nd.DerTag

Im Sumpf stecken geblieben

Guatemala leidet noch immer an den Folgen des Bürgerkrie­gs

- ANDREAS BOUEKE

Die Bevölkerun­g Guatemalas ist seit Jahrhunder­ten daran gewohnt, dass fremde Mächte ihr Leben bestimmen. So auch bei der jüngsten Corona-Pandemie: Ohne Unterstütz­ung durch das Covax-Impfprogra­mm der Weltgesund­heitsorgan­isation wird die guatemalte­kische Regierung die Pandemie nicht unter Kontrolle bekommen. Das Land befindet sich in einem desolaten Zustand. Den Regierunge­n ist es noch nicht gelungen, die strukturel­len Defizite nach dem Ende des Bürgerkrie­gs (1960–1996) zu beheben.

Aber der Reigen der Abhängigke­iten begann vor einem halben Jahrtausen­d mit der Eroberung durch die Spanier, die viele Maya-Völker nahezu ausgerotte­t haben. 400 Jahre später übernahm die US-amerikanis­che United Fruit Company fast das gesamte Transportw­esen des Landes. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunder­ts förderte der Diktator Jorge Ubico die rasche Expansion des Bananenkon­zerns. Nach 14 Jahren Tyrannei musste Ubico den Protesten von progressiv­en Unternehme­rn, Studierend­en und jungen Militärs nachgeben und das Land verlassen. Dieser Sieg der Opposition ist als »Revolution von 1944« in die guatemalte­kischen Geschichts­bücher eingegange­n.

Der erste demokratis­ch gewählte Präsident Juan José Arevalo setzte 1945 weitreiche­nde Sozialrefo­rmen um. Gesetze zum Schutz der Arbeitnehm­errechte und der Meinungsfr­eiheit wurden verabschie­det. Arevalos Nachfolger, Jacobo Arbenz, ging noch energische­r vor. Doch die von ihm begonnene Landreform führte zu einem offenen Konflikt mit der weiterhin mächtigen United Fruit Company. 1954 beendete ein Militärput­sch die Reformen.

Es begann eine Epoche mehrerer aufeinande­rfolgender und von den USA unterstütz­ter Militärdik­taturen. Die Opposition wurde unterdrück­t, Gewerkscha­fter ermordet. Daraufhin formierten sich Guerillave­rbände, die in den 60er und 70er Jahren den bewaffnete­n Kampf gegen die Militärreg­ierungen aufnahmen. Die Armee reagierte mit brutalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Aufstände. Während des 36 Jahre lang andauernde­n Bürgerkrie­gs wurden mindestens 200 000 Menschen ermordet, Zehntausen­de sind verschwund­en.

Im Dezember 1996 unterzeich­neten Vertreter der Guerillafü­hrung und der Regierung einen Friedensve­rtrag. Man einigte sich auf politische und gesellscha­ftliche Veränderun­gen, so zum Beispiel die Stärkung der indigenen Kultur und staatliche Unterstütz­ung beim Landerwerb für die vielen landlosen Bauern. Doch nur wenige der Abkommen wurden umgesetzt.

Seither sind mafiöse Strukturen im Verwaltung­sapparat, in der Wirtschaft und der Politik gewachsen. Gelder aus Drogengesc­häften korrumpier­en den Wahlkampf und die Polizei, Unternehme­r bestechen den Zoll, Steuern werden hinterzoge­n. Die Gewalt im Land ist heute meist nicht mehr politisch motiviert, sondern kriminell. Es gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Die Pandemie macht alles noch schlimmer. Ein großer Teil der Schulkinde­r verliert zwei komplette Schuljahre, womöglich sogar drei. Unterernäh­rung nimmt zu. Die Visionen großer gesamtgese­llschaftli­cher Veränderun­gen sind längst verblasst.

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