Keine Blumen gießen
Ostern und Blüten – das gehört zusammen. Wir wissen, dass die Sonne nun kein Weißes mehr duldet. Wir wissen auch, dass der Dichter nicht wählerisch ist, wenn es an Blumen mangelt im Revier, dass er dann gern herausgeputzte Menschen als Währung seiner Euphorie akzeptiert. Aus hohlem, finstern Stadttor sah er sie vor 215 Jahren sich ergießen, so, als beschriebe er schon den Quarantänemief zu Ostern 2021. Denn erneut werden die Menschen auch diesmal aus ihren düsteren Behausungen strömen, trotz aller Auflagen zur Isolation. Ein übermütiges Wetteifern zwischen Mensch und Natur wird es aber nicht mehr geben. Ostern, in Goethes Beschreibung so eine Art Mottoparty zum Thema Blütenzauber, zeigt jetzt die Beschränktheit nur der einen Seite – des Menschen.
Freilich kann die Psyche schweren Schaden nehmen, wenn der Weg zum Schreibtisch nach einem Urlaub vorbeiführt an welken Büscheln einstigen Blattwerks auf staubigen Schränken, weil die Kollegen das Gießen vernachlässigten. Doch in Wahrheit ist das Blumengießen eine Geste der Machtausübung gegenüber dem vermeintlich unterlegenen Geschöpf, gönnerischer Gnadenakt, dosiert und unter Vorbehalt. Corona hat unsere Verletzlichkeit sichtbar erhöht und so eine Art Waffengleichheit hergestellt. Gleichgültig blicken die Grünpflanzen auf uns herab, mit überlegenem Schweigen quittieren sie unsere Bemühungen, dem Virus zu entkommen. Klaglos werden sie auch ertragen, wenn wir auf alle weiteren Inszenierungen der Macht in Form von Wasserzuteilungen verzichten. Wenigstens über Ostern.