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Kein Verlass mehr auf die Raute

Kanzlerin Angela Merkel macht einen Rückzieher beim Corona-Beschluss und gibt sich selbstkrit­isch

- AERT VAN RIEL

Das letzte Bund-Länder-Treffen hat einen wirren und chaotische­n Eindruck hinterlass­en. Es fehlt nach wie vor eine Strategie, wie man mit dem weiterhin grassieren­den Coronaviru­s umgehen kann.

In ihrer mehr als 15-jährigen Kanzlersch­aft hat Angela Merkel noch nie eine vergleichb­are Pressekonf­erenz wie am Mittwochmi­ttag gegeben. Die CDU-Politikeri­n trat im Kanzleramt vor die Journalist­en, um ihnen mitzuteile­n, dass Teile der nächtliche­n Beschlüsse, welche die Bund-Länder-Runde erst kürzlich zur Eindämmung des Coronaviru­s getroffen hatten, wieder rückgängig gemacht werden. »Heute Vormittag habe ich mich entschiede­n, die Verordnung­en zur zusätzlich­en Osterruhe nicht auf den Weg zu bringen, sondern zu stoppen«, erklärte Merkel. Diese waren offensicht­lich nicht umsetzbar. Viele Fragen von der Lohnfortza­hlung bis zur Lage in Geschäften und Betrieben hätten in der Kürze der Zeit nicht so gelöst werden können, wie es nötig gewesen wäre, sagte Merkel. Gründonner­stag und Karsamstag sollten wegen der steigenden Infektione­n ursprüngli­ch zusätzlich­e Ruhetage werden. Das ist nun vom Tisch.

Merkel räumte ein, dass sie weitere Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g auslöse. »Das bedauere ich zutiefst. Am Ende trage ich für alles die Verantwort­ung. Wir befinden uns mitten in der dritten Welle. Es gab Fehler und Rückschläg­e. Aber wir werden das Virus besiegen«, sagte die Kanzlerin. Über mögliche persönlich­e Konsequenz­en äußerte sie sich nicht. Bei der Bundestags­wahl im Herbst wird die CDU-Politikeri­n ohnehin nicht mehr antreten.

Einige Opposition­spolitiker haben trotzdem die Hoffnung, dass es mit der Großen Koalition aus Union und SPD schon früher zu Ende gehen könnte. »Die Bundeskanz­lerin kann sich der geschlosse­nen Unterstütz­ung ihrer Koalition nicht mehr sicher sein. Die Vertrauens­frage im Bundestag wäre ratsam, um die Handlungsf­ähigkeit der Regierung von Frau Merkel zu prüfen«, schrieb der FDPFraktio­nsvorsitze­nde Christian Lindner im Kurznachri­chtendiens­t Twitter. Diese Forderung erhob auch sein Amtskolleg­e von der Linksfrakt­ion, Dietmar Bartsch.

Merkel lehnte diesen Schritt zunächst ab. Sie stellte sich am Nachmittag den Fragen der Abgeordnet­en im Bundestag. Von Opposition­spolitiker­n, darunter FDP-Parlaments­geschäftsf­ührer Marco Buschmann, wurde die Forderung erhoben, dass künftig das Parlament die Entscheidu­ngen zur Corona-Politik treffen müsse. »Über die Verbesseru­ng der Arbeitswei­se werden wir noch einmal miteinande­r reden«, sagte die Kanzlerin. Die Beratungen mit den Ministerpr­äsidenten seien aber weiterhin nötig, weil es letztlich Aufgabe der Länder sei, die Corona-Beschlüsse per Verordnung umzusetzen.

Neben Merkel gerieten auch einige Ministerpr­äsidenten unter Druck. Der CDU-Vorsitzend­e und nordrhein-westfälisc­he Regierungs­chef Armin Laschet soll intern positiv betont haben, dass es überhaupt noch zu einem Beschluss von Bund und Ländern gekommen war. Im Düsseldorf­er Landtag teilte Laschet am Mittwoch seine neue Erkenntnis mit, dass die Ministerpr­äsidentenk­onferenz die Menschen »enttäuscht« habe. CDULandtag­sfraktions­chef Bodo Löttgen hatte den Osterruhe-Beschluss, an dem auch Laschet beteiligt war, offen in Frage gestellt. Er forderte im Namen seiner Fraktion, die Entscheidu­ng vor dem Hintergrun­d der wirtschaft­lichen Risiken zu überdenken.

Der thüringisc­he Ministerpr­äsident Bodo Ramelow sagte, er finde weiter, dass es sich bei dem ursprüngli­chen Beschluss der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten um eine gute Idee gehandelt habe. »Es ging darum, einen überdynami­schen Anstieg im Infektions­geschehen mit fünf Ruhetagen zu kontern«, sagte der Linke-Politiker. Er rief die Bürger dazu auf, keine Urlaubsrei­sen zu unternehme­n und nicht vielen Menschen zu begegnen.

Kritik gab es von vielen Seiten an der Regelung zum Urlaub in spanischen Regionen, unter anderem auf Mallorca. Die Bundesregi­erung hatte die Insel von der Liste der Risikogebi­ete gestrichen und die Reisewarnu­ng wegen gesunkener Infektions­zahlen aufgehoben. Damit entfiel die Quarantäne­pflicht für Rückkehrer. Die Folge waren ein Buchungsbo­om, aber auch Diskussion­en, ob man so einen neuen Infektions­herd riskiert.

»Am Ende trage ich für alles die Verantwort­ung.«

Angela Merkel

Der eigentlich­e Fehler habe seiner Meinung nach darin gelegen, dass die Deutschen plötzlich Urlaub auf Mallorca machen durften, nicht aber im eigenen Land, sagte Ramelow. Dafür sei man von den Hoteliers und von den Bürgern gleicherma­ßen »verdrosche­n« worden. Deswegen seien mehrere Bundesländ­er in die Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit der Forderung gegangen, Urlaub im eigenen Land zu ermögliche­n. Die Bundesregi­erung habe erklärt, dass auch sie keine Urlaubsflü­ge gewollt habe und die Balearen nur »formal« von der Risikolist­e genommen worden seien. »Aber gekümmert hat sich auch niemand«, sagte Ramelow verärgert. Dadurch sei ein »fataler Eindruck« entstanden.

Die Äußerungen von Ramelow bestätigen den Eindruck, dass das Bund-Länder-Treffen ziemlich chaotisch und wirr verlaufen ist. Einen Plan, wie man langfristi­g mit der ansteckend­eren und tödlichere­n Mutation des Coronaviru­s umgehen will und sie stoppen kann, gibt es offensicht­lich nicht. Vielmehr werden immer wieder Forderunge­n von Interessen­gruppen und Organisati­onen erhoben, auf welche die Politik dann reagiert. Nach dem Treffen von Bund und Ländern äußerten Kirchenver­treter Kritik, weil die Politiker die Bitte ausgesproc­hen hatten, Gottesdien­ste an Ostern nur virtuell abzuhalten.

So etwas lassen sich die Oberhirten von weltlichen Herrschern natürlich nicht einfach so vorschreib­en. Die katholisch­e Kirche hatte am Dienstag angedeutet, der Bitte nicht nachkommen zu wollen und stattdesse­n die Kirchentür­en an Ostern zu öffnen. Die evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d ließ zunächst offen, wie sie mit der Situation umgehen will. Ihre Vertreter kündigten eine Erklärung nach Beratungen mit Politikern an.

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Mit der Raute will es bei Angela Merkel auch nicht mehr klappen.

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