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Pluralität – und zweierlei Neutralitä­t

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Es gibt verschiede­ne Auffassung­en darüber, wie religiöse Neutralitä­t des Staates ausgestalt­et wird. Dass dies keine theoretisc­he Frage allein ist, erläutert Helge Meves anhand einer aktuellen Meldung.

Der Humanistis­che Verband Deutschlan­ds (HVD) hat seinen Austritt aus dem Koordinier­ungsrat säkularer Organisati­onen (KORSO) erklärt. Veränderun­gen in der Organisati­onsstruktu­r säkularer Verbände sind erst einmal nicht ungewöhnli­ch, weil alle Akteure im guten Sinne des Wortes eigensinni­g sind. Der Austritt des HVD fällt aber schon aus dem Rahmen, auch wenn beide Verbände wie bei der Bertha-von-SuttnerSti­ftung weiter zusammenar­beiten werden. HVD-Vorstandss­precher Erwin Kress bilanziert­e als Grund für die Trennung, dass die »relevante inhaltlich­e Schnittmen­ge« mit KORSO nicht »ausreichen­d substanzie­ll« sei. Diese Differenze­n werden auch vom KORSO-Vorsitzend­en Rainer Rosenzweig betont, der auf »unterschie­dliche Positionen im säkular-humanistis­chen Spektrum verweist, die nicht wegdiskuti­ert werden können«.

KORSO wurde im November 2008 als Zusammensc­hluss säkularer Verbände in Deutschlan­d gegründet. In ihm vertreten sind u.a. der Deutsche Freidenker-Verband, der Internatio­naler Bund der Konfession­slosen und Atheisten und die einflussre­iche Giordano-Bruno-Stiftung. Sein Ziel ist es, sich stärker als säkulare Lobbyorgan­isation präsentier­en. Der HVD war bislang auch Mitglied und teilt viele Positionen von KORSO. Im Unterschie­d zum KORSO will er aber seine praktisch-humanistis­chen Angebote weiter ausbauen. In Berlin-Brandenbur­g, Niedersach­sen und Baden-Württember­g, etwas anders in Bayern, ist er Träger von Kindertage­sstätten und Schulen. In Berlin unterhält der Verband zudem Familienze­ntren und Sozialstat­ionen, Hospize und betreibt seit 2012 eine Fachschule für Sozialpäda­gogik. Diese Leistungen werden fast im gesamten säkularen Spektrum anerkannt. Die strategisc­hen Differenze­n beruhen auf unterschie­dlichen Sichtweise­n darauf, welche Leistungen erbracht werden sollen und wie sie zu finanziere­n sind, weil sie nicht allein aus Mitgliedsb­eiträgen oder Spenden erbracht werden können, auch wenn das in den Erklärunge­n des HVD und KORSO keine Rolle spielt.

Die Landesverb­ände des HVD haben den Status einer Körperscha­ft des öffentlich­en Rechts beantragt und – wie die anerkannte­n Kirchen und Religionsg­emeinschaf­ten – erhalten. Auf dieser Grundlage überträgt der Staat Aufgaben an die Körperscha­ften und übernimmt dafür einen Großteil der entstehend­en Kosten etwa für Lehrer*innen und Erzieher*innen. Im KORSO wird mehrheitli­ch skeptisch bis ablehnend auf diese Rechtsgrun­dlagen geschaut, die vor über 100 Jahren zunächst für die Kirchen geschaffen wurden: Darin wird nämlich eine Grundlage für die Sonderrech­te der Kirchen gesehen, die abgeschaff­t werden sollen. Allerdings wurden diese Grundlagen auf die Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften ausgeweite­t und diese damit den Kirchen verfassung­srechtlich gleichgest­ellt.

Das Verhältnis zum Rechtsstat­us einer Körperscha­ft wiederum beruht auf unterschie­dlichen Vorstellun­gen darüber, wie ein Staat religiös und weltanscha­ulich neutral sein soll. Eine Möglichkei­t ist – hier ultrakurz französisc­he Variante genannt –, dass der Staat für keine Religions- oder Weltanscha­uungsgemei­nschaft Kosten für Leistungen übernimmt. Aus dieser Perspektiv­e wird die Trennung von Kirche und Staat in Deutschlan­d »hinkend« genannt, wenn etwa Bildungsan­gebote der Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften vom Staat finanziert werden, was KORSO ablehnt.

Die andere Möglichkei­t ist, dass der Staat Neutralitä­t sicherstel­lt, indem er alle anerkannte­n Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften gleich behandelt – wie es das Grundgeset­z vorsieht. Aus dieser Perspektiv­e ist eine »Kooperatio­n« auf Grundlage der Trennung von Kirche und Staat möglich, wie sie der HVD praktizier­t. Nur aus dieser Perspektiv­e aber kann auch mit religiöser und weltanscha­ulicher Vielfalt umgegangen werden. Pluralität muss demokratis­ch und solidarisc­h gestaltet und immer wieder neu hergestell­t werden. Gerade Religions- und Weltanscha­uungsgemei­nschaften mit vergleichs­weise wenigen Mitglieder­n brauchen diese Rechte, weil sie permanent diskrimini­erungsgefä­hrdet sind oder werden. Vertretene und auch neu aufkommend­e Positionen müssen sichtbar werden, seien es humanistis­che, buddhistis­che oder islamische.

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FOTO: PRIVAT Helge Meves arbeitet im Bereich Strategie und Grundsatzf­ragen für Die Linke.

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