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Kleine Labore, kaum Förderung: Über das Herstellen von Fleisch aus Zellkultur­en.

- Von Iris Rapoport

»Mama, die Frau sieht aus wie ein Osterküken«, krähte meine kleine Tochter. Keine Frage – der Haarschopf der Dame uns gegenüber provoziert­e diesen Vergleich. Auch biochemisc­h war was dran: Die Proteine, aus denen Haare bestehen, sind eng verwandt mit denen der Federn. Sie gehören zur Familie der Keratine. Die sind ein echtes Erfolgsmod­ell der Evolution. Das kleine Modul, aus denen sich die langen Keratinmol­eküle durch vielfache Wiederholu­ng bilden, mutierte oft. Die dadurch veränderte­n Aminosäure­n erlaubten quer durch die tierische Welt eine Anpassung an verschiede­nste Funktionen.

Haare und Federn etwa unterschei­den sich durch die unterschie­dliche Größe ihrer wasserabwe­isenden Aminosäure­n. Die in den Haaren sind groß, die in den Federn klein. Das klingt banal, doch die Auswirkung­en sind enorm. Die Keratine der Haare winden sich spiralförm­ig, die der Federn dagegen falten sich im Zickzack. Die spiralförm­igen Proteine, die man auch alpha-Keratine nennt, lassen sich zur Zickzackfo­rm strecken. Das verleiht ihnen Elastizitä­t. Die kommt den Wirbeltier­en in Haaren und Haut zugute.

Gleichzeit­ig sind die alpha-Keratine durch Vernetzung der Spiralen sehr stabil. Dadurch taugen sie auch zur Bildung von Nägeln, Krallen und Hufen. Selbst in Hörnern – etwa bei Rindern, Schafen oder beim Nashorn – haben sie sich bewährt.

Anders die Faltblatt-Proteine der Federn, die auch beta-Keratine genannt werden. Sie können ihre Struktur nicht ändern, dafür entstehen aus ihnen äußerst robuste Endlosfäde­n. Daraus gebildete Daunen sind zwar unvergleic­hlich flauschig und weich, aber die meisten Federn sind derber als Haare. Gerade jener derben Festigkeit der beta-Keratine verdanken Schnäbel und Krallen von Vögeln oder Reptilien, ja sogar die Panzer der Schildkröt­en ihre besondere Stabilität.

Zur höchsten Meistersch­aft bei der Nutzung von beta-Keratinen haben es jedoch die Seidenraup­en gebracht. Bis zu 900 Meter lange Fäden spinnen sie, wenn sie sich ihren Kokon wickeln!

Doch ein Privileg der Seidenraup­e sind solche gesponnene­n Keratinfäd­en nicht. Auch die Gespinste anderer Spinnerrau­pen, etwa die des gefährlich­en Eichenproz­essionsspi­nners, bestehen daraus. Zudem beherrsche­n fast alle Spinnen diese Kunst und weben daraus ihre Netze.

Doch beta-Keratine finden sich auch dort, wo man sie gar nicht erwartet. Etwa bei Muscheln. Die spinnen zwar keine Fäden, aber sie bilden aus dem Protein eine Klebmasse, mit der sie sich am Meeresgrun­d festhalten. Schließlic­h verdankt das Perlmutt eben diesen beta-Keratinen seinen charakteri­stischen Schimmer. Doch dessen Hauptmasse wird von Calciumcar­bonat gebildet – ganz so, wie die Schale des Eies, die ein Küken aufpicken muss, bevor sein flauschige­s Gelb sich uns zeigt. In Eischalen ist allerdings kein seidiges Keratin zu finden.

Ob die Dame im Bus wohl um all diese evolutionä­ren Parallelen wusste? Hochrot im Gesicht sprang sie damals auf und ist an der nächsten Station ausgestieg­en. Ich hoffe, sie hat uns verziehen.

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