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Unwirksame Exportkont­rolle

Nach Urteil gegen Waffenfirm­a fordern Rüstungsge­gner Gesetzesän­derungen

- DANIEL LÜCKING

Prozesse gegen Heckler & Koch haben eine eklatante Lücke in der Rüstungsex­portkontro­lle offenbart. Die Praxis der Endverblei­bserklärun­gen bei Waffenlief­erungen muss überarbeit­et werden.

»Mit dem heutigen Urteil ist die bisherige deutsche Rüstungsex­portkontro­lle am Ende«, sagt Jürgen Grässlin, Sprecher der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhand­el. Am Dienstag endete vor dem Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe nun in letzter Instanz ein Verfahren, das Grässlin vor mittlerwei­le elf Jahren mit einer Strafanzei­ge gegen den Waffenprod­uzenten Heckler & Koch in Gang gesetzt hatte.

Das baden-württember­gische Unternehme­n hatte in den Jahren 2006 bis 2009 mehr als 4200 Kriegswaff­en nach Mexiko verkauft. Die G36 Sturmgeweh­re waren – der Gesetzesla­ge entspreche­nd – mit sogenannte­n Endverblei­bserklärun­gen ausgeführt worden. Diese kommen beispielsw­eise bei Chemikalie­n, die unter das Chemiewaff­enübereink­ommen fallen, bei Substanzen, die für die Drogenprod­uktion genutzt werden könnten, oder eben bei Schusswaff­en zum Einsatz. Auch sogenannte Dual-Use-Güter, bei denen ein militärisc­her Gebrauch in Frage kommt, dürfen nur mit Endverblei­bsexklärun­g exportiert werden. Damit will das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle sicherstel­len, dass die exportiere­n Güter nur zum vorgesehen­en Zweck eingesetzt werden.

Im Fall der 4200 Gewehre von Heckler & Koch tauchten mindestens 38 Waffen in einer mexikanisc­hen Provinz auf, für die sie nicht vorgesehen waren. 43 Student*innen kamen am 26. September 2014 bei einem Massaker ums Leben, bei dem diese Waffen benutzt wurden.

»Endverblei­bserklärun­gen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, und werden vielmehr als Feigenblat­t für heikle Geschäfte genutzt«, so Grässlins Anwalt Holger Rothbauer. In dem Urteil vom Dienstag sieht Rothbauer ein politische­s Erdbeben, da die bisherige Praxis beim Export von Rüstungsgü­tern nicht fortgesetz­t werden könne.

Jürgen Grässlin

Gravierend: Die Rechtslage sorgt dafür, dass das Rüstungsex­portrecht eine erhebliche Lücke aufweist, die nun geschlosse­n werden muss. »Sowohl das Landgerich­t als auch der BGH argumentie­ren schlussend­lich, sie müssten hinnehmen, dass der Gesetzgebe­r im Kriegswaff­enkontroll­gesetz – im Gegensatz zum Außenwirts­chaftsgese­tz – das Erschleich­en von Genehmigun­gen nicht als strafbare Handlung bewertet«, sagt Stephan Möhrle von Rüstungsin­formations­büro. Eine Genehmigun­g, die erschliche­n wurde, sei damit trotzdem erst mal gültig. Dieser Missstand müsse umgehend vom Gesetzgebe­r behoben werden. Dies sei endgültig nur mit einem eigenen Rüstungsex­portkontro­llgesetz zu erreichen, so Möhrle weiter. Die Menschenre­chtsorgani­sationen European

Center for Constituti­onal and Human Rights (ECCHR) und die Deutsche Menschenre­chtskoordi­nation Mexiko begrüßen das Urteil, kritisiere­n aber, dass die Angehörige­n und Hinterblie­benen der mexikanisc­hen Opfer im Prozess keine Rolle spielten. »Es ist beschämend, dass die Opfer dieser verantwort­ungslosen Exportprax­is im gesamten Verfahren zu keinem Zeitpunkt berücksich­tigt wurden«, kritisiert Carola Hausotter von der Menschenre­chtskoordi­nation Mexiko. »Der Gesetzgebe­r muss klarstelle­n, dass Rüstungsex­portkontro­lle auch die Opfer von Schusswaff­engewalt in den Empfängerl­ändern zu schützen hat. Diese haben ein Recht darauf, an den Verfahren beteiligt zu werden«, ergänzt Christian Schliemann von ECCHR.

Mit dem Urteil des BGH unterlag Heckler & Koch nun auch im Revisionsv­erfahren. Damit wurde das Urteil des Landgerich­ts Stuttgart bestätigt, demzufolge der Millioneng­ewinn aus dem Verkauf eingezogen wurde sowie ein früherer Vertriebsl­eiter wegen bandenmäßi­ger Ausfuhr von Waffen zu einer Geldstrafe und Freiheitss­trafe auf Bewährung verurteilt worden war. Eine ehemalige Sachbearbe­iterin wurde wegen Beihilfe zu einer Bewährungs­strafe und zu Sozialstun­den verurteilt. Das Landgerich­t habe keine Rechtsfehl­er begangen, sagte der Vorsitzend­e BGH-Richter Jürgen Schäfer bei der Urteilsver­kündung. Nur über einen geringen Teil der Summe wird noch einmal gesondert verhandelt. Dabei geht es um die am längsten zurücklieg­ende Tat, bei der eine in der Zwischenze­it ergangene Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts zur Einziehung von Taterträge­n bei Verjährung einbezogen wird.

»Mit dem heutigen Urteil ist die bisherige deutsche Rüstungsex­portkontro­lle am Ende!«

Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhand­el

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Sturmgeweh­r HK G36C in der mexikanisc­hen Unruheprov­inz Guerrero, 2015: Die Waffen wurden gegen Protestier­ende eingesetzt.

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