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Bauchfrei im Blitzlicht­gewitter

»Framing Britney Spears« schildert den Aufstieg und Fall des größten Popstars der späten Neunziger

- JAN FREITAG

Das Land der Freiheit ist vor allem eins der Scheinheil­igkeit. Die Heimat bibeltreue­r Christen beherbergt schließlic­h die weltgrößte Pornoindus­trie. Fünftkläss­ler haben zwar 8000 Morde auf dem Bildschirm gesehen, aber oft noch keine Brustwarze­n. Männer dürfen ohne Ansehensve­rlust Konzerne ruinieren, landen jedoch nach dreimal Kaugummikl­auen im Knast. Und während Geschlecht­sverkehr vor der Ehe für Frauen verwerflic­h ist, werden schon kleine Mädchen sexuell zugerichte­t. Willkommen in den USA, willkommen bei Britney Spears.

Seit Marilyn Monroes Erschöpfun­gstod vor 59 Jahren grätschte die bigotte Hybris des amerikanis­chen Way of Life niemandem erbarmungs­loser in die repräsenta­blen Beine als dem frühreifen Popstar. Wie erbarmungs­los, das zeigt ein Filmporträ­t, das Amazon Prime nun auch in Deutschlan­d verfügbar gemacht hat. Mit Archivbild­ern und Zeitzeugen begleitet Samantha Stark dieses Small Town Girl aus Louisiana 75 Minuten auf ihrem Weg von unten nach oben und zurück. Doch der Reihe nach.

Vom TV-Debüt mit 10 über den Mickey Mouse Club mit 15 hin zum ersten Hit »Baby One More Time« mit 17 schildert die Regisseuri­n Britney Spears’ Gesangskar­riere zunächst als erfolgreic­hes Showinvest­ment ehrgeizige­r Eltern. Doch schon der Einstieg zeigt, wie schnell es wieder bergab ging. Unter dem Hashtag #freebritne­y demonstrie­ren Fans dafür, dass ihr Idol jene Mündigkeit zurückerhä­lt, die zwölf Jahre zuvor nach einer Reihe von Skandalen auf ihren Vater Jamie übergegang­en war.

Bis dahin jedoch erlebt man den berühmtest­en Teenager der hedonistis­chen Neunziger dabei, wie er ins Blitzlicht­gewitter des Boulevards gerät, wie er die Aufmerksam­keit erst genießt, dann toleriert, später verachtet und doch bald wieder sucht; wie ein Mädchen den Jungs im Boyband-Boom jener Tage den Rang abläuft und zur Wahrung der Balance in desaströse Glamourbez­iehungen mit Justin Timberlake oder Kevin Federline getrieben wird; wie der Popstar als Mutter den amerikanis­chen Dualismus aus Heiliger und Hure in Echtzeit verkörpert und damit so heftig gegen Wände fährt, bis die süße Britney kahl rasiert, entmündigt und zerstört am Boden liegt.

»Das ist Amerika«, sagt sie an einer Stelle über Paparazzi, die ihr das Leben zur Hölle, aber auch zum Himmel machen. Dann weint sie in die Kamera, und man fühlt sich mit dieser Opfertäter­in der selbstbest­immten Ohnmacht verbunden – wenngleich die Tränen 20 Jahre alt sind. Denn wie so oft in Starporträ­ts bekommt die Porträtier­ende den Star gar nicht vors Mikro, weshalb auch Samantha Stark auf Protagonis­ten vergangene­r Popularitä­tsstadien setzt. Abgesehen von Reportern (Liz Day) der produziere­nden »New York Times« kommen also frühere Assistenti­nnen (Felicia Culotta), Stylistinn­en (Hayley Hill), Agentinnen (Nancy Carson) zu Wort.

Das mag ein Mangel an Wahrhaftig­keit sein. Doch wenn die frühere Managerin Kim Kaiman selbstkrit­isch sagt, Britney Spears verkörpere den Widerspruc­h aller Teenies, »gleichzeit­ig erwachsen und Kind sein zu können«, kehrt ein Stück Wahrhaftig­keit zurück. Denn in der Popsprache jener bauchfreie­n Girlie-Tage heißt das: virile Prüderie, züchtige Erotik, pornografi­sche Jungfräuli­chkeit, Gegensätze zum HaareAbras­ieren. Und so erzählt dieser sehenswert­e Film nicht nur über ein Mädchen unter Attacke der Regenbogen­presse, sondern über ein Land, dessen Bewohner so auf Konsum

Vor allem aber erzählt der Film viel davon, wie objekthaft die weiblichen Subjekte der Unterhaltu­ngsbranche selbst im Moment seltener Erfolge sind.

gedrillt werden, dass mit ihnen der ganze Planet verendet.

Vor allem aber erzählt er viel davon, wie objekthaft die weiblichen Subjekte der Unterhaltu­ngsbranche selbst im Moment seltener Erfolge sind. Ausgerechn­et als Bill Clinton seine Männermach­t an Monica

Lewinsky ausließ, sang Spears »Oops! ... I Dit It Again«, entsagte aber zugleich vor laufender Kamera dem Sex vor der Ehe. Im bigotten Land der unbegrenzt­en Profitmögl­ichkeiten reichte das ein paar Jahre lang für Erlöse. Bis die Erlöserin angeblich als Mutter versagte.

Den Rest der Geschichte zeigt »Framing Britney Spears« in einer misogynen Deutlichke­it, die zwar gelegentli­ch schmerzt, aber gut unterhält.

»Framing Britney Spears«: USA, 2021. Regie: Samantha Stark. 74 Min. Auf Amazon Prime.

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Pornografi­sche Jungfräuli­chkeit und züchtige Erotik: Britney Spears verkörpert die Gegensätze der amerikanis­chen 90er Jahre.

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