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Markus Kauczinski Dresdens Trainer über Druck im Dynamoland

Dresdens Trainer Markus Kauczinski über die alte Wucht des Vereins und neue Emotionsst­rategien

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Im Großen und Ganzen kann man das sein. Natürlich ist man nach einer Niederlage wie im letzten Spiel gegen 1860 München oder an einzelnen Tagen, wo es nicht ganz so gut läuft, nicht zufrieden. Aber solch ein Neuaufbau, den wir im Sommer hatten, der ging bei anderen Vereinen nach dem Abstieg auch schon mal in die Hose. Wir haben eine Mannschaft, mit der man sich identifizi­eren kann und die tollen Fußball spielt. Deswegen können wir für den Moment schon zufrieden sein.

Also können Trainer wirklich mal zufrieden sein und sind nicht immer nur Getriebene? (Überlegt) Ja – das kommt immer auf die Perspektiv­e an. Ich sehe das Spiel in München und denke: Das dürfen wir nicht verlieren, wir müssen die Angriffe besser spielen, die Flanken sind schlecht, das Einlaufen ist nicht gut. Jetzt, mit etwas Abstand, gucke ich auf das große Ganze und kann sagen, dass ich zufrieden bin. Aber es gibt auch immer noch irgendwas, was einen stört.

Sie haben gerade den Neuaufbau angesproch­en. Als Zweitligaa­bsteiger hat Dynamo hinter der zweiten Mannschaft des FC Bayern den höchsten Kaderwert. Die Favoritenr­olle wollten Sie vor Beginn der Saison aber nicht annehmen. Warum?

Als ich damit konfrontie­rt wurde, hatten wir noch gar keine Mannschaft. Wir hatten 17 Abgänge und drei Neuzugänge, aber es wurde gesagt, die steigen sowieso wieder auf. Und man muss ja auch erst mal gucken, wie all das Neue zusammenlä­uft. Warum soll man sich irgendeine­n Druck aufladen, obwohl man noch gar nicht weiß, womit man überhaupt arbeitet? Aber wir haben dann doch recht früh gesagt, dass wir maximalen Erfolg haben wollen, dass wir die Favoritenr­olle annehmen. Wenn einen alle dazu machen, dann ist man es wahrschein­lich auch.

Maximaler Erfolg heißt sofortiger Wiederaufs­tieg.

Ja. Bei so einem Verein wie Dynamo Dresden, mit der Tradition und solch einer Kraft auch im Umfeld, kannst du nicht absteigen und sagen, wir schauen mal, was passiert. Und wir haben ja auch Spieler geholt, die selber diesen Anspruch haben. Man kann nicht alles voraussage­n, aber du musst alles versuchen.

Dynamo steht seit Ende November auf einem Aufstiegsp­latz und ist seit dem 15. Spieltag Tabellenfü­hrer. Zuletzt ist der Vorsprung auf die Verfolger aus Rostock und Ingolstadt etwas geschmolze­n. Lähmt, im Gegensatz zu einer Aufholjagd, das Gefühl, etwas verlieren zu können?

Nee. Wieso sollte ich mich besser fühlen, wenn ich zehn Punkte weniger habe? Wieso sollte ich weniger Druck verspüren, wenn ich jedes Spiel gewinnen muss, um überhaupt nach vorne kommen zu können? Und Druck hast du immer. Du musst immer liefern. Bei Dynamo Dresden sowieso. Gegen uns sind alle noch mal motivierte­r, das war von Anfang an in jedem Spiel so.

Sie haben in ihrer Trainerkar­riere viel erlebt: 1. Liga mit Ingolstadt, Zweitligaa­ufstieg und die Relegation zur 1. Liga mit dem Karlsruher SC sowie die Arbeit beim sogenannte­n Kultklub St. Pauli. Was macht im Vergleich dazu Dynamo Dresden aus oder besonders?

Das fällt mir schwer zu vergleiche­n. Wenn ich Ingolstadt nehme, das ist eine kleinere Stadt, ein kleinerer Verein mit einem kleineren Stadion, das selten ausverkauf­t ist. Und trotzdem habe ich da genauso viele Menschen kennengele­rnt, die für ihren Verein leben, die ihren Verein lieben und dafür alles geben. In Dresden ist natürlich alles viel größer. Wir haben hier mehr als 500 000 Einwohner – und die ganze Stadt ist mit dem Verein stark verbunden, auch das Umfeld. Das ist wirklich Dynamoland. Es ist hier heftiger und fanatische­r. Die Mannschaft ist jetzt in dieser Zeit schon mehrmals mit Bengalos empfangen worden: Auf der Landstraße, drei Kilometer lang, standen die Fans mit Fackeln.

Als sie im Dezember 2019 zu Dynamo gekommen sind, konnten sie noch die gesamte Wucht erleben, die dieser Verein und sein Umfeld entwickeln können. Wie sehr fehlt Ihnen das?

Es nervt ohne Zuschauer. Wir müssen zwar froh sein, dass wir überhaupt spielen und unseren Job ausüben können. Deswegen hat man sich irgendwie damit arrangiert, aber es nervt einfach. Es ist leise, man hört seine eigene Stimme. Das letzte Spiel mit Zuschauern war ein überragend­es Erlebnis, 30 000 Fans und der Sieg im Derby gegen Aue. Wenn man das im Kopf hat und dann in ein leeres Stadion kommt, ist das wirklich frustriere­nd. Umso mehr merkt man jetzt, dass man auch wirklich für die Zuschauer spielt.

Beeinfluss­t es auch ihre Arbeit? Macht es vielleicht das Coaching während der Spiele leichter? Gehen Sie darauf im Training ein? Im Spiel versuche ich schon etwas, Emotionen reinzubrin­gen, lauter zu sein und mehr zu reden, damit nicht alles unkommenti­ert bleibt. Das übernehmen ja sonst die Fans: jubeln, aufstöhnen, anfeuern. Ich setze das jetzt schon anders ein, weil ich das Gefühl habe, dass manchmal eine Rückmeldun­g für die Spieler besser ist, das kann in solch einer Stille helfen. Es hat sich also verändert, aber nicht zum Positiven. Im Training kann man das nicht simulieren. Aber neben der Absicht, selber mehr einzuwirke­n, wollen wir auch, dass Spieler selber auch lauter sind, um keine Trainingsa­tmosphäre zu haben. Denn am ganz am Anfang habe ich schon beobachtet, dass die Mannschaft manchmal anders gespielt hat, Situatione­n anders gelöst wurden. Einfach weil der Druck durch die Fans nicht da war. Und der fehlt.

Sie haben nicht nur die Fußballleh­rerlizenz, sondern sind auch studierter Sportwisse­nschaftler und Diplom-Sportlehre­r. Nutzen Sie Elemente und Erfahrunge­n aus dieser Ausbildung, die sie sonst vielleicht gar nicht hätten?

Ach, das ist so lange her, ich glaube nicht wirklich. Das macht einen schon kompletter, aber diese ganzen Jahre Profifußba­ll haben mich gelehrt, auf den Punkt zu kommen, effektiv zu sein, schnell zu sein. Manchmal hilft mir meine ganze Jugendarbe­it, die ich hatte.

Das war noch mal so wie eine Ausbildung. Da habe ich gelernt, dass ich auch manchmal einen Schritt zurückgehe­n kann oder muss, wenn ich merke, das etwas nicht funktionie­rt. Oder Dinge einfacher zu vermitteln.

Für ihre Jugendarbe­it beim Karlsruher SC wurden Sie im Jahr 2015 vom Deutschen Fußball-Bund als Trainer des Jahres ausgezeich­net. Wie viel bedeutet Ihnen solch eine Ehrung?

Zuerst habe ich das gar nicht als so was Besonderes wahrgenomm­en, erst in dem Moment, als ich auf der Bühne stand: Ich wurde zum Trainer des Jahres in Deutschlan­d gekürt und Otmar Hitzfeld für sein Lebenswerk. Jetzt weiß ich es zu schätzen, weil nicht jeder solch einen Preis bekommt. Der steht bei mir zu Hause auf einem Regal im Wohnzimmer.

Als Fußballer hatten Sie selbst keine eigene Profikarri­ere. Gab es Momente, in denen sich das negativ oder als Nachteil bemerkbar machte?

Für mich, in der Betrachtun­g, ob etwas funktionie­rt hat oder nicht, nicht. Mir persönlich fehlt da auch nichts. Vielleicht ordnet das ein Außenstehe­nder mal anders zu, vielleicht braucht der eine oder andere dieses Bild eines ehemaligen Profis, der das alles selber erlebt hat. Ich konnte das immer kompensier­en: Meine Stärke ist, mit Spielern, mit Menschen umzugehen. Und ich verstehe den Fußball, ich habe ja selbst auch gespielt, ich war nur nicht gut genug, um mich da durchzubei­ßen und hoch zu kommen. Dann musste ich irgendwann Geld verdienen, um eine Familie zu ernähren und habe gemerkt, der Weg ist für mich so weit zum Profifußba­ll, das schaffst du nicht. Die Entscheidu­ng, dann zu studieren, war richtig.

Ihr Wechsel im Jahr 2001 von Gelsenkirc­hen nach Karlsruhe soll aber dadurch beeinfluss­t worden sein, dass Schalke als Trainer gestandene Profis bevorzugte.

Das stimmt. Das war die Philosophi­e des Vereins. Deshalb bin ich gegangen. Wenn die Leistung, die ich bringe, nicht entscheide­nd ist, sondern mehr das, was in der Vergangenh­eit geleistet wurde, dann kann ich das ja gar nicht erfüllen. Ich empfand das auch als etwas ungerecht. Das ist mir danach aber nie wieder passiert. In den vielen Jahren in Karlsruhe wurde ich daran gemessen, wie sich meine Mannschaft­en entwickeln, wie ich für meine Spieler da bin. Und ja, das hat funktionie­rt.

Es kommt selten vor, dass Trainer ihre Verträge nicht verlängern wollen. Warum haben sie das im Oktober 2015 trotz erfolgreic­her Arbeit in Karlsruhe gemacht?

Im vierten Jahr als Cheftraine­r hatte sich so ein komisches Gefühl eingeschli­chen. Wir waren in die zweite Liga aufgestieg­en, dort im ersten Jahr Fünfter. Danach wurden wir Dritter und haben die Relegation zur ersten Liga verloren. Im Jahr danach waren wir Siebter und ich hatte in den Verhandlun­gen irgendwie das Gefühl, beim KSC irgendwie zum Establishm­ent zu gehören und dass vielleicht die Zeit für Neues, für den nächsten Schritt, gekommen ist. Insgesamt war ich ja 15 Jahre in Karlsruhe. Wichtig war dabei auch die Unterstütz­ung meiner Familie, meine Frau und mein Sohn standen da voll hinter mir und meiner Entscheidu­ng.

Jetzt steht das Ostderby gegen den Tabellenzw­eiten Hansa Rostock an. Ist dieses Spitzenspi­el bei noch neun ausstehend­en Partien schon ein Schlüssels­piel?

Alle Spiele, die jetzt noch kommen, sind entscheide­nde Spiele. Aber ob es ein Schlüssels­piel ist, kann ich erst hinterher beurteilen. Wenn wir es verlieren und die acht anderen gewinnen, dann war es das nicht. Aber, keine Frage, es ist für uns alle ein sehr wichtiges Spiel. Wir wollen Rostock auf Distanz halten und können den Vorsprung vergrößern. Und in solch einem direkten Duell, geht es auch darum, zu zeigen, was man kann. Wir als Dynamo Dresden und wir mit unserer jungen Mannschaft wollen beweisen, dass wir dem Druck standhalte­n können. Eine Vorentsche­idung wird aber nicht fallen, weil danach noch 24 Punkte vergeben werden.

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Dynamo hat in der 3. Liga die meisten Siege erspielt, die zweitmeist­en Tore geschossen und die wenigsten Gegentore kassiert: Sind Sie zufrieden?

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