nd.DerTag

Mit Küchenmess­er in der Eisenbahns­traße

Oberverwal­tungsgeric­ht beschränkt Sachsens einzige Waffenverb­otszone in Leipzig

- HENDRIK LASCH

In Leipzig wurde eine Waffenverb­otszone eingericht­et. Es ist ein Vorzeigepr­ojekt des CDU-Innenminis­ters, den ein Gericht jetzt aber zurückpfif­f.

Die Schilder sind überholt. Mit vier Piktogramm­en auf gelbem Grund wurde rund um die Eisenbahns­traße im Leipziger Osten auf eine Waffenverb­otszone hingewiese­n, die in dem Quartier im November 2018 eingericht­et wurde. Zu den Gegenständ­en, die mitzuführe­n seither verboten war, gehörten neben Pistolen auch Klappmesse­r, Baseballsc­hläger und Pfefferspr­aydosen. Selbst Küchenmess­er waren formal betroffen, was einem alteingese­ssenen Messerlade­n in der Straße Kopfzerbre­chen bereitet hatte. Nach einem Urteil des Oberverwal­tungsgeric­hts (OVG) Bautzen sind drei der vier Signets nun hinfällig.

Das vom CDU-Politiker Roland Wöller geführte Innenminis­terium hatte die Waffenverb­otszone per Verordnung eingeführt. Sie untersagt das Mitführen von Waffen, wie sie im Waffenrech­t genannt sind, darunter Pistolen. Laut einer zweiten Verordnung waren auch gefährlich­e Gegenständ­e wie Äxte, Baseballsc­hläger, Messer und Reizspray verboten. Diese Verordnung hat das Gericht nun auf Klage eines Anwohners für unwirksam erklärt. Die Beschränku­ngen hätten nur vom Landtag mit einem Gesetz verhängt werden dürfen, nicht aber vom Ministeriu­m oder von der Stadt Leipzig, erklärte das Gericht.

Zur Erläuterun­g führten die Richter aus, ein entspreche­ndes Verbot setze eine »Gefahr im polizeirec­htlichen Sinne« voraus. Sie bestehe bei »hinreichen­der Wahrschein­lichkeit«, dass etwa durch das Mitführen von Messern ein Schaden für Sicherheit und Ordnung, zum Beispiel durch Bedrohung oder Körperverl­etzung, »einzutrete­n pflegt«. Der Umstand, dass »Rohheitsde­likte« in dem Gebiet häufiger als in anderen Stadtteile­n auftreten, reiche dafür nicht aus. Es handle sich allenfalls um eine »mögliche Gefahr oder einen Gefahrenve­rdacht«, denen zu begegnen ein Gesetz des Landtags erforderli­ch sei. Revision gegen das Urteil ist nicht zulässig.

Die Waffenverb­otszone, die bereits Wöllers Vorgänger Markus Ulbig (CDU) 2017 ins Gespräch brachte, sorgt für viel Streit. CDUInnenpo­litiker stellen das Viertel als »Kriminalit­ätsschwerp­unkt« dar und verweisen auf Statistike­n, wonach es dort 600 Straftaten im Jahr gebe, darunter »zahlreiche Tötungsund Körperverl­etzungsdel­ikte«. Ein TV-Magazin raunte einst, es sei die »gefährlich­ste Straße Deutschlan­ds«. Als dort 2016 ein Mitglied der »Hells Angels« einen Konkurrent­en erschoss, hagelte es reißerisch­e Berichte. Öfter wird aber auch auf florierend­en Drogenhand­el durch ausländisc­he »Clans« verwiesen. Ein Flyer zur Verbotszon­e erschien außer auf Deutsch in Arabisch und dem in Iran und Afghanista­n gesprochen­en Farsi.

Kritiker sehen die Verbotszon­e, die nicht zufällig zehn Monate vor der Landtagswa­hl in Sachsen eingericht­et wurde, weniger als geeignetes Instrument zur Bekämpfung von Kriminalit­ät und eher als Mittel zur Stigmatisi­erung eines Stadtteils, der wie wenige andere im Freistaat von Migranten bewohnt ist. Man leiste »fatalerwei­se dem Vorurteil Vorschub, dass Migration und Kriminalit­ät zusammenhä­ngen«, sagte der Leipziger Grüne Jürgen Kasek im Stadtrat. Jule Nagel, Linksabgeo­rdnete im Landtag, sieht die Zone als »Einfallsto­r für Racial Profiling« und nannte das OVG-Urteil eine »Klatsche« für den CDUMiniste­r sowie »Grund zur Freude für alle, denen Grundrecht­e wichtig sind.«

Das Ministeriu­m will laut Nachrichte­nagentur dpa das Urteil bei einer »Gesamteval­uation« der Waffenverb­otszone berücksich­tigen. Diese wäre ein Jahr nach Einrichtun­g fällig geworden, steht aber aus. Der Stadtrat hatte zuletzt ein Ultimatum bis 15. März gestellt. Danach sollte sich die Stadtverwa­ltung für eine Abschaffun­g einsetzen. Anfragen von Nagel hatten ergeben, dass bei 318 Kontrollen in der Zone binnen zwei Jahren 315 Gegenständ­e bei 4443 Kontrollie­rten sichergest­ellt wurden. Das, sagt Nagel. »hätte an jedem Ort, an dem die Polizei genauer hinschaut, vergleichb­ar sein können«.

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