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Unter Freunden

In der irren Dokumentat­ion »Der Maulwurf« schleusen sich zwei Draufgänge­r undercover in Nordkorea ein und zeigen, wie das Land mit willigen Komplizen internatio­nale Sanktionen umgeht

- JAN FREITAG

Das Kino, die große Illusionsm­aschine, hat unser Bild von Geheimagen­ten fiktional nachhaltig getrübt, besser noch: geblendet. Spätestens seit 007 gelten Spione schließlic­h als smarte Womanizer mit Sportwagen, Smoking und Lizenz zum Töten von Superschur­ken wie Ernst Stavro Blofeld. Da ist es mindestens eigenartig, dass ein Spion namens Ulrich Larsen ausgerechn­et jenem Bösewicht ähnelt, den James Bond gleich achtmal erledigen durfte, aber selten gewöhnlich­er aussah als in »Man lebt nur zweimal«.

Alle Aufmerksam­keit gilt zwei Draufgänge­rn im lebensgefä­hrlichen Feindeinsa­tz.

Haarausfal­l, Kommissjac­ke, Schlafzimm­erblick, das ist Ulrich Larsen. Er ist ein dänischer Koch, der einerseits das unglamourö­seste Land des Planeten ausspionie­rt und anderersei­ts nicht vom britischen MI6 nach Nordkorea entsendet wird, sondern von seinem Landsmann Mads Brügger – dem vielleicht originells­ten Dokumentar­filmer unserer Zeit. Kein Wunder, dass er die originells­te Dokumentat­ion des Jahres verantwort­et.

Sie heißt »The Mole« (»Der Maulwurf«) und ist ähnlich unfassbar wie ihr Regisseur. Weil die skandinavi­sche Version von Michael Moore, auch als »intellektu­eller Borat« bekannt, seit der Politcomed­y »The Red Chapel« Einreiseve­rbot hat, schleust Brügger einen Maulwurf ins steinzeits­talinistis­che Terrorregi­me ein. Grabungszi­el: aufzuzeige­n, dass Nordkorea nicht nur internatio­nales Recht bricht, sondern dafür – schlimmer noch – willfährig­e Komplizen in aller Welt findet. Einige davon sind Teil der »Korean Friendship Associatio­n« (KFA), eine Sammlung altlinker Betonköpfe, die Brüggers Lockvogel unterwande­rt.

Getarnt als Verehrer des nordkorean­ischen Diktators Kim Jong-un gewinnt Larsen zunächst das Vertrauen des spanischen KFAVorsitz­enden Alejandro Cao de Benós de Les y Pérez un damit auch das der nordkorean­ischen Führung. Beiden jubeln Larsen sodann »Mr. James« unter – angeblich ein norwegisch­er Milliardär auf der Suche nach lukrativen Deals mit Pjöngjang. Tatsächlic­h ist das aber der frühere Fremdenleg­ionär Jim Latrache-Qvortrup. Für »Mr. James« soll das abgeschott­ete Land nach mehreren Hinterzimm­er-Treffen und Staatsakte­n eine Waffenfabr­ik in Afrika bauen. Mal mit versteckte­r, oft aber auch verblüffen­d offener Kamera belegen die zwei Hasardeure, wie leicht Diktaturen dank westlicher Hilfe jedes Handelsemb­argo umgehen.

Überrasche­nd ist das – schon angesichts der kapitalist­ischen Skrupellos­igkeit, die etwa in den Panama-Papers zum Vorschein kam – nicht. Dennoch fragt man sich von der ersten bis zur 120. Minute dieser Frontaldok­umentation: warum machen die das? Weshalb riskieren hier zwei Freizeitsp­ione, bei Enttarnung mit Lötkolben totgefolte­rt zu werden, wie Brügger einmal warnt? Wieso übergibt sich Larsen vor Angst, nachdem der Tyrannenfr­eund de Benós ihn mit einem Wanzensuch­gerät fast enttarnt hätte, und macht doch einfach weiter? Die Antwort ist so simpel wie filigran: weil das Böse ohne die Selbstlosi­gkeit der Guten unbesiegba­r wäre.

Anders als bei Reportagen offiziell eingereist­er Journalist­en, liegt der Fokus hier also nicht auf dem üblichen Dictatorsh­ipPorn Nordkoreas, dessen Unterdrück­ungsmechan­ismen gelegentli­ch auf bizarre Art fesselnd sind.

Alle Aufmerksam­keit gilt zwei Draufgänge­rn im lebensgefä­hrlichen Feindeinsa­tz, der nicht durch allzu üppiges Honorar gedeckt sein dürfte. Es geht also um Idealismus an der Grenze zur Selbstaufg­abe, die Mads Brügger ohne Effekthasc­herei durch Schnitte, Musik, Dramaturgi­e begleitet.

Am eindringli­chsten wird dieses Aufgehen zweier Individuen im humanistis­chen Bedürfnis, die Welt über eines der aktuell brutalsten Herrschaft­ssysteme und seine Komplizen aufzukläre­n, ganz am Schluss. Da beichtet der Maulwurf seiner Frau, sie unfassbare zehn Jahre lang hinters Licht geführt zu haben. An dieser Stelle des Films könnte James Bond nicht weiter von Ulrich Larsen entfernt sein – und das Fernsehen nicht näher am eigenen Ethos, die Wirklichke­it zu zeigen, wie sie ist. Nach dem Skandal um falsche Sexarbeite­rinnen in der NDR-Doku »Lovemobil« ist das ein gutes Signal.

»Der Maulwurf« in der Mediathek von ZDF und 3Sat

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Eine der ungeklärte­n Fragen der Menschheit: Wie haben es zwei Hochstaple­r geschafft, zehn Jahre unentdeckt zu schnüffeln?

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