nd.DerTag

Wie reagieren auf Corona-Proteste?

In Märkisch-Oderland überlegt die Zivilgesel­lschaft, was zu tun ist.

- Von Andreas Fritsche

Zu Beginn der Videokonfe­renz gibt es eine Blitzumfra­ge unter den Teilnehmer­n: Sollten die Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPand­emie verschärft oder gelockert werden, oder sind sie genau richtig, wie sie sind? Alle drei Optionen werden angeklickt. Und was bereitet Kopfzerbre­chen? Nur zehn Prozent machen sich keine Gedanken, nur zehn Prozent fürchten, dass der Sommerurla­ub ausfallen muss. Aber 80 Prozent machen sich Sorgen wegen zunehmende­r Polarisier­ung und Radikalisi­erung in der Bevölkerun­g.

Das ist der Anlass für dieses Treffen, zu dem das Netzwerk für Toleranz und Integratio­n eingeladen hat – unter der Überschrif­t: »Corona-Proteste im Landkreis Märkisch-Oderland – Welche Herausford­erungen gibt es für die Zivilgesel­lschaft?«

Das Thema interessie­rt viele. Doch so mancher konnte wegen schlechter Internetve­rbindung nicht zusagen. Deshalb bleibt der Kreis der Teilnehmer überschaub­ar. Es sind aber E-Mails eingegange­n, die dann auch noch einmal andere Perspektiv­en erlauben. Die bedauerlic­he Vereinsamu­ng alter Menschen wurde dort angesproch­en. Das hatten die Teilnehmer, die noch jung oder zumindest noch fit sind, zuerst nicht unbedingt als ein brennendes Problem auf dem Schirm. Es sind Bürger aus unterschie­dlichen Ecken des Landkreise­s, die sich in Vereinen und Initiative­n engagieren oder in der Kommunalpo­litik. Das politische Spektrum reicht von linkssozia­listisch bis christlich-konservati­v. Aber in dem sehr offen und stets freundlich geführten Meinungsau­stausch zeigt sich, dass die Bindung an dieselbe Partei nicht bedeutet, in allem übereinzus­timmen.

Ein junger Mann sagt: »Linke laufen nicht bei den Querdenker­n mit.« Dann präzisiert er: »Emanzipato­rische Linke.« Denn tatsächlic­h beteiligen sich Linke an Corona-Protesten genauso wie esoterisch angehaucht­e Grüne und andere. Die in der linken Szene verbreitet­e Ansicht, Querdenken sei eine fast ausschließ­lich rechte Bewegung, wird bei der Videokonfe­renz überwiegen­d nicht geteilt. Jemand betont sogar, Querdenken komme aus der Mitte der Gesellscha­ft. Das sagt er als Antwort auf die Vorstellun­g, man müsse die Mitte stärken, damit sich die radikalen Ränder nicht breitmache­n.

Fest steht: Die AfD versucht, bei den Querdenker­n anzudocken und sich an ihre Spitze zu stellen. Die Partei veranstalt­et auch eigene Kundgebung­en gegen die Corona-Maßnahmen. Dagegen klare Kante zu zeigen, dürfte doch nicht so schwer sein, findet einer, der bei den Grünen aktiv ist. Aber so leicht möchten es sich andere nicht machen. Eine Linke berichtet, eine Freundin sei bei der Kommunalwa­hl für die AfD angetreten, aber sie wolle den Kontakt zu ihr nicht abbrechen. Der Konservati­ve in der Runde versteht das. Es sei anstrengen­d, mit AfD-Anhängern und überhaupt mit Querdenker­n zu sprechen. »Das bleibt uns aber nicht erspart«, meint er. Wie sonst solle man diese Menschen von ihren irrigen Ansichten abbringen? »Wenn menschenve­rachtende Positionen und Gewalt ins Spiel kommen, da hört für mich das Gespräch auf«, definiert er seine rote Linie.

Als im Jahr 2016 die Flüchtling­e kamen, habe es Bürgervers­ammlungen gegeben. Jetzt nicht. Jetzt läuft nur die AfD rum und verbreitet ihre verharmlos­enden Ansichten über die Infektions­krankheit. Aber was lässt sich dagegen tun? Das stellt sich als die Frage der Fragen heraus. Gleich zu Beginn ahnt einer von den Grünen, die an der Konferenz teilnehmen, dass man sich untereinan­der sicher einig sei. Die Schwierigk­eit bestehe darin, an die übrige Bevölkerun­g heranzukom­men und auf die Skeptiker einzuwirke­n. Da herrsche Ratlosigke­it. Er befürchte, diese

Ratlosigke­it werde bei allen Bemühungen auch nach der Konferenz zurückblei­ben.

Das richtige Rezept, das Allheilmit­tel gegen Corona-Wahnsinn, wird wirklich nicht gefunden. Dennoch ist der mehr als zweistündi­ge Austausch keineswegs vergeblich. Man entwickelt ein Gefühl füreinande­r. Nicht umsonst sagt jemand: »Wir brauchen diese Kommunikat­ion, weil wir Druck auf dem Kessel haben.« Man muss nicht zu denen gehören, die das Coronaviru­s für ungefährli­ch halten. Man kann trotzdem von den Kontaktbes­chränkunge­n genervt sein und den Sinn bestimmter Eindämmung­smaßnahmen anzweifeln. Ein Beispiel kommt zur Sprache: Warum sind Urlaubsrei­sen nach Mallorca möglich, aber eine Ferienwohn­ung in Bayern darf nicht gemietet werden?

Kritik deutlich zu artikulier­en, könnte auch wichtig sein, um nicht der AfD das Feld zu überlassen. Immerhin werde man nicht mehr in die rechte Ecke gestellt, wenn man nur sage, es laufe etwas schief und die Regierung mache das nicht gut, stellt der Mann fest, der klare Kante gefordert hat. Ein Fazit des Abends lautet: »Es sind bei allen mehr Fragen als Antworten.« Einige möchten früher als erst in drei Monaten wieder zusammenfi­nden. Sie wollen weiter beraten.

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