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Wer sind wir – und wenn ja, wie viele?

Die AfD streitet am Wochenende auf ihrem Bundespart­eitag darüber, ob sie mit Spitzenkan­didat*innen zur Bundestags­wahl antritt

- VON ROBERT D. MEYER

Auf dem Parteitag in Dresden wird die AfD eher geräuschlo­s ihr Programm zur Bundestags­wahl beschließe­n. Unklarheit herrscht seit Monaten darüber, ob und wie viele Spitzenkan­didat*innen es geben soll.

Würde sich die AfD an ihrem eigenen Anspruch orientiere­n, wäre die Angelegenh­eit klar, ein Streit unnötig: Allerorten betonen ihre Mitglieder, wie wichtig ihnen Basisdemok­ratie sei; die Partei fordert deshalb auch bereits seit Jahren Volksentsc­heide auf Bundeseben­e nach dem Vorbild der Schweiz. Kommen jedoch Machtinter­essen mit ins Spiel, ist es schnell vorbei mit Basis, deren Votum und Willen.

Seit Monaten diskutiert die AfD, ob sie auf dem am Wochenende in Dresden stattfinde­nden Bundespart­eitag neben einem Programm für die Bundestags­wahl auch über mögliche Spitzenkan­didaturen entscheide­t. Formal ginge es dabei nur um Symbolik, denn die Kandidat*innen für den Bundestag werden von den 16 Landesverb­änden auf jeweils eigenständ­igen Wahlversam­mlungen gewählt. Doch hier liegt bereits der erste Knackpunkt: Zehn von 16 Landesverb­änden haben noch gar nicht abgestimmt, darunter die drei größten in Nordrhein-Westfalen, BadenWürtt­emberg und Bayern. Im aus AfD-Sicht schlechtes­ten Szenario könnte der Parteitag in Dresden Spitzenkan­didat*innen bestimmen, die später in ihrem eigenen Landesverb­and gar nicht aufgestell­t werden oder nur einen schlechten Listenplat­z ergattern. Unrealisti­sch ist solch ein Szenario nicht, da AfDWahlpar­teitage für ihre chaotische­n Verläufe und für Überraschu­ngen bekannt sind.

Ähnliche Überlegung­en hatte es bereits vor Wochen im Bundesvors­tand gegeben, der daher entschied, das Thema Spitzenkan­didatur nicht auf die Tagesordnu­ng in Dresden zu setzen. In einer Urabstimmu­ng sprachen sich zudem 87 Prozent der Teilnehmer*innen dafür aus, dass die Basis über mögliche Spitzenkan­didat*innen abstimmen müsse. An der Befragung nahmen allerdings nur 25 Prozent der Parteimitg­lieder teil. Wirklich wichtig ist diese Befragung am Ende sowieso nicht. In Dresden stehen gleich drei Anträge aus insgesamt sieben Landesverb­änden zur Abstimmung, eine Entscheidu­ng über die Spitzenkan­didaturen am Wochenende zu fällen.

Druck kommt dabei aus Sachsen. Landesvize Siegbert Droese erklärte, die Spitzenpos­ition müsse von jemanden besetzt werden, der »stark im Osten verwurzelt« sei, wie er am Donnerstag gegenüber den »Dresdner Neuesten Nachrichte­n« erklärte. Er könne sich vorstellen, dass der Bundesvors­itzende Tino Chrupalla – wie Droese aus Sachsen – auch als alleiniger Spitzenkan­didat auftritt.

Tatsächlic­h gibt es kaum Zweifel, dass der 45-Jährige das Gesicht der Partei im Wahlkampf wird. Chrupalla hat nicht nur die Spitzenkan­didatur auf der sächsische­n Landeslist­e bereits sicher, er weiß auch die ostdeutsch­en AfD-Verbände hinter sich. Ernsthafte Versuche, dies zu verhindern, sind faktisch ausgeschlo­ssen. Die Frage ist nur, ob und wer neben Chrupalla an vorderster Front in den Wahlkampf zieht – am wahrschein­lichsten gilt die Lösung mit einer Doppelspit­ze.

Mögliche Kandidat*innen gibt es mehrere. Doch will die AfD den ohnehin tobenden Machtkampf nicht weiter befeuern, müsste die zweite Person nicht nur aus einem westdeutsc­hen Landesverb­and kommen, sondern eher das Lager der Marktradik­alen um den Bundesvors­itzenden Jörg Meuthen repräsenti­eren, da Chrupalla zu den völkischen Kräften zählt. Dieser Logik folgend wäre etwa Alice Weidel bereits aus dem Rennen.

Die aktuelle Co-Vorsitzend­e der Bundestags­fraktion hat zwar ihre Kandidatur bisher noch nicht erklärt – will sie den wichtigen Sprecherpo­sten in der Fraktion aber auch nach der Bundestags­wahl behalten, wäre eine Spitzenkan­didatur fast unumgängli­ch. Allerdings: Weidel hat nicht nur mit den Folgen einer Spendenaff­äre zu kämpfen, als Vorsitzend­en des Landesverb­andes Baden-Württember­g hatte sie kürzlich auch eine Niederlage bei der Landtagswa­hl mit zu verantwort­en. Als Unterstütz­erin der Völkischen dürfte sie es ohnehin schwer haben, im Meuthen-Lager zu punkten. Dieses könnte eine in der Öffentlich­keit weitestgeh­end unbekannte Kandidatin ins Rennen schicken.

Hoch gehandelt wird die hessische Bundestags­abgeordnet­e Joana Cotar, bisher eher in der zweiten Parteireih­e aktiv. Für sie spricht aus strategisc­hen Gründen nicht nur ihre Vita: Als Kind floh sie mit ihren Eltern aus Rumänien; später war Cotar zunächst CDU-Mitglied, 2013 trat sie in die AfD ein. Gegenüber der neu-rechten »Jungen Freiheit« erklärte die 48-Jährige Ende März, sie sei nach einer Kandidatur gefragt worden, und die Gespräche dazu liefen.

Ob sie jedoch in der Gesamtpart­ei akzeptiert würde, ist fraglich. 2019 unterstütz­te Cotar den »Appell der 100«, ein Papier, das sich gegen den Personkult richtete, den die Völkischen um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke pflegen. Dessen Unterstütz­er*innen planen für Dresden einen Aufstand. 50 Delegierte haben einen Antrag zur Abwahl von Meuthen als Parteichef gestellt.

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