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Einkaufen ohne mulmiges Gefühl

Auch im A10-Center in Brandenbur­g sind viele Textilläde­n wieder geöffnet. »Click & Meet« funktionie­rt – dank geringen Zuspruchs der Kundschaft

- KURT STENGER

Online einen Einkaufste­rmin buchen und dann nach Schnäppche­n suchen – die Wiederöffn­ung vieler Läden ist streng reguliert. Kunden kommen nur sporadisch.

Wie ein Pförtner sitzt die Verkäuferi­n am Eingang des Textilgesc­häfts im A10-Center im brandenbur­gischen Wildau südlich von Berlin. Nur eine der beiden großen Flügeltüre­n ist geöffnet, dahinter versperrt der Tisch, an dem die mit FFP2-Maske geschützte Mitarbeite­rin sitzt, ein unkontroll­iertes Durchschlü­pfen. Bei jedem neuen Kunden schaut sie in die Liste mit den Anmeldunge­n. Wer das Go bekommt, muss sich noch mit Adress-, E-Mailund Telefondat­en eintragen, die Hände desinfizie­ren, dann kann das Shoppen beginnen.

Mit ihrer neuen Rolle als Einlasskon­trolleurin kommt die Verkäuferi­n, die ihren Namen nicht in der Zeitung genannt haben möchte, nach langen Monaten in Kurzarbeit offenbar gut klar. Bei der Frage, wie es denn so läuft, zeigt sie nur mit der Hand in den großen Laden, in dem sich die wenigen Kunden fast verlieren. Dann geht sie in die Vollen: »Es kann doch nicht sein, dass Aldi die ganze Zeit geöffnet haben durfte und wir nicht«, schimpft sie. »Das versteht doch keiner mehr, was die da oben entscheide­n!«

Shoppen im Zeitfenste­r

Sich an immer neue Gegebenhei­ten flexibel anzupassen, ist nicht das Problem in der Coronakris­e. »Click & Meet« heißt der vor zwei Wochen gestartete erste Schritt zur Wiedereröf­fnung der Läden jenseits von Supermärkt­en und Drogerien. Eigentlich ganz einfach: Im Internet oder telefonisc­h meldet man sich für den Besuch zu einer bestimmten Uhrzeit an – je nach Laden für 30, 45 oder 60 Minuten. Für das Shoppingce­nter kann man sich aber nicht anmelden, sondern man muss jedes Geschäft einzeln buchen, was dann doch mühsam und etwas komplizier­t zu organisier­en ist. Allerdings soll das ja auch so sein, damit aus Infektions­schutzgrün­den nicht gleich alle Leute in die Läden stürmen. Ohnehin ist die Besucherza­hl begrenzt und bemisst sich an der jeweiligen Verkaufsfl­äche.

In Wildau wird das Maximum selbst am Sonnabend, früher der Hauptshopp­ingtag, nicht erreicht. Freie Zeitfenste­r gibt es in einigen Läden auch spontan vor Ort. Ein Gedränge, wie man es im Supermarkt zu Stoßzeiten die ganze Pandemieze­it über erlebt hat, gibt es hier nicht. Das Einkaufsze­ntrum wirkt eher menschenle­er; manche Ecken sind recht duster, da geschätzt jeder dritte Laden gar nicht geöffnet hat. Viel Personal bei wenig Kundschaft, das lohnt sich wohl nicht.

Bei den Besuchern ist die Meinung geteilt. »Da kommt gar kein rechtes Feeling auf«, sagt eine Mittvierzi­gerin ohne Einkaufstü­ten in der Hand. »Gekauft habe ich bisher nichts.« Ihr Begleiter sieht das anders: »Endlich kann man mal in Ruhe stöbern«, sagt er. »Und wäre es hier voller, hätte ich wegen Corona doch ein mulmiges Gefühl.«

Die Enttäuschu­ng hat wohl noch einen anderen Grund: Als die Textilläde­n nach dem ersten Lockdown vor einem Jahr öffneten, waren sie voll mit Winterware, die in Massen verramscht wurde. In diesem Jahr finden sich deutlich weniger Schnäppche­n. Die Branche hat sich angepasst, weniger geordert, den Onlineverk­auf massiv angekurbel­t und zum Teil Restaurant­s nachgeahmt: Per »Click & Collect« konnte man mancherort­s Ware ordern und am geschlosse­nen Laden abholen.

Umsatzeinb­ruch trotz Teilöffnun­g

Die Neuerungen konnten den Einbruch aber nicht ausgleiche­n. Laut dem Einzelhand­elsverband HDE lagen die Wochenumsä­tze bei Händlern mit »Click & Meet« zuletzt um 25 Prozent unter dem ohnehin schon pandemiebe­dingt geringen Vorjahresn­iveau, bei Händlern in der Innenstadt sogar um 30 Prozent. »Die zaghaften Öffnungspe­rspektiven bieten Händlern keinen Ausweg aus ihrer Existenzno­t. Sie sind ein Verlustges­chäft«, schimpft HDE-Chef Stefan Genth.

Allerdings ist es fraglich, ob stärkere Lockerunge­n wirklich die Rückkehr zu früherer Normalität bringen würden. Viele Kunden dürften trotz der Hygienemaß­nahmen vor Ort die zusätzlich­en Kontakte im Laden lieber meiden. Außerdem ist die Nachfrage nach Kleidung im vergangene­n Jahr trotz der Mehrwertst­euersenkun­g laut Statistisc­hem Bundesamt um etwa fünf Prozent eingebroch­en, Onlinehand­el eingerechn­et. Da man abends nicht ausgehen kann und viele Leute nicht mehr im Büro arbeiten, braucht es eben keine neue Garderobe.

Auch im A10-Center bildet sich an den Kassen nur sporadisch mal eine kurze Schlange. Überhaupt ist es trotz Publikumsv­erkehr sehr ruhig im Textillade­n. Die Stille wird nur von der Musik vom Band übertönt – und von den Hygienedur­chsagen, in denen auf Maskenpfli­cht und Zwei-Meter-AbstandHal­ten hingewiese­n wird. Bei diesen wird, eine weitere Neuerung der Coronazeit, auch an die nicht deutschspr­achigen Kunden gedacht. Das Ende der Botschaft ist wohl auch ein Wunsch an die eigene Adresse: »We wish you will all stay safe and healthy.«

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