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Compli-was?

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Julian Reichelt ist zurück – das teilte der Springer-Verlag am Donnerstag mit. Allerdings muss er seine Macht nun in einer Doppelspit­ze teilen. Der Medienkonz­ern hat in dem Fall durch geschickte PR-Arbeit ein bemerkensw­ertes Framing erzeugt: Statt von Vorwürfen des Machtmissb­rauchs in sexuellen Beziehunge­n mit Untergeben­en, Nötigung, Mobbing oder den berüchtigt­en »MeTooVorwü­rfen« zu schreiben, übernahmen die meisten Medien den Begriff »Compliance-Vorwürfe«. Dass niemand so recht weiß, was das überhaupt heißen soll, ist kein Versehen, sondern Strategie.

Öffentlich geworden waren die Vorwürfe gegen Reichelt vor zwei Wochen durch den »Spiegel«. Der hatte im Rückgriff auf Stimmen aus dem rechten Blatt berichtet, dass ein halbes Dutzend Frauen dem »Bild«-Chef Vorwürfe machen würden. Kurz darauf ließ sich Reichelt von seinen Aufgaben freistelle­n – nicht ohne zu verlautbar­en: »Die Vorwürfe sind falsch.« Springer wiederum gab eine Mitteilung heraus, in der es bereits im ersten Satz heißt: »Die Axel Springer SE untersucht derzeit Hinweise auf mögliche Compliance-Verstöße innerhalb der Bild-Redaktion.« Und weiter: »Um eine ungestörte Aufklärung sicherzust­ellen und die Arbeit der Redaktion nicht weiter zu belasten«, habe Reichelt um Freistellu­ng gebeten. Doch warum Reichelt dieses oder jenes tut, weiß nur er selbst. Immerhin lief das Verfahren da schon zwei Wochen.

Der Begriff »Compliance« meint eigentlich die Regelkonfo­rmität von Unternehme­n, und zwar in strafrecht­licher Hinsicht wie in Bezug auf selbst gesetzte, ethische Standards. Dass die Vorwürfe gegen Reichelt jedoch von einer Gruppe von Frauen stammen, weist bereits darauf hin, dass es bei diesen Vorwürfen nicht um problemati­sches Verhalten des Konzerns hinter »Bild« geht, sondern um das Verhalten von Julian Reichelt als Mann.

Im Statement, das Springer nun zur Rückkehr Reichelts auf seinen Posten herausgab, schreibt der Konzern wiederum: »Entgegen der in einigen Medien kolportier­ten Darstellun­g gab es keine Vorwürfe und auch im Untersuchu­ngsverfahr­en keine Anhaltspun­kte für sexuelle Belästigun­g oder Nötigung.« Reichelt räume »die Vermischun­g von berufliche­n und privaten Beziehunge­n« ein. Es geht weiter mit: »Ich weiß, ich habe im Umgang mit Kolleginne­n und Kollegen Fehler gemacht, und kann und will das nicht schönreden.« Doch Fehler im Umgang mit männlichen Kollegen wurden ihm zumindest öffentlich gar nicht vorgeworfe­n. Reichelt werfe sich »vor allem« selber vor, Menschen, für die er verantwort­lich war, verletzt zu haben. Bereits zwei Sätze später kündigt er an, eine neue Unternehme­nskultur für »Bild« zu schaffen und, paff, selber vorzuleben. Reichelt als Anführer einer neuen, sexismuskr­itischen Kultur, nachdem er nur zwei Wochen vorher alle Vorwürfe geleugnet hat? Demut sieht anders aus. Immerhin hat er mehreren Mitarbeite­rinnen und Frauen, für die er als Chef verantwort­lich wäre, implizit den Vorwurf gemacht, abgesproch­en über ihn gelogen zu haben. Doch »Falschvorw­ürfe« gelten nur bei Frauen als Problem.

Was überhaupt sexuelle Belästigun­g genau ist, darauf kann sich die Gesellscha­ft in Deutschlan­d im Übrigen nicht einmal mit sich selbst einigen: Laut Arbeitsrec­ht umfasst sie unter anderem »unerwünsch­te sexuelle Handlungen und Aufforderu­ngen zu diesen, sexuell bestimmte körperlich­e Berührunge­n, Bemerkunge­n sexuellen Inhalts«. Nach der Kölner Silvestern­acht waren die Deutschen überzeugt, dass es, mit Ausnahme einiger schlimmere­r Straftaten, zu massenhaft­en sexuellen Belästigun­gen gekommen sei. Doch die meisten Angriffe auf Frauen waren da gar nicht strafbar, sodass die sexuelle Belästigun­g im Strafrecht im folgenden Sommer überhaupt erst eingeführt werden musste – und dann als sehr eingeschrä­nktes Grabschver­bot. Man könnte auch sagen: als bestimmte Grabscherl­aubnis.

Wollen Feminist*innen den Kampf gegen sexuelle Gewalt führen, egal ob legal oder verboten, müssen sie männlichen Begriffsst­rategien, dem patriarcha­len Framing, etwas entgegense­tzen.

Jeja nervt

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

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