nd.DerTag

Verwöhnte Diva

- SVEN GOLDMANN

Am vergangene­n Sonnabend durfte Neymar da Silva Santos Júnior mal wieder mitspielen, zum ersten Mal nach knapp zweimonati­ger Verletzung­spause. Aber eine richtig schöne Einstimmun­g war es nicht für diesen Mittwoch, für das bevorstehe­nde Gastspiel in München. 0:1 verlor Paris Saint-Germain im Spitzenspi­el der Ligue 1 gegen den OSC Lille. Neymar fiel nur einmal auf, kurz vor Schluss, als er bei einem Gerangel ein wenig zu heftig rangelte und sich die Gelb-Rote Karte abholte.

Das Magazin »France Football« machte sich am Tag danach lustig über das »verwöhnte Kind« aus Brasilien, es ist jetzt ja auch schon 29 Jahre alt und möge doch bitte ein bisschen reifer werden, am besten schon am Mittwoch in München. Für die Pariser geht es im Viertelfin­alhinspiel der Champions League darum, eine missratene Saison noch ein wenig aufzuhübsc­hen. Und das ausgerechn­et gegen die Bayern, die PSG bei der Schlussvor­stellung im europäisch­en Fußballzir­kus im vergangene­n Sommer mit 1:0 besiegt hatten.

Doch in Paris verbinden sie mit den Münchnern nicht nur schlechte Erinnerung­en. Vor allem Neymar denkt sehr gern zurück an sein erstes Spiel im blau-roten Trikot gegen den deutschen Rekordmeis­ter. Damals, im September 2017, kurz nach seinem Wechsel aus Barcelona nach Paris, beendete er in München eine Ära, die noch gar nicht richtig begonnen hatte.

Bayerns Trainer hieß damals Carlo Ancelotti – ein in sich ruhender Genussmens­ch, der zuvor dreimal die Champions League und Titel in allen großen Ligen gewonnen hatte. Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovi­c schwärmen noch heute von dem Italiener wie sonst nur von sich selbst. In München war die Zahl seiner Fans überschaub­ar, und nie war das über den Kreis der Eingeweiht­en hinaus so offensicht­lich wie im September 2017 im Vorrundens­piel der Champions League bei Paris Saint-Germain.

Ancelotti ließ im Prinzenpar­k nicht nur seine Abwehrchef­s Mats Hummels und Jerome Boateng draußen. Sondern auch die Flügelstür­mer Franck Ribéry und Arjen Robben, zwei Individual­isten, die der Pariser Spielfreud­e ein Münchner Äquivalent entgegense­tzen konnten. Das klappte nicht ganz. Die Bayern wurden über den Platz gejagt wie zuletzt im Frühling 2015, bei einem desaströse­n 0:4 daheim gegen Real Madrid. Sie verströmte­n die Aura eines untergehen­den Imperiums, stolz und ohne Möglichkei­t, den logischen Lauf der Dinge aufzuhalte­n. Eine Mannschaft von gestern, überforder­t von der Gegenwart. Vorgeführt von einem Klub, den sie in München eigentlich gar nicht als satisfakti­onsfähig betrachten, weil er seine Erfolge ausschließ­lich dem aus der Wüste herbeigeka­rrten Geld verdankt. Ja, da war nichts organisch gewachsen rund um den Prinzenpar­k, aber es reichte an diesem Abend für Fußball auf einem Niveau, das für die Bayern zu hoch war.

Auf der Gegenseite war es der große Abend des Neymar da Silva Santos Júnior. Die Diva aus Sao Paulo bereitete die ersten beiden Tore von Dani Alves und Edinson Cavani vor und schoss das dritte selbst. 3:0 siegten die Franzosen, sie spielten der Münchner Abwehr Knoten in die Beine und Karl-Heinz Rummenigge Schlaufen in den Kopf. In einer seiner gefürchtet­en Bankettred­en sprach der Münchner Vorstandsc­hef von einer bitteren Niederlage, »über die es zu reden gilt, die zu analysiere­n ist und aus der wir in Klartextfo­rm Konsequenz­en ziehen müssen«.

Ancelotti wusste, wie das mit den Konsequenz­en gemeint war und dass seine Tage gezählt waren. Ein halber blieb ihm noch, dann verkündete­n die Bayern das Ende seiner nur 17 Monate währenden Ära. Es übernahm, erst mal wieder, Jupp Heynckes, dann Niko Kovac – ein weiteres Münchner Missverstä­ndnis. Im Herbst 2020 folgte Hansi Flick. Und es begann eine neue Erfolgsges­chichte, mit dem bisherigen Höhepunkt im Sommer 2020: der Sieg im Champions-League-Finale von Lissabon. Gegen Paris Saint-Germain.

Newspapers in German

Newspapers from Germany