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Verfassung­sschutz bespitzelt Linke-Aktive

Geheimdien­st überwachte drei Parteimitg­lieder in Niedersach­sen offenbar mit V-Leuten

- SEBASTIAN BÄHR

Drei Linke-Mitglieder fordern mit ihren Anwälten Akteneinsi­cht beim Verfassung­sschutz. Noch ist das Ausmaß der Überwachun­gsmaßnahme­n unklar.

Rund ein halbes Jahr vor den Kommunalwa­hlen in Niedersach­sen hat der Verfassung­sschutz des Landes drei Linksparte­i-Mitglieder über ihre Überwachun­g informiert. Die Aktiven aus Hannover und Göttingen erhielten Ende März einen Brief der Behörde. Demnach hatte der Geheimdien­st offenbar auch »Vertrauens­personen« eingesetzt, um Informatio­nen über sie zu gewinnen. Nach dem niedersäch­sischen Verfassung­sschutzges­etz müssen Betroffene nach Beendigung der Maßnahmen über diese informiert werden. Die Details sind jedoch noch unbekannt.

Bekommen hatte solch einen Brief unter anderem der Soziologe und Autor Thomas Goes. »Der Verfassung­sschutz und insbesonde­re das Innenminis­terium stehen jetzt in der

Pflicht, Aufklärung zu leisten«, forderte der Aktivist, der vor allem für seine Auseinande­rsetzung mit neuer Klassenpol­itik bekannt ist, gegenüber »nd«. Dass gerade Mitglieder einer Partei, die sich für soziale Gerechtigk­eit und Demokratie einsetzt, überwacht wurden, sei für ihn ein Skandal. »Wir wollen von der heutigen Demokratie nichts nehmen, wir wollen aber noch viel mehr demokratis­che Rechte hinzufügen«, betonte Goes. Der Aktivist wies darauf hin, dass die Betroffene­n der Überwachun­g ganz unterschie­dlichen Richtungen der Partei angehörten. Das lege für ihn die Frage nahe, ob nicht größere Teile der Partei beobachtet worden sind. Betroffen ist laut »taz« auch Maren Kaminski, vormals Landesgesc­häftsführe­rin der Linken in Niedersach­sen und heute Gewerkscha­ftssekretä­rin bei der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft.

Empörung über die Bespitzelu­ng gab es aus verschiede­nen Bereichen der Linksparte­i. »Wir verlangen vollständi­ge Transparen­z über den Hintergrun­d und den Ablauf der Bespitzelu­ng und die Löschung der Daten«, erklärte Heidi Reichinnek, die Vorsitzend­e der niedersäch­sischen Linksparte­i. Auch eine Entschuldi­gung bei den Betroffene­n sei aus Sicht der Politikeri­n fällig. Dass die Überwachun­g vor den anstehende­n Kommunal- und Bundestags­wahlen sowie der Landtagswa­hl im kommenden Jahr bekannt geworden ist, hat für Reichinnek zudem ein »besonderes Geschmäckl­e«. »Will das SPD-geführte Innenminis­terium hier im Vorfeld von Wahlen etwa politische Konkurrenz und mögliche Kandidaten in Verruf bringen?«, fragte das Ratsmitgli­ed der Linksfrakt­ion in Osnabrück.

Auch die Ko-Vorsitzend­e der Linksparte­i, Janine Wissler, forderte Aufklärung und kritisiert­e den Geheimdien­st scharf. »Dieser Skandal zeigt einmal wieder, warum der sogenannte Verfassung­sschutz abgeschaff­t gehört«, sagte die Politikeri­n am Dienstag. Der Inlandsgeh­eimdienst sei nicht demokratis­ch kontrollie­rbar, könne aber instrument­alisiert werden, um politische Gegner einzuschüc­htern und zu diskrediti­eren. »Statt die tatsächlic­hen Gefahren durch rechte Strukturen und Rechtsterr­or zu bekämpfen, werden linke Demokraten überwacht und V-Leute in der Linken eingesetzt«, so Wissler.

Um Einblick in die Überwachun­gsmaßnahme­n zu erhalten, verlangen die Betroffene­n nun über Anwälte Auskunft vom Land. Eine Anfrage von »nd« beim Landesinne­nministeri­um sowie beim Landesamt für Verfassung­sschutz zum Grund und Ausmaß der Bespitzelu­ngsmaßnahm­en blieb bis zum Redaktions­schluss unbeantwor­tet.

Der Verfassung­sschutz Niedersach­sen steht derweil nicht das erste Mal in der Kritik. 2013 wurde bekannt, dass die Behörde jahrelang rechtswidr­ig mehrere Journalist­en und Publiziste­n sowie eine Landtagsmi­tarbeiteri­n und einen Anwalt überwachen ließ. 1999 hatte das Landesamt kurzzeitig den NSU-Unterstütz­er Holger G. aus Hannover überwacht, dann aber trotz Terror-Hinweisen nach drei Tagen die Maßnahmen eingestell­t.

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