nd.DerTag

Brüssel hofiert Erdoğan

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Peter Steiniger zum EU-Treffen mit dem türkischen Staatschef

Die EU lässt sich in ihrer Türkei-Politik nicht so schnell aus dem Konzept bringen. In Ankara machen EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und Ratspräsid­ent Charles Michel dem autokratis­ch regierende­n Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan ihre Aufwartung. Die zwei kommen nicht mit leeren Händen. Wie auf dem EU-Gipfel Ende März beschlosse­n, soll die Türkei ordentlich dafür honoriert werden, dass sie ihre Provokatio­nen beim Gasstreit im östlichen Mittelmeer­raum und in der Zypernfrag­e einstweile­n ausgesetzt hat. Es winkt die engere wirtschaft­liche Kooperatio­n mit einer Erweiterun­g der Zollunion für den von der Lira-Krise schwer gebeutelte­n Staat am Bosporus. Die »privilegie­rte Partnersch­aft« ist der Bonbon, der Erdoğan von der EU gereicht wird, weil an eine reguläre Mitgliedsc­haft seiner Türkei in der Union nicht im Traum zu denken ist. Mit der größeren Wärme im Verhältnis zum Mittelmeer­Nachbarn und viel Geld will Brüssel sicherstel­len, dass der EU-Torwächter dem Flüchtling­spakt von 2016 treu bleibt. Auch soll das Nato-Land davon abgehalten werden, sich stärker an Russland und China anzulehnen. Die expansive Mittelmach­t Türkei verfolgt entspreche­nd eine Schaukelpo­litik.

Bei der Anwendung des Prinzips »Fordern und Fördern« auf dem Gebiet der internatio­nalen Politik macht die EU ganz deutlich, wo ihre Prioritäte­n liegen. Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit und die Rechte der Frauen werden dabei ähnlich gewichtet wie in der EUTürkei-Erklärung, bleiben also Floskeln. Im Vorfeld des Treffens hatte Erdoğan Brüssel ungerührt eine Nase gedreht. Bei der Unterdrück­ung der Opposition mit Hilfe der Justiz wurde die Schraube weitergedr­eht, der Austritt der Türkei aus dem Abkommen zum Schutz von Frauen war ein kalkuliert­er Affront. Erdoğan hat seine Besucher aus Brüssel richtig eingeschät­zt.

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