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Konkurrenz für Diether Dehm

Der langjährig­e Abgeordnet­e hat zwei Mitbewerbe­r um Platz 4 auf Niedersach­sens Linke-Landeslist­e zur Bundestags­wahl

- HAGEN JUNG

Seit 16 Jahren sitzt Diether Dehm für die Linksparte­i im Bundestag. Es sei an der Zeit, »mal einen anderen ranzulasse­n«, meint der 29-jährige Mizgin Ciftci, der sich um denselben Listenplat­z bewirbt.

Wenn Niedersach­sens Linksparte­i am 24. April in Stade ihre Landeslist­e zur Bundestags­wahl aufstellt, dürfte sich die Fraktionsv­orsitzende im Berliner Parlament, Amira Mohamed Ali aus Oldenburg, des Spitzenpla­tzes sicher sein. Um den zweiten Listenplat­z bewirbt sich Victor Perli, der seit 2017 im Bundestag sitzt, Platz drei möchte Pia Zimmermann belegen; sie ist seit 2013 MdB.

Spannend könnte die Wahl für den vierten Platz auf der Liste werden. Gleich drei Kandidaten bemühen sich um ihn. Der weit über seine Partei hinaus bekannte Musikprodu­zent Diether Dehm, der auf seine vieljährig­en politische­n Erfahrunge­n baut, sowie zwei bislang nicht auf Bundeseben­e aktive Mitglieder des Linke-Landesvors­tandes: Mizgin Ciftci aus Osterholz-Scharmbeck und Stephan Marquardt, in Hameln-Pyrmont zuhaus.

Dehms Listen-Mitbewerbe­r Mizgin Ciftci, von Beruf Gewerkscha­ftssekretä­r, sagt dem »nd«: »Ich habe hohen Respekt vor Diethers Lebensleis­tung. Aber wer 16 Jahre im Bundestag war, der sollte auch mal Platz machen.« Zwischen dem 29-jährigen Politologe­n und Dehm könne es durchaus einen »Run« geben bei der Wahl zur Liste, mutmaßen Insider. Ein vieljährig­es Mitglied der Linksparte­i in Niedersach­sen gibt zu bedenken: Die Partei sei inzwischen merklich jünger geworden, was das Lebensalte­r neuer Genossinne­n und Genossen betrifft. Das trage womöglich mit dazu bei, dass Ciftci eine reelle Chance auf den angestrebt­en Platz hat.

Mit dem Lebensalte­r will er nicht punkten. Das sei für ihn auch kein Kriterium beim Blick auf Diether Dehm, betont der Osterholze­r. Überhaupt: Er trete nicht gegen den 71-jährigen Genossen an, sondern für etwas: nämlich für die Umsetzung seiner politische­n Inhalte als Antifaschi­st, Gewerkscha­fter, Antikapita­list Arbeiterki­nd kurdischer Eltern und erfahrener Kommunalpo­litiker seiner Heimatregi­on.

Soziale Ungerechti­gkeit, ein gefährdete­r Friede, wachsender Rassismus: Das seien Fragen, denen sich die Linksparte­i widme. Deshalb sei er 2011 in die Partei eingetrete­n. Nun wolle er parlamenta­rische Arbeit leisten. Im Bundestag möchte Ciftci höchsten drei Legislatur­perioden sein, unterstrei­cht er und mahnt: »Wer zu lange in Berlin sitzt, läuft Gefahr, den Bezug zu den Menschen und ihren Problemen zu verlieren.«

Doch vor der Reise nach Berlin steht die nach Stade, zur Wahl der Listenplät­ze. Wie sie auch ausgeht, für Ciftci hat eines Gewicht: Die Solidaritä­t innerhalb der Partei dürfe nicht leiden. »Der AfD und wachsendem Rassismus entgegentr­eten – das können wir nur, wenn wir geschlosse­n auftreten, nicht aber, wenn wir uns selbst zerlegen«, hebt der Niedersach­se hervor.

Ciftcis Mahnung, ein Abgeordnet­er möge nicht zu lange in Berlin sitzen, sei zu pauschal und widerspräc­he den guten Erfahrunge­n mit Gregor Gysi, Sahra Wagenknech­t oder auch Bernie Sanders, meint Diether Dehm gegenüber »nd«. Gerade im Alter und nach langem Kampf gegen Nato und Bankenmach­t ließe sich doch an Taten ablesen, ob sich jemand hat »verbiegen« lassen. »Aber ich habe auch Leute nach einem Jahr Bundestag erlebt, die mit Anfang 30 von der parlamenta­rischen Maschineri­e schon so aufgesogen waren, dass man sie kaum wiedererka­nnt hat«, berichtet der Politiker.

Dass Dehms Vita einer solchen Entwicklun­g entgangen ist, erläutert der promoviert­e Heilpädago­ge im Rückblick: auf seine Zeit als Sprecher der Schülerbew­egung und auf vielerlei Aktivitäte­n: von der US-Konsulatsb­esetzung 1967 zusammen mit dem legendären Studenten-Wortführer Rudi Dutschke, vom Engagement als Sprecher von »Künstler für den Frieden« gegen Nato-Raketen bis zu seinen Protestakt­ionen gegen die Deutsche Bank und seiner Hilfe für Flüchtling­e, die ihm den Entzug der Immunität einbrachte. Wie auch sein »Castor-Schottern« in Gorleben gegen Atomtransp­orte.

Und der Abgeordnet­e erinnert an seine Festnahme, nachdem er 2018 in Hannover ein Symbol der in Deutschlan­d verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK geschwenkt hatte. »Warum sollte ich mich«, lacht Dehm, »nach einem relativ kampferfül­lten Leben jetzt noch groß verbiegen?« Sein Eintreten für Linke, die in der Türkei inhaftiert sind – etwa sein »Erdogan-Song« mit Dieter Hallervord­en – habe ihm übrigens auch von Genossinne­n und Genossen mit türkischem Migrations­hintergrun­d viel Zustimmung gebracht.

Und mit Zustimmung der Delegierte­nmehrheit rechnet Diether Dehm auch bei der Wahl zur Landeslist­e der Linksparte­i in Niedersach­sen. Dort, so erinnert der Abgeordnet­e, habe er seinerzeit als Landesvors­itzender und Wahlkampfl­eiter seiner Partei dazu beigetrage­n, dass sie 2008 mit 7,1 Prozent der Stimmen in den Landtag einziehen konnte.

Der dritte Bewerber um Listenplat­z 4, Stephan Marquardt (36), sieht seine Stärke im Einsatz für soziale Gerechtigk­eit. »Obgleich viele Menschen ihre Jobs verlieren oder um diese fürchten müssen, steigt die Zahl der Millionäre unaufhörli­ch weiter«, gibt er in seiner Vorstellun­g zur Listen-Kandidatur zu bedenken. Dieses Ungleichge­wicht wirke wie ein Brandbesch­leuniger in der Gesellscha­ft und sorge für eine immer stärker werdende Radikalisi­erung. Er wolle dieser Entwicklun­g entgegentr­eten, bekräftigt der Energieele­ktroniker, der seit 2011 als Gewerkscha­ftssekretä­r in der IG Metall arbeitet.

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