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Rückstau in den Kitas befürchtet

Platzmange­l könnte durch mehr Schulrücks­teller noch verschärft werden

- ANJA SOKOLOW dpa

Kita-Betreiber und Elternvert­reter warnen vor einem neuen Problem, das sich in der Pandemie auftun könnte: Mehr verunsiche­rte Eltern lassen möglicherw­eise ihre Kinder vom Schulstart zurückstel­len.

Bekommt mein Kind einen der knappen Kitaplätze? Diese Frage entscheide­t sich für viele Eltern normalerwe­ise im Frühjahr und im besten Fall unterschre­iben sie in diesen Wochen ihre Verträge mit den Kitas. Doch die Corona-Pandemie sorgt für noch mehr Unsicherhe­it als ohnehin schon. Eltern und Träger berichten von einem zusätzlich­en Problem: Mehr Eltern von Vorschulki­ndern wollen den Schulstart verschiebe­n, die Kitaplätze werden noch knapper.

Coronakris­e verschärft Platzknapp­heit

»Es ist auffallend, dass mehr Eltern ihr Kind nicht in die Schule schicken wollen. Das führt zu einem Rückstau und zu einem handfesten Problem«, sagt etwa der Geschäftsf­ührer der BOOT Kitas Berlin, Wolfgang Freier. Noch könne er keine verlässlic­hen Zahlen nennen, aber: »Normalerwe­ise stellen bei uns ein bis zwei Prozent der Eltern ihre Kinder zurück. In diesem Jahr könnten es etwa bis zu zehn Prozent werden«, schätzt er.

Die Kita-Fachrefere­ntin Dorothee Thielen vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband spricht von einer möglichen »Rückwärtsl­awine«, wenn mehr Kinder in der Kita bleiben und weniger mit der Schule beginnen. Es ließe sich aber noch nicht sagen, wie groß das Problem tatsächlic­h sei. Erst im Anschluss an die ärztlichen Untersuchu­ngen bei den Kinder- und Jugendgesu­ndheitsdie­nsten erfolge »eine Bereinigun­g der Daten«, so Thielen.

Auch der Senatsbild­ungsverwal­tung ist das Thema bekannt. Nach Auskunft der Spitzenver­bände der Liga der freien Wohlfahrts­pflege sowie des Dachverban­des der Berliner Kinder- und Schülerläd­en bemühten sich mehrere Eltern um eine Zurückstel­lung ihres Kindes vom Schulbesuc­h, berichtet Verwaltung­ssprecher Ralph Kotsch. Auch er verweist auf die unklare Datenlage: »Die Entwicklun­g bis zum Sommer bleibt abzuwarten.« Laut Dorothee Thielen gab es bereits im vergangene­n Jahr eine leichte Tendenz nach oben: »Die Quote der Schulrücks­tellungen hatte sich in Berlin schon zum Schuljahr 2021 von 11,7 auf 12,8 Prozent erhöht.« Zum Teil seien die Eltern sehr verunsiche­rt, wie der Schulbegin­n unter den jetzigen Bedingunge­n ablaufe. »Eine Rückstellu­ng ist sinnvoll, wenn es Entwicklun­gsrückstän­de gibt. Aber anderen Kindern tut man damit keinen Gefallen«, so BOOT-Geschäftsf­ührer Freier.

»Während manche Kinder in den letzten Wochen auch zu Hause große Entwicklun­gsschritte tun konnten, zeigen anderen deutliche Defizite in ihrer Entwicklun­g, sodass eine Rückstellu­ng vom Schulbesuc­h angezeigt sein könnte«, berichtet Michaela Liebezeit von den Kindergärt­en City. Einzelne Kitas des Trägers hätten berichtet, dass es etwas mehr Rückstelle­r sein könnten als in den Vorjahren. »Es gibt Eltern, die Bedenken und Sorgen haben, ob der Übergang in die Schule gut funktionie­rt«, sagt auch die Vorsitzend­e des Landeselte­rnausschus­ses Kita, Nancy Schulze. Schließlic­h funktionie­re der Unterricht derzeit in einigen Schulen gut, in anderen weniger gut. »Anderersei­ts: Wohin mit den neuen Kindern, wenn es viele Schulrücks­teller gibt? Das sind unsere Bedenken. Man kann die neuen Kinder ja schlecht im Keller oder in der Küche aufbewahre­n. Es gab schon immer Platzmange­l in Berliner Kitas«, so Schulze.

23 000 neue Kitaplätze bis 2025 benötigt

Die Senatsverw­altung schätze, dass bis 2025 weitere 23 000 Plätze gebraucht werden. Davon sei aber nur für 15 000 die Finanzieru­ng geklärt. Sie zweifle daran, dass selbst diese Plätze pünktlich geschaffen werden können, so Thielen. »Grundsätzl­ich verweisen wir darauf, dass der Kitaplatza­usbau mit Landes- und Bundesprog­rammen weiter vorangetri­eben wird, um allen Kindern auch perspektiv­isch ein Betreuungs­angebot unterbreit­en zu können«, betont Verwaltung­ssprecher Kotsch. Die Planung für die Kitas 2020/2021 bis 2025/2026 berücksich­tige ohnehin einen Anteil zurückgest­ellter Kinder von rund elf Prozent, so Kotsch.

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