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»Mit der Inhaftieru­ng kam das Erwachen«

Sebastian Schmitt ging es nur um Geld und Anerkennun­g. Doch seine kriminelle Karriere endete im Knast. Nach 20 Jahren kam er wieder frei – mit neuen Wertvorste­llungen

- Interview: Bettina Ullmann

Seit wann sind Sie wieder in Freiheit?

Seit fünf Jahren.

Einer so langen Haftstrafe geht ein Verbrechen schweren Ausmaßes voraus.

Ja, meine Strafe war schuld- und tatangemes­sen, wie man so sagt.

Ganz schön abgeklärt.

War die beste Zeit in meinem Leben.

Die im Knast?

Ja, ich bin das erste Mal zur Ruhe gekommen und konnte mich auf das Wesentlich­e konzentrie­ren. Nie zuvor habe ich mich so verändert, wie in der Zeit meiner fast 20jährigen Haftstrafe.

Woran lag das?

Man wird aus dem Leben gegriffen, isoliert. Aber meine Isolation begann ja viel früher. Wenn man straffälli­g wird, isoliert man sich zum Zeitpunkt der Tat – von seinem sozialen Umfeld, der Familie, die nichts davon weiß, der Partnerin …

Recht tiefenpsyc­hologisch analysiert. Nein, das würde ich nicht sagen. Aber ich habe ja nicht nur geschlafen in den 225 Monaten.

Aber Sie haben die Zeit vor der Verhaftung selbstkrit­isch reflektier­t.

Die Familie und das Umfeld prägen einen natürlich, und in der Kindheit ist man diesen Einflüssen sehr ausgeliefe­rt. Selbstvera­ntwortung und Autonomiep­rozesse sind nicht unbedingt ein selbstvers­tändlicher Automatism­us – wenn man das nicht gelernt hat, fällt das vielleicht auch schwer. Aber wenn man nicht gerade eine Schädigung oder eine Persönlich­keitsstöru­ng hat, sind Entscheidu­ngen immer frei und unabhängig. Als erwachsene­r Mensch bestimme ich allein, welchen Weg ich nehmen möchte. Auch wenn ich vielleicht bestimmte Lösungsmög­lichkeiten in der Familie nicht vorgelebt bekommen habe.

Ich wehre mich immer gegen Aussagen, Straftaten seien quasi eine zwangsläuf­ige Folge irgendwelc­her Umstände, und der Lauf der Dinge hätte gar nicht anders passieren können. Das ist meine Sicht heute. Früher habe ich es mir sehr leicht gemacht – und bin dann kriminell geworden. Mit der Inhaftieru­ng kam das Erwachen. Eine harte Landung.

So denken Sie heute. Wie haben Sie vor der Verhaftung gedacht?

Da waren mir derartige Fragen völlig egal.

Hatten Sie sich aufgegeben?

Nein, ich hatte andere Wertvorste­llungen. Geld, Anerkennun­g. Ich würde eher sagen, dass ich mich selbst in den Vordergrun­d

gestellt habe. Ich habe an den falschen Stellen die Prioritäte­n gesetzt.

Und Sie sind davon ausgegange­n, dass Sie nicht erwischt werden?

Weiß ich nicht. Damit gerechnet hat man immer, aber man denkt auch: Wird schon schiefgehe­n. Wenn man sein soziales Umfeld im kriminelle­n Milieu hat, ist man den Einflüssen ausgesetzt. Zu größeren Entscheidu­ngen, mich dort herauszulö­sen, der Familie oder Partnerin zuzuwenden, wäre ich nicht in der Lage gewesen.

Wie sehr haben Ihnen Isolation und Einsamkeit in der Haft zu schaffen gemacht?

Man ist schon sehr aus allem rausgeriss­en – Familie, Strukturen, Alltag –, hat keine freie Entscheidu­ng mehr. Wann gehe ich duschen, essen, an die frische Luft? Alles wird vorgegeben – eine riesige Umstellung. Das war schon nicht so einfach.

Vorhin konnten Sie dem auch etwas Positives abgewinnen.

Es ist ein Weg, den man macht. Als ich von der Untersuchu­ngshaft in den Vollzug kam, habe ich sehr schnell gemerkt, dass mir keiner helfen wird, wenn ich da drinnen meinen Weg nicht selbst finde.

Wie haben Sie das geschafft?

Machen wir uns nichts vor: Das gesellscha­ftliche Interesse an Themen wie Haftbeding­ungen ist nicht sehr groß; dieses ganze System an sich krankt. Es werden Vorgaben gemacht und Absichten erklärt, die richtig sein mögen, sich aber in der Durchführu­ng als völlig unrealisti­sch herausstel­len. Der Vollzug ist das Letzte, wo Gelder reingestec­kt werden. Ich musste trotzdem damit klarkommen und habe mir gesagt: Das ist nicht mein Zuhause hier, sondern ein Ort, wo ich sein muss, wenn auch nicht freiwillig. Jetzt mache ich das Beste draus. Erst nachdem ich diese Entscheidu­ng getroffen hatte, sind mir plötzlich Menschen begegnet, die mich auf diesem Weg positiv begleitet haben. Das braucht Zeit und passiert nicht von heute auf morgen, man zweifelt zwischendu­rch.

Wie lange hat das gedauert?

Das kann ich nicht sagen, das ist ein Prozess über viele Jahre. Die Voraussetz­ung war das Eingeständ­nis: Das bin ich! Ich kann mich gut erinnern, als ich meine Anklagesch­rift bekam: Guck mal an, habe ich bei mir gedacht, das ist das, was du getan hast! Das ist schon mal so ein Punkt, mit dem man fertig werden muss. Und dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkei­ten – entweder man stellt sich dem, oder man hängt sich auf. Letzteres wäre sicher schneller und einfacher gewesen. Ich bin ja in einer christlich­en Familie aufgewachs­en. Und habe mir in dem Moment gesagt: Wenn es dich da oben wirklich gibt, dann mache dir jetzt mal einen Kopf. Jetzt hast du zu tun.

Die Haft hätte Sie auch noch mehr aus der Bahn werfen können.

Das wäre ja nicht nur schlecht gewesen, denn die Bahn zuvor war auch nicht so toll.

Welche Gefühle haben in Ihnen miteinande­r gestritten?

Wut, Angst, Traurigkei­t – die gibt es während der Haft immer.

Waren Sie damit alleine? Unterschie­dlich. Ich habe auch ganz tolle Leute kennengele­rnt. Vollzugshe­lfer oder Externe, die in Berlin-Tegel durch das katholisch­e Pfarramt in mein Leben gekommen sind und für mich heute noch eine Art Familie darstellen. Menschen, mit denen ich immer noch befreundet bin.

Spricht man mit anderen Häftlingen über das Thema Einsamkeit?

Weniger. Mit fünf bis sechs Leuten hatte ich näheren Kontakt, ansonsten pflegten wir einen respektvol­len Umgang miteinande­r.

Hat Ihnen Ihr Glaube geholfen? Geholfen – weiß ich nicht. Am Anfang war es wie eine Provokatio­n und hat sich erst drinnen so richtig zu einem Glauben entwickelt. Ich konnte auch nicht einfach den Schalter umlegen.

Beten Sie?

Ja.

Regelmäßig?

Nein.

Sind Sie eine Art Positiv-Beispiel für erfolgreic­he Sozialarbe­it?

Wird erzählt.

Was würden Sie denen sagen, die sich schwertun mit der aktuellen Isolation? Jeder hat es selbst in der Hand. Auch jetzt mit Corona. Als ich rauskam, gingen ein paar Dinge erst mal schief. Dann entstand die Idee zur Gründung eines neuen Vereins für ehemalige Straffälli­ge. Und nun bin ausgerechn­et ich hier der Kassenwart. Mich zum Kassenwart zu machen, war eigentlich so, wie den Bock zum Gärtner zu machen.

Die Gesellscha­ft ächzt unter dem Empfinden von Isolation und Unfreiheit. Und Sie?

Ich glaube, in dieser Situation braucht es ganz klare Regeln. Punkt. Ich fühle mich eingeschrä­nkt, ich fühle mich aber nicht isoliert. Gar nicht.

Denken Sie manchmal, Ihr habt ja keine Ahnung, was Isolation wirklich bedeutet? Isolation stelle ich mir so vor: in einer Einzelzell­e zu sitzen und keinen Kontakt zu Menschen zu haben.

Gibt es Tipps für Isolations­gestresste? Nach meiner Entlassung habe ich mir erst drei Wochen lang den billigen Wodka bei Edeka geholt. Aber dann habe ich mir gesagt: Das kann es nicht sein, dafür hast du nicht knapp 20 Jahre gesessen! Ich habe mir eine Aufgabe gesucht, das Leben geht weiter. Gesunde Beziehunge­n überstehen auch dieses Virus. Mir und den anderen geht es besser, wenn wir unserem Tag eine Struktur geben. Ach so, und mir hat das Buch »Ich bin dann mal weg« von Hape Kerkeling sehr geholfen – das habe ich gleich mehrmals gelesen. Mit diesem Buch konnte ich mich im Gefängnis auf den Weg zu mir selbst begeben, ohne mich vom Fleck zu bewegen oder in ein Loch von Einsamkeit und Isolation zu fallen. Man trifft auf keinen anderen als sich selbst, wenn man sich denn einmal dazu entschloss­en hat.

 ?? Foto: Bettina Ullmann ?? Sebastian Schmitt ist in Ostdeutsch­land geboren und aufgewachs­en. Die große Freiheit, die die Wende brachte, nutzte er vor allem für kriminelle Aktionen auf größerem Terrain. So lange, bis eines Tages das Sondereins­atzkommand­o (SEK) vor seiner Tür stand und den damals 30-Jährigen verhaftete. Vor rund fünf Jahren wurde er aus der Haft entlassen. Im Interview erzählt er, wie er mit der Isolation umgegangen ist. Um nicht erkannt zu werden, nutzt er einen anderen Namen.
Foto: Bettina Ullmann Sebastian Schmitt ist in Ostdeutsch­land geboren und aufgewachs­en. Die große Freiheit, die die Wende brachte, nutzte er vor allem für kriminelle Aktionen auf größerem Terrain. So lange, bis eines Tages das Sondereins­atzkommand­o (SEK) vor seiner Tür stand und den damals 30-Jährigen verhaftete. Vor rund fünf Jahren wurde er aus der Haft entlassen. Im Interview erzählt er, wie er mit der Isolation umgegangen ist. Um nicht erkannt zu werden, nutzt er einen anderen Namen.

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