Kleine Labore, kaum Förderung: Über das Herstellen von Fleisch aus Zellkulturen.
»Mama, die Frau sieht aus wie ein Osterküken«, krähte meine kleine Tochter. Keine Frage – der Haarschopf der Dame uns gegenüber provozierte diesen Vergleich. Auch biochemisch war was dran: Die Proteine, aus denen Haare bestehen, sind eng verwandt mit denen der Federn. Sie gehören zur Familie der Keratine. Die sind ein echtes Erfolgsmodell der Evolution. Das kleine Modul, aus denen sich die langen Keratinmoleküle durch vielfache Wiederholung bilden, mutierte oft. Die dadurch veränderten Aminosäuren erlaubten quer durch die tierische Welt eine Anpassung an verschiedenste Funktionen.
Haare und Federn etwa unterscheiden sich durch die unterschiedliche Größe ihrer wasserabweisenden Aminosäuren. Die in den Haaren sind groß, die in den Federn klein. Das klingt banal, doch die Auswirkungen sind enorm. Die Keratine der Haare winden sich spiralförmig, die der Federn dagegen falten sich im Zickzack. Die spiralförmigen Proteine, die man auch alpha-Keratine nennt, lassen sich zur Zickzackform strecken. Das verleiht ihnen Elastizität. Die kommt den Wirbeltieren in Haaren und Haut zugute.
Gleichzeitig sind die alpha-Keratine durch Vernetzung der Spiralen sehr stabil. Dadurch taugen sie auch zur Bildung von Nägeln, Krallen und Hufen. Selbst in Hörnern – etwa bei Rindern, Schafen oder beim Nashorn – haben sie sich bewährt.
Anders die Faltblatt-Proteine der Federn, die auch beta-Keratine genannt werden. Sie können ihre Struktur nicht ändern, dafür entstehen aus ihnen äußerst robuste Endlosfäden. Daraus gebildete Daunen sind zwar unvergleichlich flauschig und weich, aber die meisten Federn sind derber als Haare. Gerade jener derben Festigkeit der beta-Keratine verdanken Schnäbel und Krallen von Vögeln oder Reptilien, ja sogar die Panzer der Schildkröten ihre besondere Stabilität.
Zur höchsten Meisterschaft bei der Nutzung von beta-Keratinen haben es jedoch die Seidenraupen gebracht. Bis zu 900 Meter lange Fäden spinnen sie, wenn sie sich ihren Kokon wickeln!
Doch ein Privileg der Seidenraupe sind solche gesponnenen Keratinfäden nicht. Auch die Gespinste anderer Spinnerraupen, etwa die des gefährlichen Eichenprozessionsspinners, bestehen daraus. Zudem beherrschen fast alle Spinnen diese Kunst und weben daraus ihre Netze.
Doch beta-Keratine finden sich auch dort, wo man sie gar nicht erwartet. Etwa bei Muscheln. Die spinnen zwar keine Fäden, aber sie bilden aus dem Protein eine Klebmasse, mit der sie sich am Meeresgrund festhalten. Schließlich verdankt das Perlmutt eben diesen beta-Keratinen seinen charakteristischen Schimmer. Doch dessen Hauptmasse wird von Calciumcarbonat gebildet – ganz so, wie die Schale des Eies, die ein Küken aufpicken muss, bevor sein flauschiges Gelb sich uns zeigt. In Eischalen ist allerdings kein seidiges Keratin zu finden.
Ob die Dame im Bus wohl um all diese evolutionären Parallelen wusste? Hochrot im Gesicht sprang sie damals auf und ist an der nächsten Station ausgestiegen. Ich hoffe, sie hat uns verziehen.