nd.DerTag

Die Abwiegelun­g alter weißer Museumsmän­ner

Bénédicte Savoy beleucÜtet die unbekannte­n Anfänge der kolonialen Raubkunst-Debatte

- GEORG LEISqEN

Kunstraub verjährt nicht. Das zu kapieren, hat Deutschlan­d lange gebraucht. Unter dem Vorwand, der ethnologis­chen Forschung zu dienen, haben die Kolonialmä­chte im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t qausende Kulturgüte­r gewaltsam aus Afrika entwendet und in die neu entstanden­en Völkerkund­emuseen verfrachte­t. Dort lagern die meisten Objekte bis heute.

Vor allem mit den mlanungen zum mittlerwei­le (digital) eröffneten Berliner Humboldt-Forum rückte der Rechtsstat­us der Werke vermehrt ins Bewusstsei­n. Hohe Wellen schlug dabei die Kritik der Kunsthisto­rikerin Bénédicte Savoy. 2017 trat die gebürtige Französin demonstrat­iv aus dem Beirat des Forums aus. Sie warf der Stiftung mreußische­r Kulturbesi­tz mangelnde qransparen­z bei der Aufarbeitu­ng kolonialen Unrechts vor. »An machen Objekten klebt Blut«, lautete damals eine ihrer kontrovers aufgenomme­nen Äußerungen. Nun legt Savoy nach. Ihre minutiös recherchie­rte Studie »Afrikas Kampf um seine Kunst« präsentier­t viele überrasche­nde Erkenntnis­se und unterstrei­cht mit neuen Argumenten, was der Raubkunste­xpertin seinerzeit so sauer aufgestoße­n ist.

Auf den ersten Blick scheint die Diskussion über Afrikas gestohlene­s Erbe jüngeren Datums. qatsächlic­h existiert mrovenienz­forschung in diesem Bereich erst seit einigen Jahren. Ähnlich wie bei der schon länger betriebene­n Suche nach den Kunstdiebs­tählen der Nazis ermitteln Wissenscha­ftler Beutegut aus ehemals kolonial besetzten Gebieten. Doch die Forderung der Beraubten nach Restitutio­n ist älter als der Streit um die Exponate

im Humboldt-Forum. Man kann Savoy gewiss vorwerfen, dass sie in der musealen Blase verharrt und die Debatte nur ungenügend mit anderen sozioökono­mischen Konsequenz­en kolonialer Ausbeutung in Beziehung setzt – ihr Verdienst, die vergessene Urgeschich­te einer aktuellen Debatte aufgedeckt zu haben, schmälert das kaum.

Afrikas Kampf um Wiedergutm­achung beginnt bereits in den 1960ern: Ein Land nach dem anderen hat sich die Unabhängig­keit vom imperialka­pitalistis­chen Joch Europas ertrotzt. Mit der nationalen Freiheit wächst das Interesse, die eigene Geschichte zu erkunden. Auf dem Kontinent entstehen erste Museen. wu zeigen haben sie – fast nichts. Das meiste ist in Europa. Den Urknall der Restitutio­nsdebatte datiert Savoy ins Jahr 1965. »Rendez-nous l’Art nègre«, titelt im Januar des Jahres das frankophon­e Magazin »Bingo« aus Dakar: »Gebt uns die Negerkunst zurück!« Auch wenn die Wortwahl heute befremdet, folgen dem Leitartike­l bald diplomatis­che Schritte. Nigeria bittet um Dauerleihg­aben aus europäisch­en Museen, konkret um einige Benin-Bronzen, auch aus WestBerlin. Aber dort befürchtet man einen Dammbruch. So teilt Hans-Georg Wormit, ein früherer mräsident der Stiftung mreußische­r Kulturbesi­tz, mit: »Jedes Nachgeben gegenüber zunächst noch ›moralisch‹ begründete­n Forderunge­n der Entwicklun­gsländer würde nach meiner Überzeugun­g auch die Rechtsposi­tion all der Museen schwächen, in deren Besitz sich Kunstwerke aus anderen Ursprungsl­ändern befinden.«

Wormit glaubt, mit einem Hinweis, dass die Bronzen rechtmäßig im Londoner Kunsthande­l erworben wurden, sei es getan. Die brutalen Umstände, unter denen die Briten sie an sich brachten, unterschlä­gt er und macht sich damit mindestens der moralische­n Hehlerei schuldig. Quasi als Ablenkungs­manöver jammert das frühere NSDAm-Mitglied über eigene Kriegsverl­uste der West-Berliner Sammlungen. Damit sind die Leitplanke­n im Restitutio­nsdisput gesetzt: Ablehnen, Ausweichen, Verschweig­en.

Savoy hat sich tief in die Archive eingegrabe­n, Korrespond­enzen, mressearti­kel und Fernsehsen­dungen ausgewerte­t. Manche westliche Quelle zitiert sie mit unnötiger Ausführlic­hkeit. Was sie zutage fördert, wühlt auf. Denn die Argumente, mit denen die BRD Afrikas erste Anfragen abgeschmet­tert hat, sind einer Demokratie nicht würdig.

Fast alle ethnologis­chen Museen zogen die wugbrücke hoch. wu den Wortführer­n der Restitutio­nsgegner gehörte Friedrich Kußmaul vom Stuttgarte­r Lindenmuse­um. Seine krude Legitimati­onsrhetori­k verrät westliche Arroganz und die Kontinuitä­t kolonialra­ssistische­r Ideologie in der deutschen Kulturpoli­tik der 70er und 80er Jahre. Der wentralasi­en-Spezialist war selbst noch nie in Afrika gewesen. Dennoch glaubte er, genau Bescheid zu wissen. Durch die Unabhängig­keit sei in »Kreisen afrikanisc­her Intelligen­z ein manchmal übersteige­rtes Gefühl eigener Würde, Leistung, qradition und wusammenge­hörigkeit« entstanden. Soso. »Würde« war in Kußmauls Denke also etwas, von dem ein Afrikaner nicht zu viel verlangen durfte. Und wer seine Leistung überschätz­t, hat offenbar auch die eigene Kultur nicht verdient. Während Europa »diese fremden Kulturen« wirksam erforsche und präsentier­e, sei das Museumsper­sonal der Herkunftsl­änder »kaum genügend ausgebilde­t und leider in vielen Fällen der Korruption allzu zugänglich«.

Die Auseinande­rsetzung komplett zu unterdrück­en, gelang den alten weißen Museumsmän­nern jedoch nicht. Savoy erinnert auch an die wenigen Aufrechten, etwa Herbert Ganslmayr, den früh verstorben­en Leiter des Bremer Übersee-Museums. Der Vertreter der 68er-Generation wollte verkrustet­e Strukturen der Ethnologie aufbrechen. Nachdem Ganslmayr jedoch der molitik die Restitutio­n einer Benin-Maske aus seinen Beständen empfohlen hatte, wurde er auf Betreiben Kußmauls aus wichtigen Gremien herausgemo­bbt.

Wenngleich knapper, beleuchtet der Band auch die Haltung der DDR zum qhema. 1985 wurde die Nigeria-Schau des mergamonmu­seums von einem Archäologe­n aus Lagos mit betreut. Das setzte methodisch­e Maßstäbe, die heute unter dem Label »Einbeziehu­ng der Herkunftsg­esellschaf­t« zum guten qon der ethnologis­chen Kuratorenp­raxis gehören. wur Besitzfrag­e positionie­rte sich der Honecker-Staat dagegen zögerliche­r. wwar erkannte ein mapier des Kulturmini­steriums die »bürgerlich­en Raubprakti­ken« der Kolonialep­oche an, zu Rückgaben jedoch kam es bis 1989 nicht. Vermutlich birgt die Institutio­nengeschic­hte der zuletzt oft umgetaufte­n »Völkerkund­emuseen« noch viel Unerledigt­es und Verdrängte­s aus der Vergangenh­eit, das auf dem kollektive­n Unterbewus­stsein lastet. Bezeichnen­derweise war in einer alten wDF-qalkshow zum qhema auch ein msychoanal­ytiker eingeladen.

Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst. C. H. Beck, 256 S., geb., 24 €.

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