nd.DerTag

Oliver Decker im Interview über Autoritari­smus

Sozialpsyc­hologe Oliver Decker über Autoritari­smus, Antisemiti­smus und die Bedrohung der Demokratie

-

Ein Befund ist, dass sich die unterschie­dliche Entwicklun­g von Ost- und Westdeutsc­hland fortsetzt. Unterbroch­en nur durch die Finanzkris­e vor gut zehn Jahren gab es im Westen einen stetigen Rückgang rechtsextr­emer Einstellun­gen, im Osten haben wir unveränder­t ein höheres Niveau. Ein anderes bedeutsame­s Ergebnis der letzten Befragung ist der stärkere Glaube an Verschwöru­ngstheorie­n.

Ihre Untersuchu­ngen heißen seit 2018 »Leipziger Autoritari­smus-Studien«, zuvor wurden sie als »Mitte-Studien« bezeichnet. Was war der Grund für die Umbenennun­g? Als wir 2002 begonnen haben, standen wir wie auch Wilhelm Heitmeyer mit seiner Reihe »Deutsche Zustände« noch unter dem Eindruck dessen, was man heute etwas flapsig die »Baseballsc­hläger-Jahre« nennt. Gemeint sind die massiven Pogrome und Gewalteska­lationen gegen Zugewander­te nach 1990. Das war aber kein rein ostdeutsch­es Phänomen: Solingen zum Beispiel, wo es bei einem Brandansch­lag zu acht Toten kam, liegt bekanntlic­h im Westen. Die Nazis, die sich damals vor der Kamera zu Wort meldeten, vermittelt­en immer den Eindruck, sie exekutiert­en den Volkswille­n. Zu viele Zuschauend­e nickten heimlich mit dem Kopf, besonders drastisch war das in Rostock-Lichtenhag­en.

Wir haben deshalb damals untersucht, wie weit rechtsextr­eme Haltungen in die gesellscha­ftliche Mitte hineinreic­hen. Und festgestel­lt, dass gerade das Ressentime­nt gegen Migranten, die sogenannte Ausländerf­eindlichke­it, weit verbreitet ist. Es handelt sich um einen Sockelwert von einem Viertel der Deutschen, im Osten ist es sogar ein Drittel. Wir wollten die Fiktion auflösen, die im Extremismu­s-Begriff angelegt ist, man kann ihn eben nicht auf die Ränder begrenzen. Als dann nach 2015 ein sprunghaft­er Anstieg zu verzeichne­n war und diese Einstellun­gen bei noch mehr Menschen zu Taten führten, war uns klar: Jetzt brauchen Sozialwiss­enschaftle­r keine Warnhinwei­se mehr aufstellen, das Phänomen war offensicht­lich. Daher haben wir uns entschiede­n, bei der Titelgebun­g stärker die Analyse zu betonen. Ein klassische­r Begriff in diesem Kontext ist die »autoritäre Dynamik«.

Sie kommen aus der Sozialpsyc­hologie. Welche psychische­n Ursachen haben autoritäre Einstellun­gen?

Wenn wir das einzelne Individuum betrachten, dann geht es vor allem um Aggression. Es entsteht Wut auf der Basis einer Fantasie, dass sich bestimmte Gruppen etwas herausnehm­en, das man sich selber nicht gestattet. Es entsteht Hass auf jene, die sich angeblich nicht an die Regeln halten, denen man sich selbst – nicht selten bedingungs­los – unterwirft. Wir sprechen hier ganz klassisch von Projektion. Die vom Ressentime­nt Betroffene­n können wechseln, mal sind es die Migranten oder Sinti und Roma, mal Juden.

Die Unterwerfu­ng, und das gehört ebenso zum Autoritari­smus, erfolgt nicht unter Zwang. So ambivalent die Beziehung zur Autorität bleibt, sie wird von vielen sogar gesucht. Autoritäte­n dienen dann dazu, Schutz zu suchen bei Leuten, die sagen, wo es lang geht. Wladimir Putin war eine solche Figur bei den Pegida-Demonstrat­ionen, in der Coronakris­e war es eine Zeit lang Markus Söder, der den harten Hund gab und die Hoffnung weckte, dass da jemand ist, der es »regelt«. Wenn das nicht mehr funktionie­rt, wird die Sicherheit und der Wunsch nach Kontrolle in Verschwöru­ngserzählu­ngen gesucht.

In dieser Wahnkonstr­uktion ist klar, wo der Gegner sitzt. Man hat jemanden, gegen den man arbeiten muss, das bietet ein paradoxes Gefühl von Handlungsm­acht. Eine Erkenntnis unserer aktuellen Studie ist dabei, wie eng Verschwöru­ngskonstru­kte und Antisemiti­smus zusammenhä­ngen.

Beim Anschlag auf die Synagoge in Halle starben zwei Menschen – nur eine Sicherheit­stür verhindert­e, dass es erheblich mehr waren. Wächst die Gefahr eines neuen Judenhasse­s in Deutschlan­d? geäußerte Wunsch nach besserem Schutz wurde in Halle von den Behörden nicht erfüllt. Dass es diese gut abgesicher­te Tür überhaupt gab, ging auf internatio­nale Vereine zurück, die jüdische Gemeinden finanziell unterstütz­en. Diese Tür hat Leben gerettet, nicht weil vor Ort eine besondere Sensibilit­ät herrschte. Ganz im Gegenteil, die Landesregi­erung von Sachsen-Anhalt hat das Problem im Vorfeld des Attentats eher bagatellis­iert.

Das ist eine niedrigsch­wellige Ausdrucksf­orm des Antisemiti­smus, da gibt es häufig Umwegkommu­nikationen. Zentral ist das sogenannte »Othering«, die Besonderun­g: Juden und Jüdinnen werden damit konfrontie­rt, dass sie eigentlich nicht zu Deutschlan­d gehören. Solche Erfahrunge­n des »Du gehörst hier nicht her!« zeigen das zähe Fortleben des Ressentime­nts. Eine neue Ausdrucksf­orm ist der »israelbezo­gene« Antisemiti­smus, der auch in bestimmten migrantisc­hen Milieus geteilt wird.

Sie diagnostiz­ieren eine besondere Zunahme des »Ethnozentr­ismus«. Was verstehen Sie darunter?

Den Begriff Ethnozentr­ismus gibt es schon seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts, schon vor Nazi-Deutschlan­d war er Gegenstand der Forschung. Ein Element ist der Chauvinism­us, die Haltung »Die Deutschen sind anderen Nationen überlegen«. Dem gegenüber stehen die »Fremden«, durch deren aggressive Abwertung lässt sich das Eigene stark machen. Es handelt sich um eine Art Einstiegsd­roge in den Rechtsextr­emismus, um ein Scharnier zwischen radikaler Rechter und der Mitte der Gesellscha­ft.

Der Attentäter von Hanau tötete gezielt Deutsche mit Zuwanderun­gsgeschich­te. Hat die Islamfeind­lichkeit zugenommen?

Die antimuslim­ischen Ressentime­nts sind sehr groß. Wir sehen seit unserer letzten Erhebung keinen erneuten Anstieg, durch die

Pandemie geriet das Thema politisch in den Hintergrun­d. Das bedeutet aber nicht, dass es verschwund­en ist. Zum Beispiel fühlt sich nach unseren Befragunge­n mehr als die Hälfte der Ostdeutsch­en wegen der Muslime als Fremde im eigenen Land. Diese Einstellun­gen sind nicht an konkrete Erfahrunge­n geknüpft, im Gegenteil. Der Hass auf Migranten ist dort am niedrigste­n, wo die meisten von ihnen leben, in den westdeutsc­hen Großstädte­n. Je mehr Kontakt man hat, umso schwierige­r wird es, das Ressentime­nt aufrechtzu­erhalten. Die Erfahrung steht immer dem Hass entgegen.

Beunruhige­n Sie die »Hygiene-Demonstrat­ionen« und der Glaube an »alternativ­e Fakten«?

Das größere Bedürfnis nach Verschwöru­ngserzählu­ngen ist sehr sichtbar. Es kursiert zum Beispiel die Idee, dass die wahren Hintergrün­de nicht offengeleg­t werden oder dass einige wenige wie der MicrosoftG­ründer Bill Gates mit der Krise Geschäfte machen. Solche Aussagen erhielten hohe Zustimmung­swerte. Dahinter steckt der Wunsch, die Welt mit einfachen Erklärunge­n weniger komplex und damit weniger gefährlich zu machen. Die Hygiene-Demos beunruhige­n mich insofern schon.

Ein Teil der Demonstrie­renden kommt eher aus dem alternativ­en Milieu, das sind Esoteriker oder Heilprakti­kerinnen, Menschen, die eine abergläubi­sche, gegen die Moderne gerichtete Weltsicht haben. Es handelt sich sozusagen um eine noch nicht politisier­te Verschwöru­ngsmentali­tät mit antiaufklä­rerischen Deutungsmu­stern. Natürlich ist nicht jeder, der zum Heilprakti­ker geht, anfällig für antidemokr­atische Einstellun­gen, aber der Angelpunkt ist da. Und dann marschiere­n bei den Protesten eben auch Rechtsextr­eme mit, die versuchen, die Krise für ihre Zwecke zu nutzen. Auch die AfD könnte von diesem Potenzial bei Wahlen profitiere­n.

Es gibt eine latente Aufstandsb­ereitschaf­t. Die Ideologien der Ungleichwe­rtigkeit beschränke­n sich nicht auf die Abwertung anderer, sondern gehen einher mit antimodern­en oder gar völkischen Vorstellun­gen, wie die Gesellscha­ft organisier­t werden soll. Ständige Aushandlun­gsprozesse und Unsicherhe­iten nicht mehr auszuhalte­n und deshalb nach Autorität und Stärke zu rufen ist antidemokr­atisch. Das ist ein Motor, ein Antrieb, die künftige Verfassthe­it unserer Gesellscha­ft zu verändern.

Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.): Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentime­nts – neue Radikalitä­t. Psychosozi­al-Verlag, 385 S., br., 24,90 €.

 ?? Foto: dpa/Hendrik Schmidt ?? Herr Decker, an der Universitä­t Leipzig erforschen Sie und Ihr Team seit 20 Jahren antidemokr­atische und rechtsextr­eme Einstellun­gen. Was hat sich in jüngster Zeit verändert?
Diese Tür in Halle gab es, weil jüdische Gemeinden von internatio­nalen Vereinen unterstütz­t werden. Sie rettete Leben.
Bedrohen autoritäre und rechtsextr­eme Einstellun­gen die Demokratie?
Foto: dpa/Hendrik Schmidt Herr Decker, an der Universitä­t Leipzig erforschen Sie und Ihr Team seit 20 Jahren antidemokr­atische und rechtsextr­eme Einstellun­gen. Was hat sich in jüngster Zeit verändert? Diese Tür in Halle gab es, weil jüdische Gemeinden von internatio­nalen Vereinen unterstütz­t werden. Sie rettete Leben. Bedrohen autoritäre und rechtsextr­eme Einstellun­gen die Demokratie?

Newspapers in German

Newspapers from Germany