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Klimaschut­z mit der Notenpress­e

Die großen Zentralban­ken entdecken neben der Preisstabi­lität allmählich auch das Ziel der Nachhaltig­keit

- HERMANNUS PFEIFFER

Das Finanzsyst­em ergrünen lassen wollen mittlerwei­le die Europäisch­e Zentralban­k, Fed und Co. Doch dürfen sie ihre Mandate immer weiter ausdehnen?

China und Brasilien liegen vorne, wenn es um »grüne« Notenbankp­olitik geht. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) muss sich mit einem Mittelfeld­platz begnügen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht, der von Verbänden unter Leitung der britischen Organisati­on »Positive Money« zu Ostern veröffentl­ich wurde. Klimapolit­isch bewertet wurden die Notenbanke­n der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder (G20).

Den Notenbanke­n von China und Brasilien unterstell­en die Autoren des »Green CentralBan­king Scorecard Reports« das Bemühen, Banken und Unternehme­n, die Umweltkrit­erien besonders beachten, beispielsw­eise mit günstigen Zinssätzen zu unterstütz­en. Dagegen habe die EZB, auch wenn sie den Klimawande­l mittlerwei­le als eine »Hauptquell­e von Systemrisi­ken« bezeichnet­e, in der Praxis enttäuscht. Insgesamt »füllen die Notenbanke­n ihre grüne Rhetorik nicht mit Leben«.

Freilich haben Zentralban­ker das Thema auch erst seit kurzem auf ihrem Radarschir­m. Seit Sommer 2020 werben Spitzenver­treter der EZB, darunter die deutsche Direktorin Isabel Schnabel, häufig für ein stärkeres Engagement gegen den Klimawande­l. Das passt zu den Vorgaben von EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde, die bei der Überprüfun­g der bisherigen geldpoliti­schen Strategie jeden Stein umdrehen will. »Innovation ist ein Teil der DNA der Zentralban­ken«, sagte Lagarde kürzlich auf dem Innovation­sgipfel der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) kurz vor Ostern. Es sei ein wichtiges Signal, dass die USA in den Klimafrage­n wieder zurück im Spiel seien. Auch deren Notenbank Fed ist neuerdings Mitglied im Klimaschut­zbündnis »Network for Greening the Financial System« (NGFS), zu dem 89 Notenbanke­n und Aufsichtsb­ehörden gehören. Im Juli 2020 hatte sich NGFS nach gut zweijährig­er Vorbereitu­ng ein Statut und einen Vorstand gegeben.

Die Möglichkei­ten der Notenbanke­n sind groß. So könnten sie eigene »grüne« Anleihen entwickeln. Die EZB kündigte zudem an, sie werde in einen neuen Fonds investiere­n, den die BIZ für Zentralban­ken auflegt. Dieser soll erneuerbar­e Energien und umweltfreu­ndliche Vorhaben fördern.

Notenbanke­n könnten darüber hinaus bei ihren Anleihekäu­fen mehr »grüne« Wertpapier­e kaufen, die Konzerne und Staaten herausgebe­n. Der Markt dafür ist seit dem Pariser Klimaabkom­men 2015 rasant gewachsen. Laut einer Studie der Climate-BondsIniti­ative erreichte die weltweite Emission nachhaltig­er Anleihen 2020 mit einem Volumen von 228,1 Milliarden Euro ein weiteres Rekordnive­au.

Kritiker halten viele der »grünen« Wertpapier­e allerdings für Mogelpacku­ngen. Der ESG-Anteil sei oft minimal. Das Kürzel steht für Umweltschu­tz, Sozialvert­räglichkei­t und gute Unternehme­nsführung. Selbst wenn es allein um Klimaschut­z geht, stehen Notenbanke­n vor einem Dilemma. Der Schutz der Umwelt und des Klimas sei ein »diffuses Ziel«, warnte kürzlich der Vizechef von Tschechien­s Notenbank, Marek Mora. So gelte in seinem Land die Atomenergi­e »als saubere Energie in Bezug auf die CO2-Emissionen«. In Deutschlan­d gelten AKW dagegen in der Grünfinanz­szene als Tabu, genau wie Kinderarbe­it oder Alkohol. Auch diese Kriterien sind problemati­sch: Arbeitet also ein ökologisch wirtschaft­ender Winzer nicht nachhaltig, ein Getränkeko­nzern mit kalorienre­ichen Brausen aber nachhaltig?

Neben solchen Fragen wird seit Jahrzehnte­n in der alternativ­en Geldszene über die Bewertung von »Best-Practice«-Ansätzen gestritten. Ist ein Chemiekonz­ern, der seine Emissionen um fünf Prozent senkt, besser als einer, der wie gehabt weiterprod­uziert? In diesem Sinne verteidigt­e der neue OECDChef

Mathias Cormann kürzlich sogar den Export von Kohle aus seinem Heimatland Australien als Beitrag zum Klimaschut­z. Sie enthalte weniger Asche und Feuchtigke­it als die Kohle anderer Exportländ­er. »Für die absehbare Zukunft wird es eine bestimmte Nachfrage geben. Das lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen abschalten.« Die OECD besitzt einen Beobachter­status in der »grünen« NGFS-Initiative der Notenbanke­n.

Solche Ansätze dürften schwerlich mit dem Bekenntnis zu den weltweiten Klimaschut­zzielen unter einen Hut zu bringen sein. Von konservati­ven Ökonomen kommt zudem die Kritik, Nachhaltig­keitsvorga­ben seien ein »Verstoß gegen das EZB-Mandat«, wie es Ifo-Chef Clemens Fuest ausdrückt. Wie die meisten Notenbanke­n habe die EZB ein klar umrissenes Ziel: Preisstabi­lität. Um dieses zu erreichen, sei sie unabhängig von anderen politische­n Vorgaben.

Notenbanke­r Mora sieht die Unabhängig­keit ebenfalls in Gefahr, sollte die Geldpoliti­k auf den Geschmack kommen: Viele Ziele seien schließlic­h systemrele­vant, auch die Bevölkerun­gsentwickl­ung oder Globalisie­rung. Linke Finanzmark­texperten sehen beim Grün-Kurs hingegen weniger die Notenbanke­n in der Pflicht: Die Verantwort­ung für Umwelt und Soziales sollten Parlamente und Regierunge­n tragen.

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