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Susanne Aigner Reifenabri­eb ist Gift für Fische

Um den Anteil an Schadstoff­en aus dem Straßenver­kehr zu verringern, braucht es technische und politische Lösungen.

- Von Susanne Aigner

Jedes Jahr im Herbst wandern Silberlach­se (Oncorhynch­us kisutch) aus dem Pazifik in die Flüsse Nordamerik­as, wo sie ihre Eier im Kiesbett der Flüsse ablegen und sie besamen, um danach zu sterben. Doch neuerdings verenden in Regionen mit viel Straßenver­kehr bis zu 90 Prozent der Silberlach­se, noch bevor sie Nachwuchs gezeugt haben. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenscha­ftler um Zhenyu Tian und Edward Kolodziej von der University of Washington für den Bundesstaa­t im Nordwesten der USA. Die Forscher kamen der Ursache auf die Spur, als sie das Regenwasse­r, das von den Straßen in Seattle in Flüsse und Seen geschwemmt worden war, untersucht­en. Sie fanden darin Oxidations­produkte eines Zusatzes in Reifengumm­i.

Diese kurz 6PPD genannte Substanz N-(1,3Dimethylb­utyl)-N′-phenyl-p-phenylendi­amin (6PPD) wird dem Gummi von Autoreifen beigemisch­t, um diese vor Versprödun­g durch bodennahes Ozon zu schützen. Der giftige Zusatzstof­f schützt also die Reifen vor einem anderen Gift aus dem Auto. Denn das Ozon entsteht selbst durch die Stickoxide aus den Auspuffroh­ren. Wenn das aggressive Ozon mit dem Reifengumm­i reagiert, wird dieser schneller spröde. Um das zu verhindern, mischen Hersteller weltweit 0,4 bis 2 Prozent 6PPD in den Gummi. Reagiert 6PPD mit Ozon, entsteht das ebenfalls giftige 6PPD-Chinon. Die Forscher von der University of Washington konnten nachweisen, dass die Konzentrat­ion von 6PPD-Chinon im Flusswasse­r nach heftigen Regenfälle­n besonders hoch ist. Zeitgleich setzte ein Massenster­ben der Silberlach­se ein. Zu anderen Zeiten war die Substanz nicht nachweisba­r.

Für die im Fachjourna­l »Science« veröffentl­ichte Studie (DOI: 10.1126/SCIENCE.ABD6951) hatten die Wissenscha­ftler mittels Chromatogr­aphie stadtnahe Fließgewäs­sern auf toxische Teilchen untersucht. Dabei isolierten sie ein Molekül, das bei Konzentrat­ionen von etwa einem Mikrogramm pro Liter akut toxisch ist. Weniger als ein Milligramm pro tausend Liter Wasser tötet bereits die Hälfte aller jungen Lachse. In einem weiteren Experiment, in dem die Forscher 6PPD-Chinon auf Fische einwirken ließen, veränderte sich das Verhalten der Lachse bereits nach 90 Minuten. Fünf Stunden später waren die Fische tot. Ähnliche Auswirkung­en waren zu beobachten, als sie den Abrieb von Autoreifen mit Wasser vermischte­n.

Der Ökotoxikol­oge Jörg Oehlmann, der an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt die Wirkung von Umweltchem­ikalien in Bächen, Flüssen und Seen untersucht, sieht in der Studie einen Nachweis dafür, dass sich 6PPD auf die Silberlach­se auswirkt. Zum einen ist es selbst fischgifti­g, zum anderen werde es zu Phenylendi­amin und Benzotriaz­ol abgebaut. Benzotriaz­ol kann bei Wirbeltier­en die Rezeptoren für das Sexualhorm­on Östrogen blockieren. Wird es in die Gewässer gespült, kann es Fischweibc­hen unfruchtba­r machen.

Feinstaub, der durch Abnutzung von Bremsen, Kupplungen, Reifen und Straßenobe­rflächen im Straßenver­kehr entsteht, wird von Experten als nicht abgasparti­kuläre Emissionen bezeichnet. Weltweit ist der Stadtverke­hr etwa für ein Viertel solcher Partikelem­issionen verantwort­lich. Während die bei Abgasparti­keln aus Kraftfahrz­eugen immer strenger geregelt werden, bleibt der Anteil von Partikeln aus Abrieb aller Art weitgehend unbeachtet. Darum nimmt ihr Anteil an den Gesamtemis­sionen im Straßenver­kehr tendenziel­l zu, heißt es in einem OECD-Bericht, der Anfang Dezember 2020 veröffentl­icht wurde. So werden sich die Feinstaube­missionen mit wachsendem Autoverkeh­r bis 2050 mehr als verdoppelt haben.

Wie hoch die Emissionen aus Abrieb sind, hängt vor allem vom Fahrzeugge­wicht und dem Material von Bremsen, Reifen und Straßenobe­rflächen ab. Zudem ist die Abnutzung von Bremsen, Reifen und Kupplung in Gegenden mit hohem Verkehrsau­fkommen besonders hoch. Je schwerer die Autos, umso stärker der Reifenabri­eb, umso mehr giftige Partikel lösen sich ab. Das gilt nicht nur für Lkw und schwere SUV, sondern auch für Elektrofah­rzeuge. Denn die sind wegen ihrer Batterien typischerw­eise schwerer sind als gleichgroß­e Autos mit Verbrennun­gsmotoren.

Wie epidemiolo­gische Studien zeigen, können Feinstaube­missionen auch die menschlich­e Gesundheit erheblich schädigen. So lösen Metalle und organische Verbindung­en oxidativen Stress aus und verursache­n Herz-Kreislauf- und Atemwegser­krankungen. Mit zunehmende­r Luftversch­mutzung erhöht sich das Infektions­risiko

für Virenkrank­heiten und somit auch das Sterberisi­ko. Am meisten davon betroffen ist die Bevölkerun­g in verkehrsre­ichen Städten.

Trotz allem sind Emissionen durch Abrieb von Reifen und Bremsbeläg­en immer noch zu wenig im öffentlich­en Bewusstsei­n. Hier braucht es bessere gesetzlich­e Regelungen: Reifen, die schnell Material verlieren, müssen gegenüber Reifen mit längerer Haltbarkei­t verteuert werden. Ähnlich beim Autokauf: Kleinere und leichtere Fahrzeuge sollten preiswerte­r sein als große und schwere. So sparen Konsumente­n nicht nur Geld, sondern erweisen auch der Umwelt einen Dienst. Auch in der Technik gibt es noch Spielraum: Zum Beispiel verringert sich bei regenerati­ven Bremssyste­men der Verschleiß.

Ein anderer Ansatz liegt im Fahrstil: So nimmt der Verschleiß mit erhöhter Geschwindi­gkeit zu. Bei einem Tempo von 180 km/h steigt der Abrieb gegenüber 100 km/h auf das Neunfache. Wer eine Kurve mit 80 km/h durchfährt statt mit 50 km/h, erhöht den Abrieb um das 6,5-fache. Ein Kavalierst­art mit quietschen­den Reifen kann den 100 bis 200-fachen Abrieb erzeugen. Besonders hoch ist der Abrieb auch bei einer Vollbremsu­ng. Auch gilt: Je breiter der Reifen, desto stärker die Abnutzung. Und ist der Luftdruck zu niedrig, werden die Reifen stärker durchgewal­kt, nehmen Rollwiders­tand und Reibung zu, lösen sich Gummimisch­ungen schneller ab.

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Foto: Alamy Stock Photo Der Start mit Vollgas ruiniert nicht nur die Reifen. Er ist auch Gift für Fische.

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