nd.DerTag

Ist das Zufall?

Die Bilder gleichen sich: Schon wieder winkte die Polizei eine Querdenken-Demo durch

- AYESHA KHAN

Und wieder einmal ist ein Wochenende vergangen, an dem viel zu viele Menschen an Querdenken-Demos teilgenomm­en haben. Wow. Überraschu­ng. Niemand hätte damit rechnen können. Und wo war die Polizei? Was? Sie war überforder­t/nicht vorbereite­t/wurde überrannt?

Langweilen euch die empörten Reaktionen nicht auch langsam? Um die 15 000 Menschen sollen sich am Samstag in Stuttgart ohne Masken und Mindestabs­tand an der Demonstrat­ion beteiligt haben. Neben den üblichen antisemiti­schen und verschwöru­ngsideolog­ischen Codes und Chiffren

zeigen zahlreiche Videos vom Wochenende unter anderem aber auch Polizeibea­mt*innen beim Handshake mit CovidLeugn­er*innen oder casual Small Talk mit dem ehemaligen AfD-Landtagsab­geordneten Heinrich Fiechtner. Dieser ist für rassistisc­he Äußerungen bekannt. Die aktuellen Corona-Maßnahmen verglich er mit der Zeit des Nationalso­zialismus. Das Gespräch mit den Beamten, mag man den Fotoaufnah­men glauben, verläuft gut. Alle lachen. Jemand muss wohl einen äußerst lustigen Witz gerissen haben. Zum Abschied wünschen sie sich noch mal frohe Ostern. Wie bei alten Bekannten.

Ob Querdenken oder Polizeipro­blem: Ich komme mit den Ereignisse­n, mit Nazis auf den Demos, den ganzen rechten Netzwerken, verschwund­enen Waffen und so weiter nicht mehr hinterher. Gefühlt zieht alles im Eiltempo an mir vorbei. Das scheint deutschen Politiker*innen ähnlich zu gehen, oder wieso wird sich nicht entschiede­n gegen diese Menschen gestellt?

Immer wieder stoße ich über Artikel vom Wochenende, sei es nun in Stuttgart oder wie vor zwei Wochen in Kassel – ich bin verwundert über mich selbst: nichts an den Meldungen überrascht mich mehr. Warum sind dann so viele andere empört? Und worüber eigentlich? Darüber, dass sich Coronaleug­ner*innen von sich aus nicht an die Auflagen halten oder darüber, dass weder die Politik noch Polizei es schafft, dass sich die Demonstrie­renden an die Auflagen halten? Nach Kassel waren empörte Stimmen über »Polizeigew­alt« zu hören und in Stuttgart sei man nicht entschiede­n genug gegen die Demonstrie­renden vorgegange­n. Moment, ist das etwa Polizeikri­tik?

Liberale Polizeikri­tik, wenn man sie denn so nennen will, hat doch einen anderen Blick auf die Polizei. Und ich frage mich immer noch: Ist es eigentlich Resignatio­n oder Ignoranz, dass Deutschlan­d immer noch nicht über ein strukturel­les Problem in den Sicherheit­sbehörden reden will?

Denn vielleicht ist es kein Zufall und schon gar nicht Überforder­ung, dass die Polizei bei Querdenken-Demonstrat­ionen nicht eingreift? Aber die Frage stellen sich Linke und BPoC schon lange nicht mehr. Die Polizei als Institutio­n, aber auch jeder einzelne Mensch bei der Polizei und in den Sicherheit­sbehörden, wird uns nicht schützen. Das ist weder ihre Aufgabe noch will das irgendjema­nd von ihnen. Es wäre schön, wenn sich dessen alle einmal bewusst werden könnten damit wir nicht nur endlich vorankomme­n, sondern auch Vergangene­s aufarbeite­n können und z. B. Opfer von Polizeibru­talität entschädig­en.

Doch solange es die Mehrheit der Gesellscha­ft nicht schafft, herrschend­e Verhältnis­se nicht nur zu hinterfrag­en, sondern auch Widerstand zu leisten – und hier rede ich nicht von verschwöru­ngsideolog­ischen Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen – wird auch die Polizei in ihrer bisherigen Form so weiterexis­tieren. So sorgt sie weiterhin für die Sicherheit konservati­ver und reaktionär­er Politiker*innen.

Und sie sorgt dafür, dass der Kapitalism­us in Ruhe ausbeuten kann. Oder dass der Staat abschieben kann. Denn Sicherheit­sdebatten in Europa leben von rassistisc­hen Zuschreibu­ngen, in denen wir Täter*innen sind. Was wir aber brauchen, ist Schutz. Denn Schutz heißt Solidaritä­t.

Also nein. Ich fühle mich von der Polizei nicht beschützt. Und damit bin ich nicht allein. Meine Tante sagte letztens: »Ich sage dir ganz ehrlich, dass ich all die Jahre nie darüber nachgedach­t habe, ob ich die Polizei rufen würde oder nicht, wenn hier in der Straße was passiert. Seit Hanau denke ich mir oft: wozu überhaupt?«

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