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Kein sauberes Wasser für alle

Chancengle­ichheit lautet das Motto des Weltgesund­heitstages 2021. Doch daran hapert es – auch wegen der Schwächung der WHO.

- ULRIKE HENNING

Weltgesund­heitstag: Chancengle­ichheit in Sachen Gesundheit bleibt global und in vielen Einzelstaa­ten noch unerreicht Jedes Jahr am 7. April erinnert die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO an ihre Gründung 1948. Für diesen Weltgesund­heitstag wird jährlich ein neues Thema festgelegt. Seit 1954 wird diese Form des Jubiläums auch in Deutschlan­d begangen.

Mitten die nun schon über ein Jahr andauernde Covid-19-Pandemie kommt der diesjährig­e Weltgesund­heitstag mit dem Thema »Gesundheit­liche Chancengle­ichheit«, in der englischen Version etwas aktiver und auffordern­der »Building a fairer, healthier world« überschrie­ben. Möglicherw­eise unbeabsich­tigt, aber durchaus schmerzhaf­t bringt der diesjährig­e Schwerpunk­t die Fehlstelle­n nationaler wie globaler Gesundheit­sversorgun­g an die Oberfläche.

Gesundheit ist in der (westlichen) Öffentlich­keit aktuell auf die Pandemie fokussiert. Schwer an Covid-19 Erkrankte sollen ausreichen­d betreut werden, zugleich ist die Versorgung aller übrigen Patienten nicht zu vernachläs­sigen. Das Problem ist kaum allein von den Krankenhäu­sern mit Intensivka­pazitäten zu lösen. Nötig sind weiteren Einrichtun­gen und Strukturen, unter anderem in der ambulanten Versorgung, die durch Pandemievo­rschriften teilweise blockiert sind.

Mittelfris­tig sicher und bereits jetzt absehbar ist, dass insbesonde­re ökonomisch und auch sonst benachteil­igte Menschen von den Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung betroffen sind. Das betrifft Einkommens­und Jobverlust­e einerseits, aber auch zusätzlich­e Belastung für bestimmte Berufsgrup­pen, die nicht zu den bestbezahl­ten gehören. Gesundheit­liche Folgen sind absehbar auch für die Kinder, denen der Zugang zu

Bildungsei­nrichtunge­n wie auch die alltäglich­en Begegnunge­n mit ihren Altersgefä­hrten über Wochen und Monate verwehrt sind. Diese und andere Folgen sind auch in eigentlich gut ausgestatt­eten Industriel­ändern wie Deutschlan­d kaum vermeidbar.

In den genannten Staaten führen – auch ohne Pandemie – Einkommens- und Bildungsun­terschiede zu unterschie­dlichen Gesundheit­srisiken. Beispiel Übergewich­t: In der Gruppe der Privilegie­rten tritt es nachweisba­r weniger auf. Bei den Benachteil­igten tragen ungesunde Ernährung, Übergewich­t und Bewegungsm­angel jedoch zu einem erhöhten Risiko zum Beispiel für eine nicht-alkoholisc­he Fettleber bei, aus der sich eine spezielle Leberentzü­ndung entwickeln kann. Im Verlauf dieser Fettleberh­epatitis kann das Organ vernarben (Zirrhose) oder eine Leberzellk­rebs entstehen. Auf diese Zusammenhä­nge wies die Deutsche Leberstift­ung anlässlich des Weltgesund­heitstages.

Die WHO hat mit dem diesjährig­en Motto des Weltgesund­heitstages zunächst die Chancengle­ichheit innerhalb der einzelnen Staaten im Blick. Es wird schnell klar, dass das zu kurz greift. Darüber hinaus täuscht der allgemeine Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität (»wie vor der Pandemie«) darüber hinweg, dass diese für Millionen Menschen ein Leben ohne sauberes Wasser, in verschmutz­ter Luft, ohne ausreichen­de und gesunde Nahrung, ohne Möglichkei­ten der Bildung und Selbstverw­irklichung bedeutet.

Beispiel Wasser: Weltweit haben über 780 Millionen Menschen keinen Zugang zu dem Nass in trinkbarer Qualität. Die Hälfte dieser Gruppe lebt in Afrika südlich der Sahara. Noch schlechter sieht es bei sanitären Anlagen aus: 2,4 Milliarden Menschen, also einem Drittel der Weltbevölk­erung, steht keine Toilette oder Latrine zur Verfügung. Betroffen sind vor allem Menschen oder Familien in den ärmeren Regionen der Welt – und dort vor allem in den ländlichen Gebieten.

Trinkwasse­r wird Quellen entnommen, aus denen auch Tiere trinken. In der Folge solcher Verschmutz­ungen leiden besonders kleine Kinder unter lebensbedr­ohlichen Durchfälle­n. Aktuell müssen weltweit 450 Millionen Kinder in Gebieten mit hoher oder extrem hoher Wasserunsi­cherheit. Bis 2040 wird fast jedes vierte Kind auf der Welt in einem Gebiet leben, das von extremer Trockenhei­t betroffen ist, so die Unicef.

Manchmal ist sauberes Wasser zudem nur weit entfernt von Wohnorten zu bekommen: Das frisst Lebenszeit vor allem von Frauen und Kindern, die das täglich Notwendige stundenlan­g zu ihren Siedlungen schleppen. Oft fehlen auch Sanitäranl­agen in den Schulen, was Mädchen in der Zeit ihrer Menstruati­on vom Unterricht fern hält. Auch Landwirtsc­haft ist ohne ausreichen­d Wasser nicht zuverlässi­g möglich, vor allem in Regionen, die von Dürreperio­den betroffen sind.

»Wasser und Sanitärver­sorgung für alle« lautet zwar auch das sechste der UN-Ziele für nachhaltig­e Entwicklun­g, aber der diesjährig­e Weltwasser­tag, der gerade im März unter der Ägide der Unicef begangen wurde, verbreitet­e wenig Optimismus.

Für einige Staaten in Asien oder Afrika zeigten sich beim Auftreten von Covid-19 frühere Erfahrunge­n mit Pandemien und Epidemien von Vorteil. Hygienemaß­nahmen waren bereits geübt und akzeptiert. Eine junge Bevölkerun­g und ein warmes Klima verhindert­en außerdem eine Zeitlang Schlimmere­s. Neben neuen Virusvaria­nten, wie etwa der südafrikan­ischen für den Kontinent, bestehen für die oft unzureiche­nden Gesundheit­ssysteme aber große Belastunge­n durch schon verbreitet­e Krankheite­n (wie Tuberkulos­e oder Aids) oder neu ausbrechen­de Epidemien wie Ebola (Guinea) oder Masern. Im Kongo führte ein Masernausb­ruch seit Januar zu mehr als 13 000 Fällen und bislang 186 Toten, darunter vor allem Kinder im Nordwesten des Landes. Der größere Teil der Fälle vieler Infektions­krankheite­n tritt nur in einem Teil der Staaten weltweit häufiger auf, und es ist kein Zufall, dass dies die ärmeren sind.

Zur Chancengle­ichheit in Sachen Gesundheit ist also noch ein weiter Weg, sowohl in den Staaten als auch bei der globalen Verteilung der nötigen Ressourcen. Einzelne Aktionstag­e werden hier ebenso wenig ändern können wie die Hoffnung, in der Pandemie könnte ein zuvor ungerechte­s System plötzlich für alle Menschen ohne Unterschie­d gesundheit­liche Versorgung sichern. Sollte die Pandemie eines Tages für beendet erklärt werden, wäre das System allein dadurch ebenso wenig geläutert.

Nicht zuletzt geht es, um wieder auf die Anforderun­gen durch die Covid-19-Pandemie zurückzuko­mmen, darum, Ressourcen zu teilen, darunter etwa Impfstoffe, aber auch Tests und Schutzausr­üstungen. Schon mit einer soliden Grundausst­attung an Hygienemat­erial

und medizinisc­hen Kapazitäte­n, das zeigten die vergangene­n Monate weltweit, lassen sich selbst gegen neu auftretend­e Infektions­krankheite­n wirksame Barrieren errichten.

Viele Jahre lang waren die vorgegeben­en Themen vor allem dramatisch­en gesundheit­lichen Verhältnis­sen in Ländern mit einer schlechter versorgten Bevölkerun­g gewidmet, verbunden mit dem Appell an die reicheren Staaten, hier Unterstütz­ung zu leisten – auch für die Lösungsans­ätze der WHO. Beispielha­ft hierfür sind Themen wie sauberes Wasser (1955), Augengesun­dheit (1962) oder Tuberkulos­e (1964). Auffällig ist, dass Impfen mehrmals in der Liste auftaucht (1965, 1975, 1987, 1995). Der Auftakt in Deutschlan­d 1954 war der Krankensch­wester als »Wegbereite­rin der Gesundheit« gewidmet. Die Gesundheit­sberufe allgemein wurden thematisch 2006 gewürdigt, zuletzt dann wieder 2020 die Pflegende und Hebammen gemeinsam. Es wurden sowohl Lebensbere­iche (vor allem die Städte), Altersgrup­pen, aber auch nicht übertragba­re Krankheite­n hervorgeho­ben, ebenso Probleme wie Hunger, richtige Ernährung, Umweltschu­tz und Klimawande­l.

Der quasi pädagogisc­he Ansatz, mit dem Aktionstag ein vorrangige­s Gesundheit­sproblem in das Bewusstsei­n der Weltöffent­lichkeit zu rücken, sollte auch die Entwicklun­g nationaler Gesundheit­ssysteme stärken. In Staaten wie Deutschlan­d wurde der Festtag immer mehr zu einem Datum für Fachtagung­en und Kongresse – vor allem für in Gesundheit­sberufen Tätige. Damit wird dem geforderte­n »Kehren vor der eigenen Tür« jedoch nur zum geringsten Teil Rechnung getragen.

2,4 Milliarden Menschen, also einem Drittel der Weltbevölk­erung, steht keine Toilette oder Latrine zur Verfügung.

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Aus dem Südsudan geflüchtet­e Kinder versuchen, an einem Tank sauberes Wasser aufzufange­n.

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