nd.DerTag

Rechtsgrun­dlage für ein »Notparlame­nt«

Schleswig-Holstein: Regelung für Katastroph­enfälle in der Landesverf­assung verankert

- DIETER HANISCH, KIEL

Als erstes Bundesland überhaupt hat der schleswig-holsteinis­che Landtag jetzt die rechtliche Grundlage für ein sogenannte­s Notparlame­nt durch Verankerun­g in seiner Landesverf­assung geschaffen. Gedacht ist der nun beschlosse­ne neue Artikel 47a der Verfassung für Katastroph­enfälle. Er soll ein Durchregie­ren der Exekutive verhindern. Die Problemlag­en der Corona-Pandemie dürften dazu beigetrage­n haben, dass die Verfassung­sänderung jetzt das Parlament passierte, auch wenn diese ausdrückli­ch nicht für die aktuelle Situation gilt.

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Eka von Kalben, sprach in der Debatte zum parteiüber­greifenden Gesetzentw­urf vergangene­n Freitag allen aus der Seele, als sagte, sie hoffe, »dass wir solch ein Notparlame­nt niemals einberufen werden«. Das Gremium soll seine Arbeit aufnehmen, wenn etwa ein Nuklearunf­all, eine Wetter-Extremlage, eine Seuche oder eine »drohende Gefahr für die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng« die Abgeordnet­en daran hindert, den Landtag zu erreichen oder sich digital zuzuschalt­en.

Nur dann soll ein mindestens elfköpfige­r Notausschu­ss zusammentr­eten, der die aktuellen Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament abbildet. Wann solch ein Notfall gegeben ist, bestimmt der jeweilige Landtagspr­äsident, der sich seine Einschätzu­ng aber vom Landesverf­assungsger­icht bestätigen lassen muss. Übertragen auf die aktuelle Situation könnte solch eine Notlage eintreten, wenn etwa der Großteil der Abgeordnet­en an Covid19 erkrankt und hospitalis­iert wäre.

Den Entwurf für eine Ergänzung der Landesverf­assung hatten CDU, SPD, Grüne und FDP bereits Anfang November 2020 veröffentl­icht. Aus Sicht der CDU wird erst durch den jetzigen Beschluss die Demokratie krisenfest gemacht. Das Notgremium darf nur Entscheidu­ngen treffen, die die Handlungsf­ähigkeit der Verwaltung des Landes während der Notsituati­on sichern. Der Ausschuss hat keine Befugnisse, Machtverhä­ltnisse zu verändern, darf also kein Misstrauen­svotum gegen den Ministerpr­äsidenten ausspreche­n, keine Wahlen veranlasse­n oder gar die Verfassung ändern. Der Südschlesw­igsche Wählerverb­and bekräftigt­e, dass er einen Missbrauch der Regelung für ausgeschlo­ssen halte. Der Ausschuss stelle »keine Trittleite­r in die Diktatur« dar. Warnungen vor Entwicklun­gen wie Ende der 1960er Jahre vor dem Hintergrun­d der Notstandsg­esetze hält der SSW daher auch nicht für angebracht. Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD und der von der AfD abgespalte­nen fraktionsl­osen Abgeordnet­en stimmten der Verfassung­sänderung zu.

Zuvor waren in einer Anhörung verfassung­srechtlich­e Bedenken erörtert worden. So wies ein Vertreter der Neuen Richter-Vereinigun­g darauf hin, dass das Landesverf­assungsger­icht, das der Ausrufung einer Notlage zustimmen muss, aus sieben ehrenamtli­chen Richter*innen besteht, die im Ernstfall womöglich gar nicht so schnell wie nötig zusammenko­mmen können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany