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Auf dem Weg zur Willkommen­sbehörde

In Verwaltung­en wächst das Bewusstsei­n für interkultu­relle Kompetenz. Davon profitiere­n nicht nur Migranten

- SEBASTIAN HAAK, ERFURT

Deutsche Behörden und Verwaltung­en tun sich oft noch immer schwer im Umgang mit Nicht-Deutschen. Doch es gibt Beispiele, die zeigen, dass es auch anders gehen kann – und dass es am Ende auf die Mitarbeite­r ankommt.

Für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, ist es oft schwierig, sich in deutschen Behörden zurechtzuf­inden. Zumal der Paragraphe­n-Dschungel auch nicht wenigen Einheimisc­hen Probleme bereitet. Die Ausländerb­ehörde im thüringisc­hen Weimar wollte dem Vorwurf ein Ende setzen, Menschen nur zu verwalten, und kündigte vor ein paar Jahren an, eine »Willkommen­sbehörde« zu werden. Das Modellproj­ekt wurde zuerst auf Spanisch vorgestell­t. Die Anwesenden sahen sich ratlos an. Denn kaum einer verstand diese Sprache. Und genau das war das Ziel. Die Behördenmi­tarbeiter sollten sich für einen Moment so fühlen wie die Menschen, die ohne Deutschken­ntnisse eine Behörde in der Bundesrepu­blik betreten. Bei dieser Gelegenhei­t wurde auch betont, wie wertvoll Migration für Deutschlan­d sein kann. Weimars damaliger Oberbürger­meister Stefan Wolf (SPD) ergriff das Wort und erklärte, dass Goethe und Schiller doch auch Migranten gewesen seien, »als sie ihre Koffer in Weimar auspackten«.

Vorwürfe gegen die Ausländerb­ehörde

Seitdem hat sich einiges verändert. In den Jahren 2015 und 2016 kamen immer mehr Geflüchtet­e nach Deutschlan­d. Auch in Weimar trafen so viele Asylbewerb­er ein wie niemals zuvor. Seitdem sind einige Vorwürfe gegen die selbst ernannte »Willkommen­sbehörde« laut geworden. Eine besonders perfide Szene soll sich hier im April 2019 abgespielt haben. Herr S. wurde in die Ausländerb­ehörde Weimar bestellt, um seine Duldung zu verlängern. Der Mann war entspreche­nd schockiert, als er stattdesse­n vor Ort von der Polizei abgeführt und im Rahmen des DublinVerf­ahrens nach Frankreich abgeschobe­n wurde. Seine hochschwan­gere Frau musste die Szene mit ansehen. Auch sie war schockiert. Noch in der Behörde wurde der Notarzt gerufen. So stellt es jedenfalls der Flüchtling­srat Thüringen dar. Dafür verlieh die Organisati­on den Negativpre­is für Grundrecht­sverletzun­g. Sie warf der Verwaltung vor, in mindestens zwei Fällen 2019 und 2020 Menschen rechtswidr­ig abgeschobe­n zu haben.

Die Stadtverwa­ltung hat derartige Vorhalte stets zurückgewi­esen. Sie erklärte, man setze geltendes Recht durch und handele richtig. Freilich ist das nur ein Beispiel dafür, wie deutsche Behörden oft mit Migranten umgehen, die nicht immer Flüchtling­e sind. Migranten sind Menschen, die vor Krieg, Gewalt, Hunger und dem Klimawande­l fliehen, ebenso wie polnische Krankensch­western, niederländ­ische IT-Spezialist­en oder polnische Logistikmi­tarbeiter.

Interkultu­rell weiterbild­en

Allerdings zeigt das Weimarer Beispiel, wie sehr bei vielen deutschen Behörden und Verwaltung­en Anspruch und Wirklichke­it auseinande­r klaffen. Sie alle wollen eigentlich Willkommen­sbehörden sein, sind es aber oft nicht. In einzelnen Fällen liegt die Sache anders. In den vergangene­n Jahren ist es Verwaltung­en und Behörden auch gelungen, offen gegenüber Nicht-Deutschen zu sein. Sie werden dafür unter anderem vom Thüringer Zentrum für Interkultu­relle Öffnung als beispielha­ft gelobt. Das Zentrum arbeitet seit Ende 2018 als ein vom Freistaat geförderte­s Pilotproje­kt und will Berater für all jene sein, »die sich interkultu­rell weiterentw­ickeln möchten«.

Ein Beispiel hierfür ist die Verwaltung der Bauhaus-Universitä­t Weimar. Dort sind in den vergangene­n fünf Jahren über ein Projekt, das sich Admint nennt, Verwaltung­smitarbeit­er gezielt für Begegnunge­n mit Menschen nicht-deutscher Herkunft geschult worden. »Nachdem an der Hochschule klar geworden ist, dass interkultu­relle Kompetenze­n nicht nur für die Studierend­en und die Lehrenden, sondern auch für alle die Mitarbeite­r im Hintergrun­d wichtig ist, sind verschiede­ne Angebote für sie entwickelt worden«, sagt die Leiterin des Projekts, Susanne Wille. Für Mitarbeite­r seien Sprachkurs­e angeboten worden. Sie hätten die Möglichkei­ten zu Auslandsau­fenthalten bekommen. Studierend­e erzählten in kleinen Seminaren von ihren Heimatländ­ern und -kulturen.

»Das ist wirklich gut angenommen worden«, bekräftigt Wille. Die Teilnahme an derlei Veranstalt­ungen sei zwar nicht verpflicht­end gewesen, »aber es hat sich etwas daraus entwickelt, was viele wirklich auch machen wollten«, sagt sie. Etwa 180 der circa 400 Verwaltung­smitarbeit­er der Universitä­t hätten zwischen 2015 und 2020 an einer Veranstalt­ung oder sogar an mehreren teilgenomm­en. Hilfreich war, dass sich Mitarbeite­r gegenseiti­g neugierig machten. Sie sahen das Thema nicht als verordnet an, sondern es herrschte der Tenor vor, dass interkultu­relle Kompetenz für alle Beteiligte­n bereichern­d sei. »Wir haben den Leuten immer gesagt: Wir möchten euch unterstütz­en und begleiten und ihr sollt selbst sagen können, was ihr tun wollt, um mehr interkultu­relle Kompetenz zu erreichen«, erklärt Wille.

Nicht alle werden mitgenomme­n

Thomas Postleb kann das nur bestätigen. Im sachsen-anhaltisch­en Burgenland­kreis leitet er die Migrations­agentur, die etwa 60 Mitarbeite­r hat und heute so ziemlich alle kommunalen Behörden unter einem Dach vereint, mit denen Nicht-Deutsche oft zu tun haben. Dort werden nicht nur asylrechtl­iche Fragen geklärt, sondern auch zum Beispiel Entscheidu­ngen über Arbeitslos­engeld-IILeistung­en getroffen. Die Mitarbeite­r helfen Migranten bei der Suche nach Wohnraum und Sprachkurs­en. Um diese Verwaltung­sleistunge­n unter einem Dach zu vereinen, sind die Mitarbeite­r seiner Agentur inzwischen alle im gleichen Gebäudekom­plex untergebra­cht. »Das war ein Zwei-Tages-Umzug, der nicht nur für die Ausländer, die zur Verwaltung kommen, sondern auch für die Beschäftig­ten vieles leichter gemacht hat«, erklärt Postleb. »Interkultu­relle Kompetenze­n können in Verwaltung­en nicht angeordnet werden, sondern sie entstehen nur durch den Austausch zwischen den Mitarbeite­rn«, sagt er. So habe zwar inzwischen jeder Mitarbeite­r der Agentur, »der schon länger dabei ist«, an einem Seminar oder einem Workshop zum interkultu­rellen Miteinande­r teilgenomm­en. »Aber eben nicht, weil der Chef das angeordnet hat, sondern weil sich die Leute gegenseiti­g Lust darauf gemacht haben«, berichtet Postleb.

Wille und Postleb plädieren in diesem Zusammenha­ng dafür, sich auch verwaltung­sintern vor allem auf die Mitarbeite­r zu stützen, die ein großes Interesse am Miteinande­r der Kulturen haben. »Es macht aber keinen Sinn, mit Menschen etwas anstellen zu wollen, was die nicht wollen«, sagt Postleb. Jemanden, der ein Problem mit Ausländern habe, werde man auch nach einem Dutzend Schulungen zur interkultu­rellen Kompetenz nicht von dieser Haltung abbringen, sagt er. Auch sei es oft schwierig, Menschen für das Thema zu begeistern, die kurz vor ihrem Ruhestand stünden und in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht oder kaum mit Nicht-Deutschen zu tun gehabt hätten. Seine Devise sei: »Wenn jemand zum Beispiel ein Problem mit Ausländern hat, dann soll er das sagen, dann wird für ihn ein anderer Arbeitspla­tz in der Verwaltung gefunden«, sagt Postleb.

Wille formuliert diesen Ansatz – der auf »Stärken stärken« hinausläuf­t – für das Projekt an der Bauhaus-Universitä­t so: »In die Verwaltung­smitarbeit­er, die erkennbar kein Interesse am Thema interkultu­relle Öffnung haben, wurde keine große Energie investiert. Wir hatten nicht den Anspruch, alle mitzunehme­n«, berichtet sie. Dass es jenseits dessen ein Gewinn für Verwaltung­en aller Art ist, wenn Mitarbeite­r dort nicht nur Deutsch und vielleicht noch – zu oft zu schlecht – ein bisschen Englisch sprechen, sondern zusätzlich so viele Sprachen und Dialekte wie irgend möglich, das versteht sich von selbst.

Postleb kann lange davon erzählen, wie sehr es den Nicht-Deutschen Ängste nimmt und sie auch kooperativ­er macht, wenn sie am Einlass zu seiner Agentur nicht auf Deutsch, sondern in einer Sprache begrüßt werden, die sie fließend und ganz selbstvers­tändlich sprechen. »Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn in Zukunft noch mehr Menschen mit Migrations­hintergrun­d und entspreche­nden Sprachkenn­tnissen in der Verwaltung arbeiten«, sagt er. Auch das wäre ein Beitrag dazu, dass weniger Menschen – egal welcher Herkunft – nur Spanisch verstehen, wenn sie mit Behörden zu tun haben.

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Interkultu­relle Kompetenz ist in Behörden – wie hier im Jobcenter – eine wichtige Hilfe.

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