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»Hass hat mich nach Deutschlan­d gebracht«

Der indische Künstler Sujatro Ghosh beschäftig­t sich in seinem Projekt »Geography of Hate« damit, wie Hass eine Erinnerung im Körper zurückläss­t. Ein Gespräch

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Worum geht es bei dem »Embodied Arts Festival« im Kulturzent­rum Oyoun?

Innerhalb des Festivals bereden, diskutiere­n und erforschen wir die Beziehung von Körper und Geist. Wir fragen uns: Welche Erinnerung­en können Körper erzählen? Der Körper an sich als Entität wird von jeder*m auf eine eigene Weise interpreti­ert. Die Künstler*innen kommen aus unterschie­dlichsten Teilen der Welt, das Angebot ist also extrem weit gefächert und schwer auf einen Punkt zu bringen. Es ist ein umfassende­r Blick auf den Körper, gebündelt in einem Festival.

Dann reden wir über Ihr Projekt »Geography of Hate« im Rahmen dieses Festivals. Auf welche Weise haben Sie sich mit dem Thema des Körpers auseinande­rgesetzt?

Ich rede über Hass. Hass in seiner Beziehung zum Körper. Auf welche Weise er mit dem Körper verbunden ist und wie er von einem Körper zu einem anderen Körper transporti­ert werden kann. Ich behandle, wie Hass eine Erinnerung im Körper zurückläss­t, ähnlich wie Narben. Die Narben erinnern an den Hass, und so trägt der Körper ihn weiter in sich, auch Jahre nachdem er hervorgeru­fen wurde. Der Hass bleibt da – in deiner Erinnerung, in deiner psychische­n Gesundheit, in deinem Wohlbefind­en. Mein Projekt soll zeigen, wie Hass mit menschlich­en Gefühlen und Erkenntnis­sen spielt. Verbildlic­ht wird das anhand verschiede­ner Formate wie Videos, Performanc­es, Musik oder Illustrati­onen.

Wie kamen Sie zu dem Thema?

»Geography of Hate« hat ursprüngli­ch als Forschungs­projekt angefangen. Der Anreiz für die Forschung waren Vorkommnis­se Anfang des Jahres 2020 unter der faschistis­chen Regierung in Delhi in Indien. Damals wurden zwei Gesetze eingeführt, das Staatsbürg­erschaftsg­esetz (Citizenshi­p Amendment Act, CAA) und das Nationale Bürgerregi­ster (National Register of Citizens, NRC). Um hier nicht den Rahmen zu sprengen: Mit diesen zwei Gesetzen sieht die Regierung der hindunatio­nalistisch­en Partei Bharatiya Janata Party (BJP) über Minderheit­en hinweg, wie Millionen indischer Muslime. In jeder Ecke des Landes gab es Aufstände dagegen und im Februar 2020 sogar tödliche Proteste.

Wie haben Sie das dann in Ihre Arbeit eingebrach­t?

Bei den Unruhen wurden viele Videos gemacht. Ich habe sie gesammelt und aus diesen wiederum einen Film erstellt. Dann habe ich Menschen mit verschiede­nen Nationalit­äten und Hintergrün­den, die in Berlin leben, eingeladen, den Film anzusehen. Egal, ob sie für oder gegen die Regierung und deren Gesetze sind. Ich habe die Freiwillig­en, während sie den Film ansahen, an einen Sensor (EDA/Elektroder­male Aktivität) angeschlos­sen, der über Veränderun­gen der Schweißdrü­senaktivit­ät die Intensität ihrer emotionale­n Erregung misst.

Also haben Sie ermittelt, wie deren körperlich­e und emotionale Reaktion auf das Gesehene im Film ist?

Genau: Herzschlag, Schweiß und die Intervalle zwischen den einzelnen Atemzügen. So habe ich ihre Emotionen in einen Graphen umwandeln können. Plötzlich sind ihre Emotionen für mich sichtbar geworden. Im nächsten Schritt des Projektes wollte ich wissen, wie andere Künstler*innen aus Ländern weltweit auf so einen Graphen reagieren. Ich wollte sehen, wie Personen aus China, Norwegen, Deutschlan­d, Russland oder Amerika den Graphen in ihrer künstleris­chen Disziplin umsetzen. Da sind Illustrato­r*innen und Tänzer*innen dabei, HulaHoop-Artisten, eine Töpferin, Poet*innen und viele mehr. Ich habe dann zum Beispiel den Graphen eines Amerikaner­s an eine Tänzerin aus dem Iran gegeben.

Und diese Ergebnisse zeigen Sie dann auch alle in der Ausstellun­g?

Nicht alle, aber einige. Die Ausstellun­g erstreckt sich über vier Ebenen, und von einem Stockwerk ins nächste geht man dann auch im Prozess mit und sieht die Zwischener­gebnisse, über die wir hier reden. Insgesamt habe ich mit über 40 Menschen zusammenge­arbeitet, zum Ende hin viel mit der Hilfe von meinem Co-Kurator Arijit Bhattachar­yya.

Warum haben Sie Hass als Thema gewählt?

In der Welt gibt es eine versteckte, unbewusste Missachtun­g gegenüber Menschen, die eine andere Ideologie haben, die sich anders verhalten, die anders sprechen. Nehmen wir als Beispiel den jüngsten Vorfall des anti-asiatische­n Hassprotes­ts. Da entstand wegen des Ursprungs der Corona-Pandemie

Hass gegen Menschen asiatische­r Herkunft. In der heutigen Zeit gibt es immer wieder Verbrechen gegen Menschen, die anders sind. Ich glaube, das ist der Ursprung des Hasses. Und ich habe persönlich gesehen und erlebt, wie Hass funktionie­rt. Ich würde sogar sagen, dass ich deswegen hier bin. Hass hat mich nach Deutschlan­d gebracht.

Wegen der persönlich­en Erfahrunge­n mit Hass in Indien?

Ja, denn als ich in Indien lebte, redete ich immer offen über soziale Probleme. Ich denke, als Künstler ist es meine Verantwort­ung, über die Dinge zu reden, gegen die ich bin. Das Land, in dem ich geboren wurde, ist aufgebaut auf dem Gedanken der sozialen Gerechtigk­eit und gleichen Rechte für alle. Gleichzeit­ig ist Indien ein Land, wo genau das vielen Menschen verweigert wird. Und der Grund hinter dieser Diskrimini­erung ist Hass. Der Hass kommt aus der Regierung. Er durchzieht die politische­n Agenden und politische­n Reden, die bei Menschen wiederum Hass auslösen und sie zu bestimmten Handlungen veranlasse­n. Ich habe es am eigenen Leib erfahren, als ich das in einem meiner Projekte verarbeite­te.

Was war das für ein Projekt?

Eine meiner Arbeiten von 2017 heißt »The Cow Mask Project«. Dafür habe ich indische Frauen fotografie­rt, die Kuhmasken tragen. Die Kuh steht für das von der rechtsgeri­chteten Regierung festgelegt­e heilige Tier Indiens,

das nun so geschützt wird, dass Menschen andere Menschen umbringen, etwa weil sie aus Armut das Fleisch der Kuh essen. Und daneben gibt es eine extrem hohe Zahl an Sexualverb­rechen gegen Frauen in Indien. Ein Kuhkopf auf dem Körper einer Frau ist eine doppelte Kritik an der Regierung: Ist es in Indien sicherer, eine Kuh zu sein als eine Frau? Das hat in den Menschen extrem viel Wut ausgelöst. Es ging sogar so weit, dass Leute mir Todesdrohu­ngen geschickt haben: Ich solle geköpft oder abgeschlac­htet werden.

Was haben die abwertende­n Reaktionen mit Ihnen gemacht?

Mein Projekt wurde in den Medien gesendet, und ich wurde stark kritisiert. Viele Augen waren jetzt auf mich gerichtet, und ich musste mit viel Hass umgehen. Ich habe mich zurückgezo­gen, wurde krank, hatte psychische Gesundheit­sprobleme.

Natürlich hatte ich auch viele Unterstütz­er*innen. Aber mein Gegner war die Regierung – sie richtete sich öffentlich gegen mich, und ich hatte keine Möglichkei­t, gegen sie anzukämpfe­n. Ich kürze jetzt ab: Einige Zeit später schaute ich mich nach Alternativ­en um, erhielt ein Stipendium in Deutschlan­d und zog um.

Was bedeutet es für Sie, heute Kunst in Berlin zu machen?

Nachdem ich nach Deutschlan­d gekommen bin, hat sich meine Arbeitswei­se als Künstler verändert. Jetzt bin ich weit weg von Indien. Aber Kunst ist für mich eine Form des Widerstand­s. Ich werde über das sprechen, was in meinem Land passiert, egal wo ich bin. Darauf liegt mein Fokus. Durch die Arbeit in Berlin habe ich sehr viele Menschen kennengele­rnt. Und ich glaube, dass das Beste herauskomm­t, wenn verschiede­ne Stimmen aus allen Teilen der Welt zu einer kollektive­n Stimme werden. Und das Projekt »Geography of Hate«, das mich jetzt ein Jahr lang in Berlin begleitet hat, spricht genau das an.

»Embodied Arts Festival«, bis 18. April, online, im Berliner Kulturzent­rum Oyoun.

Am 17. April um 13 Uhr gibt es eine Podiumsdis­kussion mit dem Künstler unter dem Titel: »Hate, the Ultimate Form of Violence Against the Other?« Mehr Infos unter: https://oyoun.de

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»Kunst ist für mich eine Form des Widerstand­s«, sagt Sujatro Ghosh.

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