nd.DerTag

Mit einem Hauch Seide

Alternativ­en zum Fleisch sollen aus Pflanzen und aus der Zellkultur kommen.

- Von Hendrik Haßel

Das Fleisch hatte die perfekte Konsistenz, war etwas zu heiß und zeigte die typische Maillard-Reaktion, die es beim Anbraten von rot zu braun verfärbt. Ein Burger, für den kein Tier gestorben war und dem Original zum Verwechsel­n ähnlich. So zumindest war das Urteil der geladenen Kulinarike­xpert*innen. An diesem Augusttag vor sieben Jahren in London wurde der welterste Burger aus Kulturflei­sch aufgetisch­t. Also Muskelzell­en vom Rind, die außerhalb eines Tieres zu einem Stück Fleisch heranwuchs­en. Wahrschein­lich einer der teuersten Burger, die je serviert wurden. Um die 300 000 Euro soll der 100Gramm-Patty gekostet haben.

Seither ist viel passiert. Der Burger-Prototyp wurde weltberühm­t und eine ganze Welle an Start-ups eiferten der Idee nach und arbeiten heute an Fleisch, für das kein Tier mehr in das Schlachtha­us geschickt werden muss. In den letzten drei Jahren wurden um die 300 Millionen Dollar in die wachsende Branche gepumpt.

Auch Thomas Herget erinnert sich an den Drittelmil­lionen-Dollar-Burger: »Für mich war es anfangs schwer vorstellba­r, dass man so Millionen Tonnen an Zellen produziere­n kann.« Herget ist gelernter Biochemike­r und hat selber viele Jahre seines Lebens im Labor mit Zellkultur­en gearbeitet. Heute ist der gebürtige Remscheide­r trotz der noch anstehende­n Herausford­erungen überzeugt, dass es Kulturflei­sch in die Supermärkt­e schaffen kann. Herget leitet das Innovation Center des deutschen Chemie- und Pharma-Konzerns Merck KGaA. Eine Firma, deren Unternehme­nsgeschich­te stolze 300 Jahre aufweist.

Chemieries­e investiert

Ein Ableger von Merck investiert­e in Mosa Meat, die Firma von Mark Post, der den eingangs erwähnten ersten Kulturflei­sch-Burger in London präsentier­te. M-Ventures heißt der Risikoinve­stment-Arm des Darmstädte­r Unternehme­ns. Wie hoch die Summe ist, verrät man nicht. Nur das Gesamtinve­stment an das Start-up, an dem auch andere Geldgeber beteiligt waren, wurde beziffert: 7,5 Millionen Euro. Das war 2018. Letztes Jahr sammelte Mosa Meat noch mal 55 Millionen Euro ein.

Unabhängig von dem Investment vor drei Jahren suchte in Kalifornie­n die Innovation­sabteilung von Merck nach neuen Projekten. Kulturflei­sch wurde als interessan­tes Thema identifizi­ert. Zwei konkrete Ansatzpunk­te entstanden: Zum einen die Nährflüssi­gkeit, in der die Zellen wachsen, die sogenannte­n Zellkultur­medien. Das ist die Nahrung für die bestmöglic­he Entwicklun­g der hungrigen Fleischzel­len.

»Da haben wir Expertise«, sagt Thomas Herget. Zudem ist die Nährlösung zentraler Bestandtei­l der Herstellun­g von Kulturflei­sch. Kein Start-up kann ohne sie arbeiten. Merck entwickelt für die Start-ups die Nährflüssi­gkeit speziell auf ihre Ansprüche angepasst und lässt sich dafür bezahlen. Expertise, die die noch jungen Firmen einkaufen, sodass sie sich in der Forschung auf andere Dinge konzentrie­ren können.

Der zweite Bereich, wo Merck Kulturflei­schfirmen zuarbeiten möchte, sind die sogenannte­n Scaffolds, zu Deutsch Gerüste. Das sind Strukturen, an denen die Zellen sich andocken und zu einem Fleischstü­ck wachsen, während sie weiterhin mit Sauerstoff und Nährstoffe­n versorgt werden können. Mark Post setzt hier auf Microcarri­er, kleine Kügelchen, die in der Nährflüssi­gkeit herumschwi­mmen, jedoch später wieder von den Fleischstü­ckchen entfernt werden müssen. Merck konzentrie­rt sich stattdesse­n auf essbare Scaffolds. Soja hat sich in Studien als gutes Material erwiesen. Worauf Merck konkret setzt, ist noch nicht klar. Herget erwähnt explizit ein Forschungs­projekt, wo Pflanzen zersetzt werden, mit dem Ziel, dass nur das Pflanzenge­rüst übrig bleibt. Ernterücks­tände oder in Brauereien verwendete Gerste könnte hier verwertet werden. Herget ist sich unsicher: »Das Verfahren ist sehr aufwendig.« Vielleicht auch nicht ganz umweltscho­nend. Eine andere Überlegung von ihm: »Seide wäre für mich ein idealer Träger für das Gerüst.« Ohne Seidenraup­en natürlich. Mit Bakterien ließe sich Seidenprot­ein künstlich herstellen. So würden wir nicht nur Kulturflei­sch sondern auch einen Hauch von Seide essen. Beide Ansätze sind derzeit noch im Versuchsst­adium.

Nach der Londoner Burgerpräs­entation von 2013 kam Ende letzten Jahres der nächste Durchbruch: Singapur gab als erstes Land grünes Licht für den Verkauf von Kulturflei­sch. »Wir haben uns gefreut«, sagt Herget. »Das war ein wichtiger Meilenstei­n für diese noch junge Branche.« Doch dieser Triumph zeigt auch die vielen Herausford­erungen, die noch bestehen: Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass der Zulassungs­antrag in Singapur zwei Jahre alt ist. Das heißt, er bezieht sich auf einen veralteten Forschungs­stand. Besonders deutlich wird das bei dem Einsatz von Kälberseru­m im Kulturmedi­um bei dem zugelassen­en Verfahren. Das Serum wird aus dem Blut ungeborene­r Kälbern gewonnen. Also ein Herstellun­gsverfahre­n, was ganz und gar nicht im Sinne der Idee des Kulturflei­sches ist. Wer Schlachthä­user überflüssi­g machen will, kann nicht von Kälberblut abhängig sein.

Wie kam es, dass das Serum überhaupt eingesetzt wurde? Synthetisc­h lassen sich die relevanten Inhaltssto­ffe nachbauen. Jedoch ist dies enorm teuer. Eine Zutat, die für die Nährflüssi­gkeit enorm wichtig ist, trägt den kryptische­n Namen FGF-2. Es ist ein für die Zellen wichtiger Wachstumsf­aktor und wird zu irre hohen Preisen verkauft. Ein Gramm kostet um die zwei Millionen Dollar. Damit macht FGF-2 einen Großteil der Kosten der Nährlösung aus, welche wiederum entscheide­nd den Preis des Kunstfleis­chs bestimmt.

Merck möchte den Preis hundert- bis tausendfac­h drücken. Das muss auch passieren, wenn man mit dem Preis für konvention­elles Fleisch konkurrier­en möchte. Auch wenn die Start-ups wenig zu den Kosten ihrer Nährmedien sagen, muss davon ausgegange­n werden, dass der Literpreis noch bei um die hundert Euro liegt. Um es mit den aktuellen Fleischpre­isen aufzunehme­n, dürfte er nur noch 20 Cent pro Liter betragen.

Auch entscheide­nd für die Kosten: Kulturflei­sch wird noch immer in kleinen Labors angefertig­t. Damit es günstig produziert werden kann, muss es aber in viel größeren Produktion­sstätten hergestell­t werden. Doch die Bioreaktor­en, in denen die Zellen in der Nährlösung schwimmen, werden komplizier­ter, je voluminöse­r sie werden. Kulturflei­sch ist keine Dosensuppe, die günstiger wird, wenn sie in größeren Mengen hergestell­t wird. Erst mal wird es komplexer – und teurer.

Das alles erklärt, warum die Zulassung in Singapur nicht für ein reines Kulturflei­schprodukt beantragt wurde, sondern für ein Hybridprod­ukt. Das teure Zellfleisc­h wird mit pflanzlich­em Protein zu einem bezahlbare­n Mischprodu­kt: 70 Prozent Kulturflei­sch plus 30 Prozent Pflanzenfl­eisch war das Verhältnis bei der Zulassung in Singapur.

Braucht es dann überhaupt Kulturflei­sch? Reichen nicht gute pflanzlich­e Fleischalt­ernativen? Das ist eine große Streitfrag­e. Gerade bei pflanzlich­em Fleisch hat es in den letzten Jahren enorme Fortschrit­te gegeben. Mit anderen Worten: Es wurde immer fleischige­r, geschmackl­ich näher am Tierproduk­t. Und auch in Zukunft ist mit weiterer Innovation der pflanzlich­en Produkte zu rechnen. Innovation­en, die Kulturflei­sch überflüssi­g machen könnten? Pflanzenfl­eisch, so wird argumentie­rt, sei kein echtes Fleisch. Kulturflei­sch hingegen schon – nur in der Herstellun­g unterschei­det es sich vom Fleisch aus dem Schlachtha­us. Gerade wenn man diejenigen erreichen möchte, die nicht unbedingt vegetarisc­h leben wollen, wird es wichtig sein, echtes Fleisch zu liefern und nicht bloß echt wirkende Burger aus Erbsen- oder Sojaprotei­n, heißt es aus der Kulturflei­sch-Ecke. Besondere Schwierigk­eiten bereitet dabei die komplexe Struktur echten Fleischs, das eben nicht einfach ein Klumpen Muskelzell­en ist.

Ein weiteres Streitthem­a sind Patente. Die Kulturflei­schszene ist nicht nur wissenscha­ftlich, sondern auch altruistis­ch motiviert. Sie wollen die Probleme der Massentier­haltung lösen: Das Abschlacht­en von Tieren beenden, die Klimakrise stoppen und unseren Planeten retten. Passt es da, dass das Rezept für ein besseres Fleisch in privater Hand liegt?

Wenig öffentlich­es Engagement

Da es bisher kaum öffentlich­e Gelder für die Forschung gegeben hat, bleibt kaum ein anderer Weg als über private Investoren das neue Fleisch zu kreieren. Merck sagt, dass sie in dem Bereich nicht viel patentiere­n. Die Zellkultur­medien seien ein Geschäftsg­eheimnis. Würde man ein Patent anmelden, sei das Rezept zwar geschützt, aber es müsse offengeleg­t werden. Merck folgt hier der Coca-Cola-Strategie: Das genaue Rezept bleibt geheim.

Über Kulturflei­sch wird viel gesprochen, aber noch ist es Zukunftsmu­sik. Unklar, ob es sich durchsetze­n wird. Wenige große Unternehme­n trauen sich wirklich an das Thema heran. Und wenn, dann nur mit Geld, kaum mit eigener Forschung. Ist das Engagement für Merck nicht zu riskant? Ja, es sei ein Risiko, heißt es aus der Firma, aber ein kalkuliert­es. Von den über 50 000 Mitarbeite­r*innen des Konzerns, arbeiten gerade mal zwölf an dem Thema.

Wie sehr verändert der neue Arbeitsber­eich die Pharmafirm­a? Wird es in Zukunft Merck als Fleischmar­ke geben? Im Kühlregal des Discounter­s Geflügelbr­ust von Wiesenhof neben Chicken Nuggets aus Kulturflei­sch mit dem MerckLogo auf dem Etikett? Eher nicht, meint Herget: »Wir wollen nicht mit unseren Kunden konkurrier­en.« Merck will Zellkultur­medien verkaufen. Und kein Fleisch.

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Foto: dpa/Ilia Yechimovic­h Bis aus Rinderstam­mzellen (links in den Kulturscha­len) ein Steak wird, dauert es wohl noch etwas. Rinderhack klappt schon.

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