Nicht aufregen
In einem der Kinderbücher, das wir gekauft haben, steht ein Reim: »Morgens früh um sechs, kommt die kleine Hex’; morgens früh um sieben, schabt sie gelbe Rüben.« Niedlich. Ich denke beim Vorlesen: Die Energie und protestantische Arbeitsethik dieser Frau machen mir Angst. Dabei gibt es eine ganze Menge Menschen, die morgens schon dazu gezwungen sind, voll aufzudrehen. Die Müllabfuhr zum Beispiel. Seit wir in unserer Wohnung wohnen, also seit vier Jahren, scheppert, donnert und rattert es montags, mittwochs und freitags früh um 6:03 Uhr vor unserem Schlafzimmerfenster mächtig gewaltig durch die Straßen. Seit einer Woche sogar schon um 5:34 Uhr. Meine Vermutung ist, dass es logistisch nicht mehr anders zu schaffen ist, weil die Leute seit einem Jahr zu Hause hocken und in einer Tour Dinge wegschmeißen.
Noch im Halbschlaf ziehen Blitze und Gewitter über mir auf, aber in der Zwischenwelt von Schlaf und Wachsein kann sich diese dumpfe Wut noch nicht richtig artikulieren. Also ist es jedes Mal dasselbe Spiel: Ich wache auf, schaue auf die Uhr, schmeiße die Bettdecke wild umher, renne zum Fenster, weil ich denke, je schneller ich es zumache, desto eher kann ich wieder schlafen. Liege dann da und bin wach für immer. Die armen Müllmenschen tun mir dann überhaupt nicht leid. Ich würde sie am liebsten erwürgen. Allein die Osterfeiertage bringen es mit sich, dass an zwei von drei Mülltagen absolute Ruhe herrscht. Ich rege mich nicht auf. Ein schönes Gefühl.