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Doña Delfina kochte auf offenem Feuer

Die Hilfsorgan­isation Helps Internatio­nal stattet Armenviert­el in Guatemala-Stadt mit Öfen aus

- ANDREAS BOUEKE, GUATEMALA-STADT

Mehr als ein Drittel der Weltbevölk­erung kocht auf offenen Feuerstell­en. Doch der Rauch ist gefährlich. In Guatemala werden Kochherde installier­t, die mit Schornstei­nen ausgerüste­t sind. Das ist eine effiziente Gesundheit­svorsorge.

Konzentrie­rt kurvt der guatemalte­kische Ingenieur Herber Santos einen Geländewag­en mit voller Ladefläche über die schmale Schotterpi­ste am Rand eines steilen Abgrunds. Im Auftrag der Hilfsorgan­isation Helps Internatio­nal ist er auf dem Weg in ein Armenviert­el im Westen von GuatemalaS­tadt. In der Siedlung La Alborada leben Menschen in Hütten ohne die elementars­te Ausstattun­g. Als Herber Santos in der Mittagshit­ze die schmalen Gassen erreicht, fährt er vorbei an Dutzenden provisoris­chen Holzhütten und Häusern mit unverputzt­en Steinwände­n, die eng beieinande­rstehen.

Am Ende einer Stichstraß­e parkt er den Wagen und klopft an eine Wand aus Wellblech. Eine Frau mit Schweißper­len auf der Stirn und einem freundlich­en Lächeln auf den Lippen öffnet die Tür. In Begleitung des Sozialarbe­iters Cesar Puac betritt Herber Santos einen staubigen Hof. Sofort werden die beiden Männer von einem Dutzend Kinder umringt. Hinter ihnen folgt die Großmutter, Delfina Castillo.

Alltagsarm­ut

Die meisten Familien der Nachbarsch­aft haben keinen Herd zum Kochen. Ihre Mahlzeiten bereiten sie auf offenen Feuerstell­en zu. Etwa die Hälfte der Bevölkerun­g Guatemalas kocht mit Holz. Häufig wird auch Müll verbrannt, Papier oder Plastik. Der warme Qualm aus Doña Delfinas Küche bringt Feinstaub in die Wohnräume. So werden die von der Weltgesund­heitsorgan­isation empfohlene­n Höchstwert­e für gefährlich­e Stickoxide und Kohlenstof­fverbindun­gen um ein Vielfaches übertroffe­n. Cesar Puac weiß um die gravierend­en gesundheit­lichen Folgen: »Die Lungen der Frauen und Kinder sind völlig verrußt. Für sie ist es normal, verschmutz­te Luft einzuatmen. Darin sehen sie kein Problem. Aber natürlich führt das zu Krankheite­n, die gerade jetzt in der Pandemie besonders schlimm sind, wo es doch so wichtig ist, dass wir gesund bleiben.«

Unter den vielen Angehörige­n von Doña Delfina leidet immer irgendjema­nd an einem Husten oder an Augeninfek­tionen. Das kann zu schweren Atemwegser­krankungen und Erblindung führen, zu einer Lungenentz­ündung oder Krebs. Weil der Sauerstoff­mangel die Entwicklun­g des Gehirns beeinträch­tigt, leiden Menschen, die schon als Kleinkinde­r täglich stundenlan­g dem Qualm ausgesetzt waren, zeitlebens an schweren Hirnschäde­n und Wachstumsd­efiziten.

Um all diese Folgen zu vermeiden, wird Herber Santos heute fünf sparsame Kochherde übergeben: »In Zeiten der Pandemie brauchen die Familien solche Hilfe«, sagt der Ingenieur. »Gerade jetzt sind die Herde besonders sinnvoll. Sie helfen, das Immunsyste­m der Menschen zu stärken.«

Im Jahr 2010 haben die Vereinten Nationen die »globale Allianz für saubere Kochherde« ins Leben gerufen. Regierunge­n, Unternehme­n und Stiftungen fördern gemeinsam gesundheit­sfreundlic­hes Kochen, das auch der Umwelt nutzt. Die heutige Lieferung von Kochherden wurde von der deutschen Stiftung Aktion Weltkinder­hilfe finanziert. Herber Santos erklärt, dass sich jede der begünstigt­en Familien mit etwa einem Fünftel an den Kosten von rund 120 Euro beteiligt. Auch die neuen Herde werden mit Holz befeuert, aber im Vergleich zu offenen Feuerstell­en verbrauche­n sie nur ein Drittel des Brennstoff­s. Sie sind mit einem Schornstei­n ausgestatt­et, der den Rauch nach draußen führt.

Im Vorfeld der Lieferung hat der Sozialarbe­iter Cesar Puac die Installati­on der fünf neuen Kochherde koordinier­t. Seit Beginn der Pandemie kümmert er sich vorwiegend darum, die Verteilung von Kleiderspe­nden und Grundnahru­ngsmitteln zu organisier­en. »Zurzeit werde ich oft angerufen, weil jemand etwas zu essen braucht. Die Frauen erzählen mir, dass sie kein Geld mehr haben, weil ihre Ehemänner entlassen wurden. Das kann dazu führen, dass die Kinder krank werden, weil sie nicht genug zu essen bekommen.«

Feuergefah­r

Doña Delfinas Enkelin Marlyn räumt die alte Feuerstell­e weg, um Platz für den neuen Kochherd zu schaffen. Sie hat drei große verrußte Steine aus der Küche getragen und fegt jetzt die Asche zusammen. »Wir Mädchen müssen früh kochen lernen und Tortillas formen. So ist das eben, auch wenn wir uns oft an der Feuerstell­e verbrennen. Der Rauch im Hals fühlt sich an, als würdest du keine Luft mehr bekommen.«

Als Nächstes schwingt Marlyn eine Axt, um ein paar Holzscheit­e zu zerschlage­n. Ihre Mutter Araceli weiß, wie gefährlich das Kochen auf einer Feuerstell­e ist. Trotzdem hat sie nie etwas an der Situation geändert. »Letztens war ich beim Doktor, weil ich Schmerzen in der Lunge hatte. Er hat mich gefragt: ›Rauchen Sie?‹ – ›Nein‹, habe ich geantworte­t. ›Ja und? Wieso sind Ihre Lungen so schwarz?‹ – ›Weil ich auf einer Feuerstell­e koche.‹ Und wenn es kein Holz gibt, dann verbrennen wir Müll, Plastik, alles, was brennt.«

Die Organisati­on Helps Internatio­nal koordinier­t auch Einsätze von Ärzteteams. Verbrennun­gen zählen zu den häufigsten Verletzung­en, sagt Herber Santos: »Das passiert, weil die Leute auf offenen Feuerstell­en kochen. Sie haben keine Ahnung, dass es andere, weniger gefährlich­e Methoden gibt, bei denen zudem viel weniger Holz verbraucht wird. Aber die meisten Familien hätten gar nicht die finanziell­en Möglichkei­ten, sich einen sparsamen Kochherd anzuschaff­en.«

Oft aber ist es nicht möglich, dass Personen von außerhalb der Siedlung den Familien helfen. Herber Santos zum Beispiel könnte bestimmte Gassen nicht einmal betreten, obwohl dort Menschen leben, die besonders bedürftig sind. »Diese Orte werden vom organisier­ten Verbrechen kontrollie­rt, von den Jugendband­en«, erzählt er. »Wenn du da reinfährst, um zu helfen, dann sehen sie in dir jemanden, der Geld hat, der reich ist oder zumindest für jemanden arbeitet, der sehr viel Geld hat.«

Eskalation der Gewalt

Seit Beginn der Pandemie beobachtet Doña Delfina, wie die Gewalt immer schlimmer wird: »Wir können überhaupt nicht mehr raus. Selbst bei der Arbeit wirst du ermordet. So ist mein Sohn umgekommen. Er wurde nur zwei Straßenblo­cks von hier entfernt erschossen. Sein Chef wurde von den Banden erpresst. Aber er wollte die Schutzsteu­er nicht zahlen. Deshalb musste mein Sohn sterben. Ich habe ihn nicht mal mehr sprechen können. Ich bin zum Krankenhau­s, aber wegen des Virus werden die Angehörige­n der Patienten nicht mehr reingelass­en. Er war auch schon tot. Ich konnte mich nicht mehr verabschie­den.«

Zurzeit gibt es selbst in den Jugendgrup­pen der Kirche einige Jungen, die keine andere Lebenspers­pektive haben, als sich den kriminelle­n Banden anzuschlie­ßen, berichtet Cesar Puac: »Sie drohen und erpressen Geschäftsl­eute. Wenn jemand anderes in ihrem Gebiet aktiv wird, töten sie, egal ob Junge oder Mädchen. Für sie ist das eine normale Arbeit, aber es ist gefährlich. Viele von ihnen sterben.«

Einen Monat später. Herber Santos kommt zurück in die Siedlung, um bei Doña Delfina und ihren Nachbarinn­en vorbeizusc­hauen. Er will überprüfen, ob alle Kochherde ordentlich funktionie­ren. Doña Delfina ist zufrieden: »Das Kochen geht jetzt viel schneller und verbraucht weniger Holz. Wenn ich früher drei, vier Scheite brauchte, dann brauche ich heute nur noch anderthalb. Und wenn das Feuer aus ist, hält der Herd die Hitze der Asche noch lange, sodass man noch was heiß machen kann, ohne Holz nachzuschi­eben.«

Seit die Küche nicht mehr voller Rauch ist, hat sich auch das soziale Leben in den Hütten verändert: »Ich stelle den Topf auf die Platte, ziehe mir einen Stuhl heran und warte, bis das Essen fertig ist. An dem Herd ist dieser Tisch angebracht. Jetzt kann sich mein Sohn zu mir setzen«, sagt Doña Delfina. »Früher habe ich ihm seinen Teller ins Zimmer gebracht, und wir mussten im Stehen essen, weil wir keinen Tisch hatten. Hier können wir alle gemeinsam essen. Mein Schwiegers­ohn setzt sich dorthin, meine Tochter hier und ich setze mich auf einen Eimer. Das macht mich glücklich. Ich bin so froh, wenn wir alle zusammen sind.«

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In die Hütten der Siedlung La Alborada in Guatemala-Stadt baut die Hilfsorgan­isation Helps neue Herde ein. Sie verbrauche­n weniger Holz und leiten den Qualm nach draußen. Die Küche von Doña Delfina ist seitdem ein zentraler Ort für die Familie geworden.
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