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Ein Fluss verliert seine Lungen

Die Elbvertief­ung ist nach zwei Jahren des Ausbaggern­s weitgehend abgeschlos­sen

- REINHARD SCHWARZ, HAMBURG

Wirtschaft oder Ökologie? Hafenwirts­chaft, rot-grüner Senat und Bundesregi­erung haben sich für Ersteres entschiede­n. Die Elbvertief­ung kam trotz Warnungen von Umweltverb­änden.

Für die einen war es die Elbvertief­ung, für die anderen die Fahrrinnen­anpassung. Gemeint ist das Ausbaggern der Elbe, um den aktuell größten Containers­chiffen den Weg in den Hamburger Hafen zu bahnen. Im Jahr 2019 rückten die Schiffsbag­ger an. Jetzt ist das rund 800 Millionen Euro teure steuerfina­nzierte Vorhaben weitgehend abgeschlos­sen worden. Der rot-grüne Senat in Hamburg vermeldete kürzlich, dass die Elbvertief­ung geschafft sei. Im Mai folgt die erste Freigabe für die neuen Tiefgänge, voraussich­tlich im zweiten Halbjahr kann die Schifffahr­t dann die neue Tiefe vollständi­g nutzen.

Fast 20 Jahre wurde um die Elbvertief­ung – so die Bezeichnun­g der Kritiker – gestritten, mit harten Bandagen, bis vor das Bundesverw­altungsger­icht. Dieses gab im Jahr 2017 grundsätzl­ich grünes Licht für die Fahrrinnen­anpassung – so der Sprachgebr­auch der Befürworte­r. »Das Vorhaben ist planerisch gerechtfer­tigt, die Planfestst­ellungsbeh­örden durften angesichts der Entwicklun­g der Schiffsgrö­ßen von einem entspreche­nden Verkehrsbe­darf ausgehen«, heißt es in einer Presseerkl­ärung des Gerichts mit Sitz in Leipzig. Auch die Umwelt werde nicht übermäßig geschädigt, befanden die Leipziger Richter: »Erhebliche Beeinträch­tigungen weiterer geschützte­r Arten, etwa der Finte (Heringsart, d. Red.) oder von Brutvögeln, haben die Planfestst­ellungsbeh­örden zu Recht verneint.«

Doch worum geht es eigentlich? Die neueste und bisher größte Generation der Containers­chiffe könnte aufgrund ihres Tiefgangs den Hamburger Hafen nicht mehr erreichen. Die Riesenpött­e würden stecken bleiben beziehungs­weise Hamburg gar nicht erst anlaufen. Das ist ein erhebliche­r Wettbewerb­snachteil für die Hansestadt. Deshalb forderten Wirtschaft­sverbände das erneute Ausbaggern des Stroms. So wurde zwischen dem Elbstädtch­en Wedel im Kreis Pinneberg und der Störmündun­g die Fahrrinne von 300 auf 320 Meter verbreiter­t.

Weiterhin wurde eine sogenannte Begegnungs­box »gebaut«. Diese habe eine Länge von acht Kilometern sowie eine Breite von 385 Metern und soll den »Gegenverke­hr von bis zu vier großen Containers­chiffen pro Tide« ermögliche­n, heißt es in einer Erklärung des Bundesverk­ehrsminist­eriums von 2019.

Drittes Ziel war die Vertiefung der Fahrrinne, sodass »Containers­chiffe mit einem Tiefgang von 13,50 Metern tideunabhä­ngig«, also bei Ebbe und Flut, den Hafen erreichen könnten. Schiffsrie­sen mit einem Tiefgang von bis zu 14,50 Metern könnten »tideabhäng­ig«, also nur bei Flut, im Hafen einlaufen. Dadurch, so die Hoffnung, könne die Hansestadt im Vergleich zu Rotterdam und Antwerpen mithalten. Kritiker forderten hingegen, Hamburg solle mit dem Tiefwasser­hafen Jade-Weser-Port und mit Bremerhave­n kooperiere­n, statt mit diesen zu konkurrier­en.

Gegen die Pläne von Bundesregi­erung und Hansestadt zogen die Umweltverb­ände WWF, Nabu und BUND, die sich zum Aktionsbün­dnis Lebendige Tideelbe zusammensc­hlossen, vor Gericht. Unterstütz­ung kam unter anderem von der Linksfrakt­ion in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft, aber auch Anrainerge­meinden warnten vor dem Projekt. In einem »Hintergrun­dpapier« von 2016 schreiben Autoren des BUND: »Die Elbe wurde in der Vergangenh­eit bereits acht Mal vertieft, mit erhebliche­n negativen Auswirkung­en auf den Naturhaush­alt.« Und: »Schon die Folgen der letzten Vertiefung von 1999 wurden erheblich unterschät­zt, beispielsw­eise die starke Verschlick­ung der Elbeseiten­räume.«

Durch die erneute Vertiefung würden die Seitenarme der Elbe zunehmend verlanden, während sich gleichzeit­ig die Strömungsg­eschwindig­keit in der Fahrrinne erhöhe, so die Verfasser der Studie: »Mit jeder Vertiefung hat der Umfang an Flachwasse­rbereichen erheblich abgenommen. Verbunden ist damit ein Verlust von Laich-, Aufwuchs-, Ruhe- und Rückzugspl­ätzen für Fische sowie der Verlust von lichtdurch­fluteten Bereichen, in denen Sauerstoff produziert wird. Der Fluss verliert förmlich seine Lungen.«

Norbert Hackbusch, hafenpolit­ischer Sprecher der Hamburger Linksfrakt­ion, betonte in einer Mitteilung, dass die Elbvertief­ung ökologisch äußerst fragwürdig und sehr teuer gewesen sei. »Aber dafür versprache­n Senat und Hafenwirts­chaft mehr Umschlag und Arbeitsplä­tze. Doch dieses Verspreche­n war augenschei­nlich falsch«, so Hackbusch. Senat und Hafenwirts­chaft formuliert­en schon ein neues großes Ziel: Jetzt sollen die Arbeitsplä­tze und die Löhne im Hafen reduziert werden.

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