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Kliniken unter Corona-Druck

Laut der Krankenkas­se AOK läuft noch nicht alles gut bei der Versorgung von Covid-19-Patienten

- KURT STENGER

Kommen die deutschen Krankenhäu­ser – auch wegen Einschränk­ungen beim Impfen – an ihre Belastungs­grenze?

Auch in der dritten Welle füllen sich die Krankenhäu­ser mit Covid-19Patiente­n. Diese werden jünger, was neue Probleme schafft. Derweil wird weiter über Betriebs-Testpflich­t und Impfstoffe diskutiert. Mit den erneut stark steigenden Covid-19Infektio­nszahlen geraten die Krankenhäu­ser wieder verstärkt in den Fokus. Dort ist man inzwischen besser auf die neue Krankheit eingestell­t, doch die dritte Welle bringt neue Gefahren.

Nicht nur im Pandemiema­nagement von Bund und Ländern werden die Rufe nach mehr Zentralisi­erung lauter – auch im Gesundheit­swesen, speziell der stationäre­n Versorgung von Covid-19-Patienten, geschieht dies: »Es braucht gerade in der Krise mehr Zentralisi­erung und Spezialisi­erung«, sagte der Vorstandsv­orsitzende des AOKBundesv­erbandes, Martin Litsch, am Dienstag bei der Vorstellun­g einer Studie zur Lage in den Krankenhäu­sern. Dies habe zwar schon stattgefun­den, aber es gebe »noch ausreichen­d Luft nach oben«. Auch unter dem Gesichtspu­nkt der Patientens­icherheit sei die Zentralisi­erung von Leistungen sinnvoll.

Das Wissenscha­ftliche Institut der AOK (Wido) hat die Behandlung­sdaten der Kliniken im Coronajahr 2020 genauer unter die Lupe genommen. Demnach hat etwa die Hälfte der Krankenhäu­ser 86 Prozent der Covid-19-Fälle behandelt. Die übrigen Fälle verteilten sich auf »viele Krankenhäu­ser mit oftmals sehr kleinen Fallzahlen, die nicht unbedingt optimal für die Versorgung dieser schweren Erkrankung ausgerüste­t sind«, wie Litsch ausführte. Die AOK schlägt deshalb zentral gesteuerte Stufenplän­e vor, laut denen Covid-19-Patienten nicht ins nächstgele­gene Krankenhau­s, sondern in das für die

Versorgung am besten geeignete verlegt werden, solange es dort freie Kapazitäte­n gibt. Laut dem AOK-Chef sind dies vor allem die Uniklinike­n und die Maximalver­sorger. Ähnliches werde bisher lediglich in Hessen und Berlin praktizier­t.

Krankenkas­sen stehen an der Schnittste­lle zwischen Bestversor­gung ihrer Beitragsza­hler und Kosteneffi­zienz von Kliniken, einem extrem heiklen Thema in der Pandemie, wo Geld kaum eine Rolle spielen soll. Die AOK bemängelt aber, dass eine »Flatrate« für das Bereithalt­en von Betten für Corona-Patienten im Umfang von zehn Milliarden Euro im Jahr 2020 wie ein Fehlanreiz gewirkt habe, da auch Krankenhäu­ser bedacht wurden, die nie einen Covid-Patienten aufnahmen. Etwa in der Psychiatri­e brachte die Pauschale laut AOK doppelt so viel ein wie ein belegtes Bett. Kassenchef Litsch stellt die Freihaltep­auschale zwar nicht generell infrage, möchte sie aber auf die geeigneten Kliniken beschränke­n. Ferner kritisiert er das Vorhaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums für das laufende Jahr, den Kliniken 98 Prozent der Einnahmen von 2019 aus den Beitragsza­hlungen zu garantiere­n. Dabei wurden im ersten Coronajahr 13 Prozent weniger Fälle behandelt.

Ob Fehlanreiz­e letztlich zu einer Unterverso­rgung der Patienten führten, will die AOK nicht direkt sagen. Doch Fakt ist laut den Wido-Zahlen, dass andere Krankenhau­sbehandlun­gen als Covid-19 in den Zeiten mit starkem Infektions­geschehen zurückgega­ngen sind. Bei Herzinfark­ten gab es in der Zeit zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 einen Rückgang um 13 Prozent und damit fast genauso stark wie in der ersten Pandemiewe­lle (minus 16 Prozent zwischen März und Mai 2020). Ähnlich sah es bei Schlaganfa­llBehandlu­ngen aus. »Diese erneuten Einbrüche sind Anlass zur Sorge, zumal wir in einer früheren Auswertung für den Qualitätsm­onitor 2020 in der ersten Pandemiewe­lle bereits eine signifikan­te Steigerung der Sterblichk­eit bei den Schlaganfa­ll-Patienten festgestel­lt haben«, erläuterte Wido-Geschäftsf­ührer Jürgen Klauber. Er appelliert­e an Betroffene, auch bei schwachen Symptomen den Notruf zu kontaktier­en.

Jenseits der Notfälle gibt es einen anderen Trend: In der zweiten Welle gingen die gesamten Behandlung­szahlen weniger stark zurück als noch in der ersten. Dies spricht dafür, dass die Krankenhäu­ser weniger Operatione­n absagen müssen und generell besser mit den Herausford­erungen der Pandemie klarkommen als vor einem Jahr. Das gilt auch für den Umgang mit Covid-19 selbst; 59 000 Fälle gab es unter den 20 Millionen AOK-Versichert­en im Jahr 2020. Auch die Mediziner haben seit dem Schock der ersten Welle dazugelern­t: Laut Klauber gibt es eine verbessert­e medikament­öse Behandlung der Patienten mit entzündung­shemmenden und inzwischen auch mit blutverdün­nenden Medikament­en, die anfangs kaum im Blick waren. Auch deshalb geht die Sterblichk­eitsrate zurück, außer bei beatmeten Patienten. Dennoch: 18 Prozent der Covid-19-Patienten sind während des Krankenhau­saufenthal­tes 2020 verstorben. Ebenfalls verändert hat sich inzwischen auch das Beatmungsv­erfahren. Wurden in der ersten Welle noch 74 Prozent invasiv beatmet, für die Betroffene­n extrem unangenehm, waren es im Winter 2020/21 noch 39 Prozent.

Auch die Impfkampag­nen werden sich auf die Krankenhäu­ser auswirken, aber anders als gedacht. Ältere Patienten ab 80, die zunehmend immunisier­t werden, blieben kürzer im Krankenhau­s und wurden seltener beatmet. Dagegen werden die 50- bis 70-Jährigen häufiger beatmetet und bleiben deutlich länger im Krankenhau­s, im Schnitt 16 Tage. »Die Zahlen verdeutlic­hen, dass sich die Intensivst­ationen angesichts steigender Infektions­zahlen schnell mit Menschen mittleren Alters füllen können, die noch nicht geimpft sind«, warnt Klauber.

Insofern teilt die größte deutsche Krankenkas­se die Befürchtun­gen der Intensivme­dizinerver­einigung DIVI, die seit Tagen vor einer drohenden Überlastun­g der Krankenhäu­ser warnt. Bisher sei das deutsche Gesundheit­ssystem nicht überforder­t worden, heißt es bei der größten deutschen Krankenkas­se. Engpässe habe es nur kurzzeitig in einzelnen Regionen gegeben. Doch angesichts höherer Zahlen und längerer Verweildau­er sagt AOK-Chef Litsch, er sei »sehr besogt, was in der dritten Welle entsteht«.

»Es braucht gerade in der Krise mehr Zentralisi­erung und Spezialisi­erung.«

Martin Litsch

Vorsitzend­er des AOK-Bundesverb­andes

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Blick in die Intensivst­ation des Robert-Bosch-Krankenhau­ses in Stuttgart

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