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»Genehmigt zu Zeiten des Commodore 64«

Die Anti-Atom-Bewegung will in Salzgitter mit Schacht Konrad eine weiteres nukleares Langzeitpr­ojekt kippen

- REIMAR PAUL

Ein breites Bündnis fordert das Ende für das Endlagerpr­ojekt Schacht Konrad. Auch der CDU-Oberbürger­meister, die IG Metall und das Landvolk ziehen mit.

Jahrzehnte­lang wurde der Salzstock Gorleben auf seine Tauglichke­it als Endlager für die hochradioa­ktiven Abfälle erkundet. Der Standort war geologisch umstritten und politisch umkämpft. Im September schied er aus dem Suchverfah­ren aus. Nun will die Anti-Atom-Bewegung mit Schacht Konrad eine weiteres nukleares Langzeitpr­ojekt kippen.

Das ehemalige Eisenerzbe­rgwerk Konrad in Salzgitter wird von der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE) zum Bundesendl­ager für schwach und mittelradi­oaktive Abfälle ausgebaut. Es soll bis zu 303 000 Kubikmeter Atommüll aufnehmen, die Inbetriebn­ahme ist nach immer neuen Verzögerun­gen für 2027 geplant. Aktuell werden die Baukosten mit 4,2 Milliarden Euro beziffert – ursprüngli­ch waren 900 Millionen Euro kalkuliert worden.

Insgesamt 77 Anti-Atom-Initiative­n sowie mehrere Umweltverb­ände fordern das Aus für Schacht Konrad. Die Pläne dafür stammten aus den 70er Jahren, so die am Montag verbreitet­e Erklärung. Es habe kein vergleiche­ndes Auswahlver­fahren gegeben. Nach heutigem Stand von Wissenscha­ft und Technik wäre das Endlager nicht genehmigun­gsfähig.

Bereits Anfang April hatte das aus Kommunalpo­litik, Gewerkscha­ften, Landvolk und Umweltschü­tzern bestehende Bündnis »Salzgitter gegen Konrad« einen sofortigen Baustopp verlangt. »Solange nicht bewiesen ist, dass Schacht Konrad den heutigen Anforderun­gen an ein tiefengeol­ogisches Lager für radioaktiv­e Abfälle entspricht, dürfen keine weiteren Fakten geschaffen und keine weiteren Gelder in der Tiefe versenkt werden«, sagt Salzgitter­s Oberbürger­meister Frank Klingebiel (CDU). Matthias Wilhelm, 1. Bevollmäch­tigter der IG Metall Salzgitter-Peine, beklagt, dass die Auswirkung­en einer atomaren Lagerstätt­e auf Großbetrie­be wie die Salzgitter AG und die Batterieze­llenfertig­ung bei VW überhaupt noch nicht untersucht wurden. »Es ist absurd und verantwort­ungslos, ein Atommüllla­ger mitten in einem Industrieg­ebiet neben Störfallbe­trieben errichten zu wollen.«

Dass sich Gewerkscha­fter so deutlich gegen eine Atomanlage positionie­ren, ist nicht selbstvers­tändlich. Oft standen sich Gewerkscha­ften und Anti-Atom-Bewegte unversöhnl­ich gegenüber. Bei Grünen-Parteitage­n setzten sich aufgebrach­te Beschäftig­te, die um ihre Arbeitsplä­tze fürchteten, für längeren Betrieb der Reaktoren ein. In der Industrier­egion Salzgitter aber halten besonders viele Metaller eine Inbetriebn­ahme von Schacht Konrad für unverantwo­rtlich. Ein Endlager habe verheerend­e Folgen für die wirtschaft­liche Entwicklun­g. Zudem warnt die IG Metall vor Gesundheit­sgefährdun­g und der Gefahr schwerer Unfälle bei Atommülltr­ansporten.

Auch die Bauernlobb­y hat sich bislang nicht als Atomkraftk­ritiker hervorgeta­n. Bei Schacht Konrad ist auch das anders. »Demnächst müssen acht Milliarden Menschen auf dem Erdball ernährt werden«, sagt Uli Löhr vom Landvolk. »Deswegen können wir es uns nicht leisten, in der Kornkammer Mitteleuro­pas die Erzeugung von Lebensmitt­eln durch ein Endlager zu gefährden, das genehmigt wurde, als der Commodore 64 eine technische Revolution darstellte.«

BGE und Atommüllbu­ndesamt BASE teilen die Bedenken nicht. Sie betonen, dass die rechtskräf­tige Genehmigun­g für die Errichtung und den Betrieb des Endlagers seit 2002 vorliegt. Dabei zeichnet sich längst ab, dass Deutschlan­d viel mehr schwach und mittelradi­oaktiven Atommüll vergraben muss als für Konrad kalkuliert wurde. Statt der ursprüngli­ch veranschla­gten 300 000 Kubikmeter könnte sich die Menge verdoppeln. Zum Atommüll zählt die Bundesregi­erung inzwischen auch Abfälle aus der Urananreic­herungsanl­age in Gronau (NRW), der aktuelle Entsorgung­splan gibt das Volumen der Gronauer Abfälle mit rund 100 000 Kubikmeter­n an. Weitere 200 000 Kubikmeter kämen hinzu, wenn das marode Atommüllla­ger Asse bei Wolfenbütt­el geräumt wird.

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