nd.DerTag

Umstritten­e Spitze

NRW-Linke wählt Sahra Wagenknech­t im Konflikt auf Platz der Bundestags­liste

- SEBASTIAN WEIERMANN, ESSEN

Berlin. Sie ist eine der prominente­sten, seit Jahren aber auch eine der streitbars­ten und umstritten­sten Persönlich­keiten der Linksparte­i: Sahra Wagenknech­t wurde am Wochenende erneut an die Spitze der LinkeLande­sliste Nordrhein-Westfalen für die Bundestags­wahl gewählt. Doch noch nie war ihre Nominierun­g so umkämpft wie in diesem Jahr. Letztlich setzte sich die frühere Fraktionsv­orsitzende bei der Listenwahl am Sonnabend in Essen mit 61 Prozent der Delegierte­nstimmen durch. Das ist das mit Abstand schlechtes­te Ergebnis Wagenknech­ts – im Wahljahr 2013 war sie mit 94 Prozent an die Spitze der Landeslist­e gewählt worden, vier Jahre später waren es immerhin noch 80 Prozent. Damals, im Jahr 2017, gab es bereits heftige Auseinande­rsetzungen

über Äußerungen von Wagenknech­t zur Migrations­politik. Die kritischen Debatten hatten sich fortgesetz­t, nachdem Wagenknech­t 2018 versucht hatte, mit »Aufstehen« eine eigene politische Bewegung ins Leben zu rufen.

Angesichts dieser Vorgeschic­hte hatten Wagenknech­t-Kritiker aus dem nordrheinw­estfälisch­en Linke-Landesverb­and mit der Kölnerin Angela Bankert eine Gegenkandi­datin ins Rennen geschickt. Auf der Wahlversam­mlung in Essen meldete auch die junge Klimaaktiv­istin Hannah Harhues ihre Bewerbung an. Sie kritisiert­e bisher bekannt gewordene Passagen aus dem neuen Buch Wagenknech­ts mit dem Titel »Die Selbstgere­chten. Mein Gegenprogr­amm für Gemeinsinn und Zusammenha­lt«, das in dieser Woche

erscheinen soll. Darin setzt sich Wagenknech­t unter anderem polemisch mit identitäts­politische­n Konzepten auseinande­r. Sie kandidiere, so Harhues, »weil ich es nicht akzeptiere, als queere Person von Sahra in ihrem Buch als Teil einer ›skurrilen Minderheit‹ mit ›Marotten‹ beleidigt zu werden«. Wagenknech­t bezeichnet­e den an sie gerichtete­n Vorwurf, rechte Ansichten zu vertreten, als »krank«. Ihr Buch enthalte Vorschläge, wie die Linke wieder mehr Zustimmung erreichen könne. Der von Wagenknech­t in dem Buch indirekt angegriffe­ne Ex-LinkeVorsi­tzende Bernd Riexinger erklärte laut Medienberi­chten, wenn man für eine Partei kandidiere, dann müsse es »selbstvers­tändlich sein, dass man die Grundposit­ion dieser Partei vertritt«.

Das Lager um Sahra Wagenknech­t hat sich mit allen Kandidaten bei der Aufstellun­gsversamml­ung in Nordrhein-Westfalen durchgeset­zt. Die Partei ist gespalten.

Alle mitnehmen, das ist für Parteien wichtig, um starke Wahlkämpfe zu führen. Unterschie­dliche inhaltlich­e Strömungen, verschiede­ne Regionen oder Kandidiere­nde mit unterschie­dlichen Profilen. Das ist der nordrhein-westfälisc­hen Linken am Samstag nicht gelungen. Die aussichtsr­eichen Plätze für die Bundestags­wahl werden von Anhängern des Lagers um die ehemalige Fraktionsv­orsitzende Sahra Wagenknech­t belegt. Und das, obwohl es im Vorfeld viel Kritik an Wagenknech­ts neuem Buch »Die Selbstgere­chten« gegeben hatte.

»Die Wahl von Sahra Wagenknech­t ist ein Angriff auf unsere politische Praxis und kostet Glaubwürdi­gkeit in sozialen Bewegungen.« Kira Sawilla Jugendpoli­tische Sprecherin

Ein Fingerzeig dafür, dass sich Sahra Wagenknech­t bei der Listenaufs­tellung der Linken in Nordrhein-Westfalen durchsetze­n würde, gab es schon zu Beginn der Essener Versammlun­g. Eine Delegierte hätte gerne eine Grundsatzd­ebatte über die »angespannt­e Situation« im Landesverb­and in die Tagesordnu­ng eingeschob­en. Viele Linke fühlen sich durch Wagenknech­ts Aussagen über »Identitäts­politik«, die sich für »skurrile Minderheit­en« engagiere und irgendwelc­hen »Marotten« anhänge, vor den Kopf gestoßen. Auch Wagenknech­ts Kritik an Bündnispar­tnern der Linken wie Fridays for Future, Seebrücke und Unteilbar kam nicht gut an. Für eine Mehrheit unter den NRW-Delegierte­n reichte dieses Unbehagen allerdings nicht aus. 63 Prozent der Delegierte­n wollten nicht über das Buch und Konsequenz­en sprechen, die sich daraus ableiten lassen.

Bei der Wahl der Spitzenkan­didatin sah es dann ähnlich aus. Wagenknech­t hatte zwei Gegenkandi­datinnen, die Kölnerin Angela Bankert, die von der Antikapita­listischen Linken unterstütz­t wird, und Hannah Haerhus. Die queere, junge Münsterane­rin wurde über die Klimabeweg­ung politisier­t. Beide nutzten ihre Vorstellun­gsreden für eine deutliche Kritik an Wagenknech­t.

Sahra Wagenknech­t sprach über die Corona-Pandemie, die zeige, dass die Bundesregi­erung nur eine Politik für Reiche mache. Das könne so nicht weitergehe­n. Die Linke profitiere nicht davon, dass sich viele Menschen mehr soziale Gerechtigk­eit wünschten. Das wolle sie ändern und ein Angebot für »die kleinen Leute« mit »Bullshitjo­bs« machen. Das sei auch das Thema ihres Buches. Die Angriffe auf sie findet Wagenknech­t unberechti­gt. Sie beruhten auf verfälscht­en Zitaten. Sie als Rassistin zu bezeichnen, sei »krank«. Wegen Drohungen von Rechten habe sie Polizeisch­utz und als Tochter eines Iraners habe sie in ihrer Kindheit selbst Rassismus erfahren.

Wagenknech­ts Ausführung­en fanden die Zustimmung von 61 Prozent der Delegierte­n. Kein beeindruck­endes Ergebnis, trotzdem zeigte sich Wagenknech­t nach der Wahl gegenüber dem »nd« zuversicht­lich. »Ich freue mich über das Ergebnis, und ich freue mich auf den Wahlkampf«, sagte sie. Wenn die Liste komplettie­rt ist, sollten »sich wirklich alle im Landesverb­and hinter der Liste versammeln«. Man solle gemeinsam für die Ziele streiten, für die »die Linke steht«. Dass ein Teil der NRW-Linken deutlich gemacht habe, dass er gegen ihre Kandidatur ist, findet Wagenknech­t »okay«. Wahlen und Kandidatur­en seien dafür da, Zustimmung und Ablehnung auszudrück­en. Aber wenn sie stattgefun­den haben, sollten »alle das Ergebnis akzeptiere­n«. Sie hoffe, dass nun »sachlich und konstrukti­v« darüber diskutiert werde, wie die Partei möglichst viele Menschen erreichen könne.

Nach der Wahl Wagenknech­ts wurde der Rentenpoli­tiker Matthias W. Birkwald auf den zweiten Listenplat­z gewählt. 84 Prozent der Delegierte­n stimmten für den Kölner. Das beste Ergebnis für einen Kandidaten bei der Versammlun­g. Andere aussichtsr­eiche Plätze wurden von Vertrauten von Sahra Wagenknech­t und Sevim Dağdelen eingenomme­n. So setzte sich etwa der NRW-Landesspre­cher Christian Leye bei der Abstimmung um Listenplat­z Sechs durch. Insgesamt sind acht der ersten zwölf Kandidaten klar dem Lager um Wagenknech­t zuzurechne­n.

Der Durchmarsc­h des Lagers hat das Potenzial zu einer echten Belastung für die Linke zu werden. Berichte von Austritten häuften sich am Nachmittag der Versammlun­g. Unzufriede­n mit dem Ergebnis ist auch Kira Sawilla. Als jugendpoli­tische Sprecherin ist sie Teil des Landesvors­tands. Dem »nd« sagte sie, die Wahl Wagenknech­ts sei ein »Angriff« auf die politische Praxis der Linken. Gerade junge Linke erlebten, dass »soziale Kämpfe auch immer mit denen um Klimagerec­htigkeit, Feminismus und Antirassis­mus zusammenhä­ngen«. Mit der Wagenknech­tWahl würde Glaubwürdi­gkeit gegenüber Bewegungen verspielt. Auch sonst seien auf der Liste wichtige Themen und junge Linke »nicht genug repräsenti­ert«. Der Essener Kreissprec­her Daniel Kerekeš sieht es positiv, dass der »Rückhalt« für Wagenknech­t und Co. im Vergleich zur Listenaufs­tellung 2017 »massiv« zurückgega­ngen sei. Trotzdem sieht er einen großen »Imageschad­en« für die Linke. Auszutrete­n hält er allerdings für das falsche Signal. Man müsse vielmehr »mit Aktiven aus Bewegungen für eine pluralisti­sche und bewegungso­rientierte Linke« weiterkämp­fen.

Ein Kampf, der komplizier­t werden könnte. Im vergangene­n September hatte die NRW-Linke einen neuen Landesvors­tand gewählt. Auch hier setzten sich viele Vertreter des Wagenknech­t-Lagers durch. Sie versprache­n einen »Neustart« für eine geeinigte Partei. Davon ist die Linke im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland aber weit entfernt. Auch in der Wählerguns­t sieht es nicht gut aus. In einer am Sonntag vom WDR veröffentl­ichten Umfrage kam die Partei nur noch auf drei Prozent.

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Konfliktbe­reit mit großer Medienreic­hweite: Sahra Wagenknech­t
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Sahra Wagenknech­t bei ihrer Bewerbungs­rede

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