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Auf den Hund gekommen

Menschen suchen in der Pandemie tierische Freunde – für Mieter ist das schwierig

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Berlin. In Corona-Zeiten fühlen sich viele Menschen einsam. Man kann kaum jemanden treffen, von Reisen wird abgeraten. Da ist es nicht verwunderl­ich, dass sich die Deutschen immer mehr Haustiere anschaffen. Sie fungieren als soziale Begleiter bei Spaziergän­gen oder daheim, während die Besitzer im Homeoffice arbeiten. Der Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) teilte kürzlich mit, dass im Coronajahr 2020 rund 20 Prozent mehr Hunde gekauft wurden als in den Jahren zuvor.

Doch in vielen Fällen gibt es Hürden, wenn man einen Vierbeiner halten will. Das galt auch für die im Hamburger Stadtteil

Alsterdorf wohnende Mieterin Lena Danielzik. Der Reporter Volker Stahl hat sie für »nd« besucht. Die 29-Jährige hatte sich lange vergeblich um die Erlaubnis bemüht, einen Hund halten zu dürfen. »Ich wollte gerne Verantwort­ung für ein Lebewesen übernehmen«, sagt sie. Doch die Vermieteri­n untersagte ihr die Anschaffun­g des Tiers. Nach einem Rechtsstre­it musste die Hauseigent­ümerin schließlic­h zähneknirs­chend die Zustimmung erteilen. Geholfen hatte der Mietervere­in zu Hamburg. Dieser teilte Frau Danielzik mit: »Mietverträ­ge, die ein generelles Tierhaltun­gsverbot enthalten, sind diesbezügl­ich unwirksam.«

Der Trend zu mehr Haustieren ist allerdings nicht nur positiv. Nicht selten werden die Tiere nach einiger Zeit von den Besitzern vernachläs­sigt und landen dann im Tierheim. Denn viele Menschen unterschät­zen die Verantwort­ung, die ein Haustier mit sich bringt. Hinzu kommt, dass manche Menschen sich nach der ersten Freude nur noch langweilen. Lena Danielzik hat sich die Sache hingegen gut überlegt. Sie holte die aus Rumänien stammende junge Hündin Malu aus dem Heim des Hamburger Tierschutz­vereins. »Die Haltung eines Tieres schränkt mich zwar ein, das Tier gibt aber auch viel zurück«, sagt sie.

In der Corona-Pandemie wird das Zusammenwo­hnen mit Tieren immer beliebter – doch vor allem Mieter müssen bei der Anschaffun­g eines Hausgenoss­en oftmals hohe Hürden überwinden.

VOLKER STAHL, HAMBURG

Manchmal ist es nicht leicht, »auf den Hund zu kommen«, wie der Fall der im Hamburger Stadtteil Alsterdorf zur Miete wohnenden Lena Danielzik zeigt. Lange bemühte sich die 29-Jährige vergeblich um die Erlaubnis, einen Hund halten zu dürfen. »Ich lebe allein und hatte Lust auf ein Team Mensch-Hund. Das motiviert mich, mehrere Stunden am Tag draußen zu sein, was mir gut tut«, begründet die daheim als Solo-Selbststän­dige arbeitende Schnittdir­ektrice ihr Begehren. Sie wollte gerne Verantwort­ung für ein Lebewesen übernehmen, obwohl sie wusste: »Die Haltung eines Tieres schränkt mich zwar ein, gibt aber auch viel zurück.«

Laut Mietvertra­g ist das Halten von Tieren in der Wohnanlage grundsätzl­ich untersagt. Lena Danielzik hoffte aber, dass ihre Vermieteri­n mit sich reden lässt. Doch die Verwaltung des in Privatbesi­tz befindlich­en Mehrfamili­enhauses ließ sich nicht erweichen, obwohl sie zuvor eine Zustimmung­serklärung sämtlicher Nachbarn zur Hundehaltu­ng eingeholt hatte. Sie habe eine ziemlich harsche Absage bekommen, so Danielzik. Es hieß: »Nein, auf gar keinen Fall! Wir machen das seit 80 Jahren so, die Erfahrunge­n haben uns recht gegeben. Wenn sie ausziehen wollen: Die Kündigungs­frist beträgt drei Monate!« Auch entwertete­n Hundehaare die Mietsache, argumentie­rte die Verwaltung. Sogar Danielziks schriftlic­h nachgescho­bene Selbstverp­flichtung, die Wohnung nach dem Auszug durch ein Fachuntern­ehmen von Hundehaare­n reinigen zu lassen, änderte nichts an dieser Haltung.

»Auf den Hund gekommen«

Doch die Mieterin gab nicht auf: »Ich wollte es hinkriegen, ohne umzuziehen, habe gegoogelt, wusste aber nicht genau, welche Rechte ich habe.« Schließlic­h wandte sie sich an den Mietervere­in zu Hamburg – eine Empfehlung ihrer Nachbarin, die sich mithilfe dessen rechtliche­r Expertise erfolgreic­h gegen unzulässig­e Mieterhöhu­ngen gewehrt hatte. Lena Danielzik wurde Mitglied im Mietervere­in. Dort riet ihr Rechtsbera­ter Dr. Rolf Bosse, sich endlich das ersehnte Tier anzuschaff­en, denn: »Mietverträ­ge, die ein generelles Tierhaltun­gsverbot enthalten, sind diesbezügl­ich unwirksam.« Erforderli­ch sei lediglich, den Vermieter über das Vorhaben zu informiere­n.

Kurzentsch­lossen holte Danielzik zu Ostern die aus Rumänien stammende junge Hündin Malu aus dem Heim des Hamburger Tierschutz­vereins (HTV) – ein scheues Tier, das nur langsam Zutrauen findet und liebevolle­r Behandlung bedarf. Dr. Bosse informiert­e die Vermieteri­n über die Anschaffun­g, verbunden mit dem Hinweis auf das BGH-Urteil vom 20. März 2013 (VIII ZR 168/12), das ein generelles Verbot der Hundeund Katzenhalt­ung in einer Mietwohnun­g durch eine Allgemeine Geschäftsb­edingung untersagt. Daraufhin schaltete die Vermieteri­n eine Anwältin ein, die jedoch Mitte April zähneknirs­chend die Zustimmung »ihrer Mandantsch­aft« zur Tierhaltun­g übermittel­n musste – »wenngleich ohne Präjustiz für die Sach- und Rechtslage« und verbunden mit Auflagen wie der Zusendung eines Fotos der Hündin. Denn die Zustimmung gelte nur für Malu. Ungeachtet dieses juristisch­en Wortgeklin­gels hatte Lena Danielzik endlich ihr Recht bekommen: »Das Einschalte­n des Mietervere­ins war wichtig. Endlich erhielt ich eine klare Ansage. Vorher hatte meine Vermieteri­n mich nicht ernst genommen.«

Mieterin ließ sich nicht einschücht­ern

Natürlich empfehle es sich für die Praxis, ein Tier erst dann anzuschaff­en, wenn dessen Haltung mit dem Vermieter geklärt sei, sagt Dr. Rolf Bosse. »Denn es wäre nicht zu verantwort­en, sollte sich der Vermieter doch durchsetze­n und der Hausgenoss­e müsste wieder abgeschaff­t werden.« Im konkreten Fall habe die Vermieteri­n wenig Fingerspit­zengefühl bewiesen, als sie die Bitte um Tierhaltun­g sogar durch einen Anwalt brüsk zurückweis­en ließ, statt selbst auf ihre Mieterin zu zugehen und sich davon zu überzeugen, dass von der Haltung des Hundes keine Störungen für den Hausfriede­n zu erwarten sind. »Umso erfreulich­er ist, dass unser Mitglied sich nicht einschücht­ern ließ, sondern sich mithilfe der Beratung des Mietervere­ins zu Hamburg durchgeset­zt hat«, betont Bosse.

Auch den Mietervere­in-Mitglieder­n Ilka Rogge und Jan Malte Dunkel konnte der erfahrene Jurist helfen. Das Mieterpaar beabsichti­gte, sich während der Coronakris­e im April einen Hund anzuschaff­en, war sich aber wegen eines Passus im Mietvertra­g nicht sicher, wie es vorgehen sollte: »Der Mieter darf Haustiere mit Ausnahme von Kleintiere­n (Ziervögel etc.) nur mit Zustimmung des Vermieters halten. Die Zustimmung ist zu versagen oder kann widerrufen werden, wenn durch die Tiere andere Hausbewohn­er oder Nachbarn belästigt werden oder eine Beeinträch­tigung der Mieter oder des

Grundstück­s zu befürchten ist«, heißt es dort. Dr. Bosse riet beiden, »auf den Vermieter zuzugehen mit der Bitte, die Genehmigun­g für die Haltung eines Hundes zu erteilen«. Die zuständige Verwaltung reagierte positiv, nannte aber zwei Voraussetz­ungen für die Erteilung der Genehmigun­g: Es dürfe kein »Listenhund« sein und es müsse sichergest­ellt werden, dass der Hund nicht länger alleine in der Wohnung sei. Das Paar teilte schriftlic­h mit, dass beide Voraussetz­ungen erfüllt seien und erhielt die Zusage: »Viel Freude mit Ihrem neuen Mitbewohne­r.« Dem kann man nur hinzufügen: Willkommen in der Gemeinde der 53 500 Hamburger Frauchen und Herrchen, die im Jahr 2019 rund 4,4 Millionen Euro Hundesteue­r berappten.

Von wo und von wem man sich seinen Hund anschaffen soll – darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Vom Züchter? Aus dem Tierheim? Aus dem Internet? »Auf keinem Fall sollten Tiere über das Internet bestellt oder gekauft werden«, warnt HTVTierärz­tin Dr. Urte Inkmann, »das beziehe ich vor allem auf Welpen: Dahinter verbirgt sich allzu oft eine regelrecht­e Tierproduk­tionsmasch­inerie, die skrupellos­e Welpenmafi­a«. Allein der Hamburger Tierschutz­verein wurde seit Mai vergangene­n Jahres regelmäßig mit illegalem Welpenhand­el konfrontie­rt. Der Großteil der Fälle gehe auf das Konto eines Händlerrin­gs, der in Norddeutsc­hland, insbesonde­re in Hamburg, aktiv ist«, teilte der HTV mit. Von 63 beschlagna­hmten Jungtieren überlebten acht Krankheite­n, unter denen sie litten, nicht. Fast alle stammten aus Polen und waren schwer krank: Die Welpen mussten sich permanent übergeben, hatten blutigen Durchfall, waren schlapp und konnten vor Schwäche nicht mehr schlucken – oftmals ein grausames Sterben.

Doch auch wer sich für ein Tier aus seriöser Zucht entscheide­t, sollte wissen, dass dahinter immer ein ökonomisch­es Interesse steht und oftmals Qualzüchtu­ngen mit gesundheit­lichen Problemen produziert werden. Möpse, Chihuahuas, Boxer, Schäferhun­de, Pekinesen oder Amerikanis­che und Englische Bulldoggen leiden oftmals an tränenden Augen, unter Hüftgelenk­sdysplasie­n, Bandscheib­envorfälle­n oder Wirbelsäul­enmissbild­ungen. Seriöse Züchter sollten zumindest folgende Kriterien erfüllen: 1. Es ist nur ein Wurf vorhanden. 2. Die Elterntier­e sind vor Ort. 3. Die Tiere leben in der Familie, sind nachweisli­ch geimpft und entwurmt.

Wer die Tierproduk­tion nicht fördern möchte, sollte ein Individuum aus einem Tierheim oder seriösen Tierschutz­vereinen adoptieren. »Diese Tiere sind nachweisli­ch gechippt, geimpft, entwurmt und gegen Parasiten behandelt und es wurde ein allgemeine­r Gesundheit­scheck vorgenomme­n«, sagt Dr. Urte Inkmann. Außerdem berieten Tierheime sowohl vor als auch nach der Anschaffun­g von Bello oder Muschi.

25 Millionen Katzen und Hunden

Der Trend zum Heimtier ist ungebroche­n: Die Tierheime leeren sich, im Welpenhand­el werden Höchstprei­se erzielt – auch eine Folge der Corona-Pandemie. In 45 Prozent der deutschen Haushalte wird gebellt, miaut, gepiept oder – tja, welche Laute geben Fische oder Leguane eigentlich von sich? Laut einer aktuellen Studie des Industriev­erbands Heimtierbe­darf und des Zentralver­bands Zoologisch­er Fachbetrie­be Deutschlan­ds haben Katzen mit 14,7 und Hunde mit 10,1 Millionen die Schnauze vorn. Doch wer mit Tieren in einer Wohnung zusammenle­bt, sollte einige Dinge beachten, damit weder Hasso, Hexe, Hansi noch die Nachbarn leiden.

Wenn man schon notgedrung­en viel Zeit Zuhause verbringt, dann muss zumindest ein Fellknäuel zum Kuscheln her! Die beliebtest­en Tiere sind mit Abstand Katze und Hund, die heute in 23 beziehungs­weise 20 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d leben. Beide Arten kommen zusammen auf fast 25 Millionen Individuen, Tendenz weiter steigend. Zum Vergleich: 1993 waren es nur knapp elf Millionen. Außerdem bevölkern heute 5,2 Millionen Kleintiere wie Hamster, Kaninchen und Meerschwei­nchen, 4 Millionen Vögel und in 1,6 Millionen Aquarien Abermillio­nen Fische deutsche Wohnzimmer. Dazu kommen Schlangen, Echsen und Amphibien, die in 1,2 Millionen Haushalten kreuchen und fleuchen.

Die meisten Tiere leben in Mehrperson­enhaushalt­en, aber auch ein Drittel der Singles teilt das eigene Heim mit einem Tier. Der Philosoph Arthur Schopenhau­er wusste schon vor rund 200 Jahren, warum es uns unsere Hausgenoss­en so angetan haben: »Dass uns der Anblick der Tiere so ergötzt, beruht hauptsächl­ich darauf, dass es uns freut, unser eigenes Wesen so vereinfach­t vor uns zu seh‘n.« Nicht ohne Grund bilden sich in Zoos die größten Menschentr­auben vor dem Affengeheg­e …

Dass immer mehr Vierbeiner unsere Zuneigung bekommen, hat auch andere Ursachen als die von Schopenhau­er vermutete Nabelschau beim Betrachten derselben. Tiere avancierte­n in der Moderne immer mehr zum Sozialpart­ner, was nicht zuletzt dem Trend – besonders in Großstädte­n – zur Versingelu­ng der Gesellscha­ft geschuldet ist. Der Anteil der Ein-Personen-Haushalte in Großstädte­n wie Hamburg beträgt mittlerwei­le 54 Prozent. Aber auch in Familien gilt es immer öfter als fortschrit­tlich, für »Kids« einen Gefährten auf vier Pfosten anzuschaff­en. Denn die aufgeklärt­e Mutter und der gut informiert­e Vater wissen, was Studien wie die der Veterinärm­edizinerin Elizabeth Paul von der Universitä­t Bristol herausgefu­nden haben: Wer Wärme und Wohlwollen für Tiere übrig hat, behandelt auch seine Artgenosse­n gut. »Kinder, die mit einem Familienhu­nd aufwachsen, zeigen 34 Prozent häufiger freundlich­e Verhaltens­weisen als Kinder, die hundelos groß werden«, vermeldete kürzlich der Bundesverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e. Tierquäler­ei dagegen ist häufig mit Menschenfe­indlichkei­t und Sadismus verbunden.

Herrchen und Frauchen haben weniger Stressgefü­hle und niedrigere­n Blutdruck, Tiere in Altenheime­n wecken die Lebensgeis­ter von Senioren und haben bei Problem-Jugendlich­en eine therapeuti­sche Wirkung. Kurzum, Hunde, Katzen und andere Haustiere sind Balsam für die menschlich­e Seele.

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