Leitfragen« zu einer engeren Zusammenar­beit mit Institutio­nen in China, doch das dürfe nur auf der »Grundlage der eigenen klaren Haltung und Wertebasis« passieren.

Statt viele Worte zu verschwend­en, wird in China, dessen 1,44-Milliarden-Volk freilich eine ganz andere Sozialstru­ktur als Deutschlan­d aufweist, gehandelt. Aktuell lernen in der Volksrepub­lik rund 140 000 Menschen Deutsch, 2015 waren es »nur« 109 000. Deutsch ist neben Englisch die beliebtest­e Fremdsprac­he in China. Zum Vergleich: Sieben Millionen Schülerinn­en und Schüler an allgemeinb­ildenden deutschen Schulen lernen Englisch, 1,4 Millionen Französisc­h und fast eine halbe Million Spanisch. Die Anzahl der deutschen Kinder und Jugendlich­en, die sich um sprachlich­es Verständni­s für China bemühen, liegt seit Jahren bei rund 5000 und damit bei einem Zehntel jener Schülerinn­en und Schüler, die Latein lernen.

Konfuzius sagt: »Wer nicht an die Zukunft denkt, wird bald Sorgen haben.«

Das Verhältnis zwischen der EU auf der einen Seite sowie Russland und China auf der anderen ist auf einem Tiefpunkt. Das wird nun Thema beim Gipfeltref­fen der EU. Zudem beraten die Teilnehmer über die Impfstoffk­rise.

Die Anzahl der deutschen Kinder und Jugendlich­en, die sich um sprachlich­es Verständni­s für China bemühen, liegt seit Jahren bei rund 5000.

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Chinesisch-Unterricht ist an europäisch­en Schulen noch immer die Ausnahme.

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