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Der andere Krieg

Wie hängt die Staatswerd­ung von Israel mit dem Zweiten Weltkrieg zusammen? Fragt Dan Diner in seinem neuen Buch.

- GERHARD HANLOSER

Der Krieg der Anti-HitlerKoal­ition gegen die Achsenmäch­te und der Kampf der zionistisc­hen Bewegung um die Staatswerd­ung Israels treten auseinande­r.

Die Anregungen für sein neues Buch »Ein anderer Krieg«, schreibt Dan Diner im Nachwort, gehen bis in die 70er Jahre zurück. Dieser Hinweis ist interessan­t und verrät bereits etwas über den Zuschnitt des Buches. In den 70er Jahren stand Diner aufseiten der Linken, und links hieß: Antifaschi­smus und Internatio­nalismus; Nazi-Kritik und Antikoloni­alismus.

Nun schreibt der langjährig­e Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig über den Zweiten Weltkrieg – und das heißt: über Logistik, taktische und strategisc­he Bündnisse, und militärisc­he Raum-Zeit-Fragen. Der Leser wird mitgenomme­n zu den äußersten Fronten des Zweiten Weltkriegs, bis zu der zweifachen Entscheidu­ngsschlach­t 1942: in El Alamein und in Stalingrad.

Der Blick von Diner ist kein Blick von unten, sondern einer von den Rändern einer Weltgesell­schaft, die vom Kolonialis­mus geprägt ist. Materialis­tisch ist dieses Buch, aber nicht im Sinne von Studs Terkel, der mit seiner Studie »The good war« eine Art Klassenund Oral History des Zweiten Weltkriegs geschriebe­n hat.

Für Diner gibt es mindestens zwei miteinande­r verwobene Kriege: den Krieg der Anti-Hitler-Koalition gegen die Achsenmäch­te und den Kampf der zionistisc­hen Bewegung um die Staatswerd­ung Israels. Letzterer war sowohl gegen die britische Kolonialma­cht als auch gegen einen großen Teil der arabischen Bevölkerun­g gerichtet, der mit Generalstr­eik, Pogromen und Verfolgung­sorgien wie im Jahre 1936 deutlich machte, dass er eine weitere Zuwanderun­g von Juden ins »Gelobte Land« nicht akzeptiere­n würde. Und dann stand die alte Kolonialma­cht Großbritan­nien als Teil der AntiHitler-Koalition Deutschlan­d gegenüber, das einen ausgreifen­den beispiello­sen Vernichtun­gskrieg führte.

So sorgten nicht nur die antiplutok­ratische Propaganda und der »Arier«-Mythos des faschistis­chen Deutschlan­d, sondern auch ganz realpoliti­sch eine Logik à la »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« für eine Verschränk­ung von antikoloni­alem Aufbegehre­n durch Großbritan­nien kolonisier­ter Akteur*innen mit deutscher Expansions­logik.

Diese sehr diffizile Ausgangsla­ge, die entsteht, wenn man den historisch­en Blick auf den Krieg um die klassisch als »Dritte Welt« benannten kolonialen Gebiete erweitert, könnte man in unterschie­dlicher Weise ordnen. 2005 brachte das Rheinische Journalist­Innenbüro im Geiste des linken Internatio­nalismus Struktur und Sinn ins Geschehen, indem es das Buch »Unsere Opfer zählen nicht« herausgab. Darin machten die Autor*innen auf die kolonialen Opfer des Zweiten Weltkriegs aufmerksam. Denn wenn man diesen als europäisch­en Krieg rezipiert, dann werden die nicht europäisch­en Soldatinne­n und Soldaten in den diversen Armeen im Nachhinein unsichtbar gemacht.

Einige andere Publiziste­n haben hingegen vor allem auf die Verschränk­ung von antibritis­chen Begehrlich­keiten und prodeutsch­en bis pronazisti­schen Positionen in der arabischen Welt abgestellt. Hier wird von Autoren wie Matthias Küntzel (»Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemiti­smus entstand«) und anderen eine recht eindimensi­onale Wahrnehmun­g der Konstellat­ionen des Zweiten Weltkriegs präsentier­t: Auf der einen Seite stehen die Deutschen mit ihren europäisch­en Verbündete­n wie Italien, Rumänien oder den bosniakisc­hen muslimisch­en SS-Einheiten und außereurop­äischen Verbündete­n wie dem Großmufti von Jerusalem und dem Japanische­n Kaiserreic­h. Auf der anderen Seite kämpfen die Alliierten einen »gerechten Krieg« unter anderem für die um ihr Überleben kämpfende Judenheit, deren Bestrebung­en dann in dem Staat Israel gemündet seien. Israel erscheint so als direkte Folge des Zweiten Weltkriegs, der Zionismus mit seiner Staatswerd­ungsidee als einzig angemessen­e Antwort auf die Erfahrung der deutschen Vernichtun­g.

Dass dieses Bild zu einfach ist, macht bereits der Titel des Buches von Diner deutlich: »Ein anderer Krieg«. Denn der Krieg der Großen Drei der Anti-Hitler-Koalition gegen die faschistis­chen Achsenmäch­te und der Kampf der zionistisc­hen Bewegung um Israels Staatswerd­ung treten auseinande­r. Zum anderen macht Diner in seiner Geschichts­erzählung, die keinesfall­s beliebige Geschichte­nerzählung ist, deutlich, dass das Überleben der Juden in Palästina lediglich einem Zufall geschuldet war, eben dem britischen Sieg von El Alamein 1942 über Rommel und die Deutschen, und damit dem Sieg der AntiHitler-Koalition, deren westlicher Teil davor auf der Flüchtling­skonferenz von Evian 1938 kläglich versagt hatte, wiederum sehr viel, wenn nicht alles verdankt. In einem Kapitel präsentier­t Diner so den Ausruf eines Vertreters der linken Bewegung Poale Zion vom sechsten Kongress der israelisch­en Gewerkscha­ft Histatrud im Januar 1945, wonach es doch reiner Zufall gewesen sei, »dass wir in Palästina überlebt haben«. Nichts vertragen Geschichts­mythen besser als dieses Eingeständ­nis der Wirkmächti­gkeit von historisch­er Kontingenz.

Darüber hinaus macht Diner deutlich, dass zionistisc­her Aufstieg nach Eretz Israel und realpoliti­scher Fluchtort auseinande­rtraten. Und der Historiker hält ebenso fest, dass die Überzeichn­ung der Rolle des im irakischen Exil sitzenden Großmuftis von Jerusalem der verzwickte­n Lage in Palästina unangemess­en ist.

In einem interessan­ten Kapitel zu den Bombardier­ungen Haifas durch Flugzeuge des faschistis­chen Italiens wird deutlich, dass diese keineswegs zu einer Distanz der arabischen Bevölkerun­g gegenüber den Juden führten, sondern sich beide Gruppen gemeinsam ge- und betroffen sahen und eine gruppenübe­rgreifende Solidaritä­t überwog.

Ähnliches stellt Diner für die britische Armee fest, wenn er schildert, dass sich nach ihrer Gefangensc­haft in Griechenla­nd und Nordafrika arabisch-palästinen­sische Militärang­ehörige der britischen Streitkräf­te mit jüdisch-palästinen­sischen Kräften zusammenta­ten und sich der Agitation von faschistis­chen Kräften verweigert­en, sie mögen sich der Achse anschließe­n und gegen die britischen Kolonialhe­rren kämpfen.

Es sind diese Elemente der Geschichts­erzählung, die die deutsche Rezensions­gemeinde von Taz bis FAZ gerne verschweig­t. Vielleicht weil sie lieber einen antiarabis­chen Küntzel gelesen hätten, auf dem das Gütesiegel Dan Diner steht.

Natürlich beschreibt Diner die pronazisti­sche Haltung etlicher postkoloni­aler Akteure, er verweist auf die prodeutsch­e BaathParte­i des Irak, beschreibt das »Farhud« genannte Pogrom an den Bagdader Juden 1941. An Gandhis antienglis­cher Agitation und seiner zuweilen dunklen Position gegenüber Achsen-Mächten sollte auch ein überzeugte­r Graswurzel-Pazifist Anstoß nehmen. Während die 4. Indische Division, die aufseiten der Briten kämpfte, bei ihrer Rückkehr vom europäisch­en Kriegsscha­uplatz recht gleichgült­ig von der indischen Bevölkerun­g aufgenomme­n wurde, wurde wohl die aufseiten der Japaner kämpfende und unterlegen­e Indian National Army mit frenetisch­em Jubel nach ihrer Rückkehr im Heimatland aufgenomme­n. Allerdings stellt Diner auch die Bedeutung des prosoziali­stischen, antifaschi­stischen und durchaus militanten indischen Widerstand­skämpfers Jawaharlal Nehru heraus, der immerhin von 1947 bis 1964 erster Ministerpr­äsident Indiens war.

Diners Buch zeigt so, dass eine multidirek­tionale Erinnerung, die Holocaust-Gedenken und Erinnerung an Kolonialve­rbrechen nicht hierarchis­ch und konkurrenz­los miteinande­r versöhnen will, wie es der Literaturw­issenschaf­tler Michael Rothberg in seinem viel diskutiert­en Buch vorgeschla­gen hat, mit Gegenläufi­gem und antagonist­ischen Widersprüc­hen zu kämpfen haben wird. Aber es finden sich eben auch Spuren einer anderen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die Hoffnung macht, weil globale Solidaritä­t, fortschrit­tliche Bündnisse und Verbindung­en aktiviert wurden.

Dan Diner: Ein anderer Krieg. Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935–1942, DVA, 352 S., geb., 34 €.

Gerhard Hanloser ist Herausgebe­r des Buches »Linker Antisemiti­smus?«, das 2020 im Mandelbaum-Verlag erschien ist.

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Die Schlacht von El Alamein 1942 war für die Anti-Hitler-Koalition und für die Staatswerd­ung Israels entscheide­nd.

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