Tahir Della, Natasha A. Kelly, Doris Liebscher, Emilia Roig im Gespräch mit Amina Aziz über den Rasse-Begriff im Grundgesetz
Natasha A. Kelly, dass »Rasse« im Grundgesetz ersetzt werden soll, bezeichnen Sie als den größten Quatsch. Warum? Natasha Kelly: Am Rassebegriff hängt nicht nur die nationalsozialistische Geschichte, sondern auch die Kolonialgeschichte. Mit den sogenannten Mischehe-Gesetzen, wo ganz klar Rasse und Nation miteinander verstrickt wurden, beginnt die Schwarze deutsche Geschichte. Damit hat sich Deutschland nie wirklich beschäftigt. Solange das nicht der Fall ist, brauchen wir den Rassebegriff – und die Geschichte, die da dranhängt.
Die Initiative Schwarze Menschen (ISD) in Deutschland schlägt stattdessen vor, die Formulierung zu ersetzen.
Tahir Della: In unserem Vorschlag steht drin, dass niemand rassistisch diskriminiert oder benachteiligt werden darf. Für uns geht es darum, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, also nicht diejenigen, die diskriminiert werden, als Anlass für Diskriminierung zu beschreiben, sondern die rassistischen Verhältnisse und Strukturen und deren innere Normen und Logiken. Da kann nicht auf einen Begriff zurückgegriffen werden, der das Problem an sich darstellt.
Emilia Roig, Sie sagen, solange es Rassismus gibt, muss auch das Wort im Grundgesetz stehen bleiben.
Ja. Es stimmt, menschliche Rassen existieren nicht, sie sind ein Konstrukt, genauso wie Gender, ethnische Herkunft oder Nationalität. Trotzdem sind Rasse und Hautfarbe immer noch die Grundlage für Diskriminierung, Ausschlüsse, mangelnden Zugang zu Ressourcen bis hin zum Mord. Wie die französische Soziologin Colette Guillaumin sagte: Rassen existieren nicht, aber sie töten Menschen. Solange das der Fall ist, müssen wir ein Wort haben, um diese Kategorie zu beschreiben – und um Rassismus zu bekämpfen.
Doris Liebscher, Sie betrachten die Frage aus juristischer Perspektive und befürworten den Ersatz des Wortes. Warum?
Doris Liebscher: Eine ersatzlose Streichung des Begriffs wäre eine Katastrophe. Ich glaube aber, dass Rassismus ein weiter gefasster und akzeptanzfähigerer Begriff für die vielen und unterschiedlichen Menschen ist, die davon betroffen sind. Jurist*innen legen Gesetze aus. Wenn darin »Rasse« steht, prüfen die Jurist*innen: Passt der Kläger, die Klägerin in diese Kategorie? Das hat auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz getan, das 2016 das erste Mal klar gesagt hat, dass Racial Profiling gegen das Grundgesetz verstößt. In der Urteilsbegründung wird an keiner Stelle beschrieben, warum Racial Profiling stattfindet. Wir werden das Wort »Rassismus« darin nicht finden, auch keine Auseinandersetzung mit kolonial-rassistischem Wissen. Stattdessen heißt es, die Kläger hätten eine andere Hautfarbe, das seien vererbbare Merkmale und das sei Rasse im Sinne des Grundgesetzes. Diese Diskussion über Rassismus, die wir alle wollen, die findet vor deutschen Gerichten bisher nicht statt. Ich glaube, dass eine Gesetzesänderung die Rechtsprechung positiv verändern wird. Da ist gerade eine Tür ganz weit offen, und ich denke, wir sollten da zusammen durchgehen.
Ich glaube, wir sollten da eben nicht durchgehen. Es würde dann heißen: »rassistisch benachteiligt oder bevorzugt«. Das sind Verben – und Verben beschreiben Handlungen. Das ist ein verkürztes Wissen von Rassismus. Rassismus ist strukturell und funktioniert auch ohne Handlung. Das zeigt sich in den Zugängen und Ausschlüssen, die aufgrund der Geschichte entstanden sind, zum Beispiel im Bildungssystem. Warum gibt es in Deutschland keine Schwarzen Professor*innen zu diesen Themen an Universitäten, geschweige denn Disziplinen, die dieses Thema adäquat aufarbeiten könnten? Ich gebe Tahir Della recht: Rasse ist das Problem! Gerade deshalb brauchen wir diesen Begriff, um überhaupt benennen zu können, worum es geht: dass wir kategorisiert wurden und dass es eine Denkart gab, die uns herabgewürdigt hat. Der primäre Fokus sollte sein, so viel Rechtsschutz wie möglich zu bieten. Und nicht das Ganze auf eine Handlung reduzieren, wo wir dann wieder erklären müssen, was an dieser Handlung rassistisch war.
Vermutlich hat niemand, der im vergangenen Jahr nach den Black-Lives-Matter-Demos von der Polizei festgenommen wurde, auf das Grundgesetz verwiesen. Setzt diese Frage überhaupt an der Lebensrealität rassifizierter Menschen an, oder müssen wir uns andere Fragen stellen?
Roig: Ich wünschte, dass wir die ganze Energie, die wir jetzt darauf verwenden, Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen, für andere Gesetzesänderungen verwenden würden. Auf Migrations- und Asylgesetze, das Bildungssystem, Steuerrecht, den Arbeitsmarkt. Wenn es wirklich darum ginge, Rassismus zu bekämpfen, könnte man damit viel erreichen. Was wird passieren, wenn aus »Rasse« im Grundgesetz »rassistisch« wird? Ich denke, nicht viel. Die Änderung an sich wird als großer Meilenstein gelten – für mich persönlich ist das ein Rückschritt.
Niemand behauptet ernsthaft, dass damit das Problem beendet wäre und Rassismus verschwindet. Aber ich verstehe nicht, warum an einem Begriff festgehalten werden soll, der die Grundlage für rassistische Verhältnisse geliefert hat. Wenn wir in den Medien von »Rassekonflikten« oder »Rasseunruhen« lesen müssen, dann wird deutlich, wie dieser Begriff besetzt ist und dass er immer noch unser Denken und Handeln bestimmt. Das Entwickeln von »Rassen« war notwendig, um Rassismus begründbar zu machen. Deswegen haben auch die Zentralräte der Sinti und Roma und der jüdischen Gemeinschaft ganz explizit gesagt, dass sie für eine Veränderung eintreten, weil damit abgebildet wird, auf welche Konzepte wir uns in der Gesellschaft beziehen beziehungsweise von welchen wir uns abwenden sollten.
Ich bin seit 2005 in der Antidiskriminierungsberatung tätig, und in der gesamten Zeit ist niemand zu mir gekommen und hat gesagt: Ich wurde aufgrund meiner Rasse diskriminiert. Auch Anwält*innen