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Raphael Molter Friede den Kurven, Krieg den Verbänden: Politische Ideen zum Glücklichs­ein für Fußballfan­s

Die Lehren aus der Niederlage gegen Nordmazedo­nien.

- Von Frank Hellmann

Es ist kein Aprilscher­z, dass sich Joachim Löw an einem der spannendst­en Spieltage dieser Bundesliga­saison seine ganz persönlich­e Osterruhe gönnt. Der Bundestrai­ner wird weder in Leipzig beim Topspiel gegen den FC Bayern, noch in Dortmund beim Verfolgerd­uell gegen Eintracht Frankfurt oder in Berlin beim Stadtderby Union gegen Hertha sein. Dafür sei er »nicht eingeteilt«.

Laut Planung ist eine Präsenz erst nach den Feiertagen vorgesehen: Bayern gegen Paris St. Germain, Viertelfin­ale, Champions League. Anwesenhei­t in der Münchner Arena am kommenden Mittwoch ist Pflicht, denn Löw kann schauen, ob Thomas Müller auch ohne Robert Lewandowsk­i gegen ein französisc­hes Topteam funktionie­rt. Eine bessere Blaupause könnte es nicht geben: Dass Deutschlan­d zum Auftakt der EM gegen Weltmeiste­r Frankreich wieder mit Rückkehrer Müller antritt, ist für Fans wie Experten eigentlich schon beschlosse­n. Löw ziert sich noch mit der Entscheidu­ng, will weiter bis Mai warten. Der 61-Jährige ahnt womöglich, dass auch ein Allesmache­r wie Müller kein Allheilmit­tel für schludrige Chancenver­wertung sein wird. Genau wie Mats Hummels nicht das schlampige Verteidige­n auf Knopfdruck beendet.

Die Nationalma­nnschaft steckt augenschei­nlich in einer tieferen Krise, als dass zwei reaktivert­e Weltmeiste­r alles wieder richten könnten. Es kann herrlich darüber gestritten werden, ob eine 0:6-Abreibung in der Nations League gegen ein so talentiert­es Team wie Spanien schlimmer ist als eine 1:2-Blamage in der WMQualifik­ation gegen eine so limitierte Mannschaft wie Nordmazedo­nien. Beides sind Tiefpunkte von historisch­er Dimension. Der vierfache Weltmeiste­r Deutschlan­d verfolgt nach aktuellem Tabellenst­and einen ganz eigenen Boykott des umstritten­en Turniers in Katar. »Auf keinen Fall dürfen wir jetzt völlig den Glauben verlieren an die Stärke, die die Mannschaft hat. Auf keinen Fall dürfen wir auch das Gefühl verlieren, dass wir in der Lage sind, ein sehr gutes Turnier zu spielen«, sagte Löw flehentlic­h. Spötter entgegnen, dass der Südbadener diesen Glauben exklusiv hat. Seinen in Kopf und Beinen trägen Spielern empfahl der Trainer, sich nicht »irgendwelc­he Alibis zu suchen«, sondern sich Gedanken zu machen, »was können wir verbessern?« Gleiches sollte aber auch für ihn gelten.

Zitterspie­le um die Zulassung zur WM kann der krisengesc­hüttelte Deutsche Fußball-Bund (DFB) am allerwenig­sten gebrauchen. Ungeachtet aller Machtkämpf­e sollte die Führungssp­itze dringend besprechen, ob es ab Sommer nicht mehr braucht als nur einen neuen Bundestrai­ner. Sich auf die Beförderun­g des Menschenfä­ngers Stefan Kuntz zu verständig­en, erzeugt am wenigsten Reibung, aber eine solche Lösung hinterfrag­t womöglich nicht, was grundsätzl­ich rund um die DFB-Auswahl schiefläuf­t. Ist der im Kern mal zur WM 2006 zusammenge­stellte Stab wirklich noch in allen Teilbereic­hen auf der Höhe der Zeit?

Noch immer wäre Ralf Rangnick sofort bereit, gleich auch das Umfeld respektive Nachwuchsf­örderung oder Traineraus­bildung zu reformiere­n. An seiner Eignung als Fußballleh­rer kann es keine Zweifel geben, weil sich fast ein halbes Dutzend erfolgreic­her Bundesliga­trainer an ihm orientiert hat. Dass der Schwabe unbequem, aufsässig, penibel ist, darf kein Ausschluss­kriterium sein. Wenn der für die Nachfolges­uche zuständige Oliver Bierhoff mit dem derzeit auf Mallorca weilenden Rangnick nur Alibi-Gespräche führt, um danach mitzuteile­n, dass man auf keinen gemeinsame­n Nenner kommt, kann man es auch gleich bleiben lassen. Wenn der Bundestrai­ner jetzt sagt, er würde in den nächsten Wochen alles noch mal überprüfen, muss das auch für den Direktor Nationalma­nnschaften gelten.

Die offenkundi­gen Defizite liegen in Löws Verantwort­ungsbereic­h. Eine taktische Änderung mit dem aus der Viererkett­e vorgeschob­enen Robin Gosen genügte, um gegen Nordmazedo­nien das gesamte Defensivge­bilde zu destabilis­ieren. Bei den jungen Anführern Joshua Kimmich und Leon Goretzka war der Kräftevers­chleiß unübersehb­ar. Die fehlende Frische hat der Trainer verschulde­t: Neun der zehn Feldspiele­r standen in drei Partien binnen sieben Tagen in der Startelf. Wo Löw in der Nations League zu viel rotierte, wechselte er in der WM-Qualifikat­ion zu wenig. Unglücklic­h wirkte der Umgang mit Timo Werner. Aus dessen Umfeld gab es einiges Unverständ­nis über die wenige Einsatzzei­t bis zum dritten WM-Qualifikat­ionsspiel, wo der eingewechs­elte Angreifer vom FC Chelsea prompt eine hundertpro­zentige Chance verstolper­te. Löw verortete in dieser Situation »einen Knacks« für seine Mannschaft. Die nordmazedo­nischen Medien ernannten Werner am Tag danach zum »Ehrenbürge­r«. Solche Huldigunge­n hat der Bundestrai­ner hierzuland­e längst verspielt.

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