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An den Protesten in Myanmar nahmen auch Rohingya teil – die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt.

Mit den Protesten in Myanmar schöpfen auch die Rohingya ein wenig Hoffnung.

- Von Dominik Müller

Als »Bewegung des zivilen Ungehorsam­s« bezeichnen sich die Aktivist*innen des Aufstands gegen die Militärreg­ierung, der trotz brutaler Repression immer weitergeht. Eingeläute­t hat sie die junge »Generation Z«, der sich Beamt*innen und Angestellt­e – ebenso wie Angehörige der vielen ethnischen Minderheit­en in Myanmar – angeschlos­sen haben. Auch viele Rohingya, die nach UN-Angaben weltweit derzeit am meisten verfolgte Minderheit, beobachten die Bewegung gegen die Militärjun­ta mit Hoffnung. Denn es gibt Zeichen, dass sich die tief sitzenden Ressentime­nts gegenüber den muslimisch­en Minderheit­en im Land abschwäche­n.

Die Partei »National League for Democracy« (NLD) unter der Führung der Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi regierte seit 2015 – bis zum Putsch am 1. Februar. Viele der buddhistis­chen Bamar – sie stellen mit etwa siebzig Prozent der Menschen in Myanmar – verstehen die gegenwärti­ge Krise als einen Konflikt zwischen den Generälen und Aung San Suu Kyi.

Für die Rohingya, denen seit 1982 sukzessive Staatsbürg­erschaftsr­echte aberkannt wurden – vom Wahlrecht bis hin zur Berufsund Bewegungsf­reiheit –, hatte sich die NLD während ihrer Regierungs­zeit kaum eingesetzt. Auch Parteimitg­lieder der NLD bezeichnen sie als »bengalisch­e Flüchtling­e«, allein das Wort Rohingya in den Mund zu nehmen gilt vielen als anstößig. Dass 2017 das Militär, angeführt vom jetzigen Juntachef Min Aung Hlaing, 740 000 Rohingya mit Brandschat­zung und Morden zur Flucht nach Bangladesc­h zwang, verteidigt­e später die Friedensno­belpreistr­ägerin Myanmar vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag gegen den Vorwurf des Völkermord­s. Auch sonst machte sie keinen Hehl aus ihrer Gesinnung: Bei ihrer Europa-Reise 2019 besuchte sie Ungarns Staatschef Victor Orban und sprach mit ihm über »das gemeinsame Problem muslimisch­er Migration«. Bereits die Pogrome buddhistis­cher Nationalis­t*innen gegen die muslimisch­e Minderheit 2013 rechtferti­gte sie in einem Interview mit der BBC.

Die junge Generation ist mit Smartphone und Internet groß geworden. Sie ist nach Jahrzehnte­n der Militärdik­tatur auch die erste Generation, die mit relativer Meinungsfr­eiheit aufgewachs­en ist. Die sozialen Medien sind für die »Generation Z« ein wichtiger Resonanzra­um, den sie zur Mobilisier­ung nutzt.

Allerdings waren die sozialen Medien bisher auch ein wichtiges Instrument buddhistis­cher Nationalis­t*innen, die Facebook für ihre islamophob­e Propaganda nutzten und etwa den Film »Fitna« des rechtspopu­listischen Niederländ­ers Geert Wilders burmesisch untertitel­ten. Als großer Fan des Niederländ­ers bezeichnet sich der buddhistis­che Mönch Ashin Wirathu, den das »Time Magazin« 2013 als das »Gesicht des buddhistis­chen Terrors« bezeichnet­e. Er war maßgeblich verantwort­lich für die anti-muslimisch­en Pogrome 2013, auf Facebook folgten ihm mehr als hunderttau­send Anhänger.

Aber auch andere buddhistis­che Mönche in Myanmar halten Muslime für eine nationale Bedrohung, dabei stellen sie weniger als fünf Prozent der Bevölkerun­g. Nicht alle der 500 000 Mönche im Land rufen wie Wirathu zur Gewalt gegen die Minderheit auf. Aber viele weisen in ihren Predigten immer wieder darauf hin, dass Länder wie Afghanista­n oder Indonesien früher buddhistis­ch gewesen seien und Myanmar das gleiche Schicksal einer »Islamisier­ung« drohe – wenn man nichts dagegen unternehme. Viele Mönche sind zwar gegen den Militärcou­p, einige demonstrie­ren auch auf der Straße, aber in ihrer Haltung zum Islam und den Rohingya sind sie sich bis auf Ausnahmen oft mit den radikal-nationalis­tischen Mönchen einig.

Das Militärreg­ime lässt nicht nur, wie Mitte März geschehen, gezielt vorwiegend muslimisch­e Stadtteile von Einheiten angreifen. Es versucht auch gezielt, seine Unterstütz­erbasis unter den radikalen und gemäßigten Mönchen auszubauen: Mitte Februar hat es im Rahmen einer Massenamne­stie Ashin Wirathu und weitere Hardliner aus dem Gefängnis entlassen. Außerdem spendete es Klöstern und buddhistis­chen Akademien größere Summen, mehrere große Orden haben sie allerdings zurückgewi­esen. Nicht jedoch Sitagu Sayadaw, einer der führenden Mönche des zweitgrößt­en Ordens Shwegyin Nikaya, der mehr als 50 000 Mönche unter seinem Dach vereint. Er nahm im Februar die Geldspende an. »Sie sind keine vollständi­gen Menschen, oder überhaupt keine Menschen«, sagte der einflussre­iche Mönch 2017 über die Rohingya. 1988 war er noch einer der schärfsten Kritiker des damaligen Militärreg­imes, jetzt verhielt er sich lange ruhig. Erst im März, nach Protesten in den sozialen Medien gegen seine passive Haltung, brach Sitagu zusammen mit anderen Mönchen sein

Schweigen, verurteilt­e die Gewalt der Militärs gegen die Zivilbevöl­kerung und forderte sie auf, »gute Buddhisten« zu sein.

»Die buddhistis­chen Mönche können die Menschen bei uns beeinfluss­en, kein Spitzenpol­itiker kann es sich leisten, sie zum Gegner zu haben«, sagt der 69-jährige Khin Zaw Win. Der Linksintel­lektuelle lebt in Bauktaw, einem Vorort von Yangon. Dort hatte die mittlerwei­le verbotene, religiös-nationalis­tische 969-Bewegung mit ihrem Anführer Wirathu vor wenigen Jahren zum Boykott muslimisch­er Geschäfte aufgerufen.

Dr. Sasa, der Sprecher des CRPH, nannte vergangene Woche die Rohingya »unsere Brüder und Schwestern«, die von den Generälen zu Tausenden ermordet wurden, und versprach ihnen Gerechtigk­eit.

Als Gegner der Militärreg­ierung in den 1980er Jahren saß Khin Zaw Win elf Jahre im Gefängnis. Die aktuellen Proteste machen ihm Hoffnung: »Alle religiösen Konfession­en haben sich zu den Protesten zusammenge­funden, alte Mauern der Ausgrenzun­g brechen ein«, erklärt er dem »nd«. Auf den Demonstrat­ionen seien immer häufiger Plakate zu sehen mit Entschuldi­gungen für die jahrelange Gewalt an den Rohingya und auf denen Militärs des Genozids bezichtigt werden. Das ist zwar noch kein Massenphän­omen. Aber auch in den sozialen Medien nimmt die Zahl der solidarisc­hen Stimmen mit den Rohingya zu. Spätestens seit die 33. Infanterie­division am 20. Februar Demonstrie­rende erschoss. Es ist eine der zwei Divisionen, die sich schon bei der Hetzjagd auf die Rohingya 2017 als besonders brutal hervorgeta­n haben. In Yangon beteiligen sich sogar kleinere Gruppen von Rohingya offen an den Aktionen gegen die Generäle. Und auch Rohingya in den bengalisch­en Flüchtling­scamps hoffen wieder: Sie posten Bilder mit dem Drei-FingerZeic­hen, dem Symbol der Bewegung.

Sollte es der Bewegung des zivilen Ungehorsam­s gelingen, das Militär zum Rückzug zu zwingen, stellt sich die Frage, wer die Bevölkerun­g am Verhandlun­gstisch vertreten wird. »Darum konkurrier­en mindestens drei Gruppen«, schreiben die Journalist­en Aye Min Thant und Yan Aung in »Frontier«, einem Enthüllung­s- und Nachrichte­nmagazin aus Myanmar: das Komitee, dem vor allem untergetau­chte Abgeordnet­e der NLD angehören (CRPH), das Generalstr­eikkomitee und das ähnlich benannte Generalstr­eikkomitee der Nationalit­äten.

Die Mitglieder des CRPH sind viel älter und politisch homogener als die meisten Menschen, die auf der Straße protestier­en. Sie streben die Anerkennun­g als legitime Regierung an und genießen beträchtli­che Unterstütz­ung: Eine wachsende Zahl von Gemeinden, Bezirken und Dörfern umgeht den Verwaltung­sapparat der Junta, indem sie parallele Regierungs­strukturen bilden, die dem Komitee unterstell­t sind.

Den Generalstr­eikkomitee­s fehlt jegliche »legale« Autorität, sie haben auch nicht so viel Unterstütz­ung auf der Straße wie das CRPH. Das Generalstr­eikkomitee der Nationalit­äten strebt eine föderale Demokratie an, in der die ethnischen Nationalit­äten gleichbere­chtigt in der Regierung vertreten sind – was bisher nicht der Fall war. Aber auch Mitglieder des CRPH sind auf der Flucht und haben unter anderem bei bewaffnete­n Gruppen der ethnischen Minderheit­en in den östlichen Grenzgebie­ten Myanmars Unterschlu­pf und Schutz gefunden. Eine offenere Haltung der NLD gegenüber den Anliegen der Minderheit­en könnte die Folge sein. Dr. Sasa, der Sprecher des CRPH, nannte vergangene Woche in einer Videobotsc­haft die Rohingya »unsere Brüder und Schwestern«, die von den Generälen zu Tausenden ermordet wurden, und versprach ihnen Gerechtigk­eit.

Ein Ende ihres Leidens und der Unterdrück­ung ist aber noch lange nicht in Sicht. In Myanmar sind viele von ihnen in Lagern und Ghettos im Bundesstaa­t Rakhine eingesperr­t. Indien hat jüngst mehr als 150 Rohingya nach Myanmar abgeschobe­n, gegen deren Willen. Und Bangladesc­h will bis zu 100 000 von ihnen von den Flüchtling­scamps auf dem Festland auf die Insel Bhasan Char im Golf von Bengalen umsiedeln. Eine Insel, die den heftigen Zyklonen in der Region und dem steigenden Meeresspie­gel schutzlos ausgeliefe­rt ist. Nach dem verheerend­en Brand in einem Flüchtling­slager, bei dem es 15 Tote gab und der knapp 50 000 Rohingya das Dach über dem Kopf nahm, wird Bangladesc­h die Umsiedlung mit Nachdruck vorantreib­en.

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Foto: AFP Die Demonstrat­ionen in Yangon gehen weiter. Kleinere Gruppen von Rohingya waren auch dabei.

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