nd.DerTag

Maulwurfsa­rbeit Beratung

Beratungss­tellen gegen Rechtsextr­emismus wünschen sich mehr Rückhalt

- ULRIKE WAGENER

ReachOut, die Mobile Beratung gegen Rechtsextr­emismus und das Mobile Beratungst­eam für Demokratie­entwicklun­g feiern ihren 20. Geburtstag. Sie fordern von der Politik mehr Planungssi­cherheit.

»Mobile Beratungsa­rbeit wird wohl weiterhin eine Maulwurfsa­rbeit bleiben«, sagt Ann-Sophie Susen vom Mobilen Beratungst­eam Berlin für Demokratie­entwicklun­g am Mittwoch – eine niemals endende Arbeit im Hintergrun­d. Vor 20 Jahren wurde ihr Projekt, ebenso wie die Opferberat­ungsstelle ReachOut und die Mobile Beratung gegen Rechtsextr­emismus, im Rahmen des CivitasFör­derprogram­ms der Bundesregi­erung gegründet. Das Programm zielte auf die Beratung von Opfern rechtsextr­emer Straf- und Gewalttate­n in Ostdeutsch­land. Spätestens seit den rechtsterr­oristische­n Angriffen in Hanau und Kassel ist aber – mal wieder – klar: Rechte Gewalt ist kein ostdeutsch­es Problem.

»Rassismus und Antisemiti­smus auf der Straße muss immer zusammenge­dacht werden mit den Strukturen in Politik und Gesellscha­ft.« Sabine Seyb Projektlei­terin von Reach Out

Und sie hat sich seit den »Baseballsc­hlägerjahr­en« verändert, genau wie der gesellscha­ftliche Umgang damit. Als positive Veränderun­g benennt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextr­emismus den Umstand, dass sich der Fokus von den Tätern hin auf die Bedürfniss­e der Opfer verschoben habe. Allerdings gebe es ein großes Problem mit Misstrauen gegenüber Demokratie­projekten. Das jüngste Beispiel dafür sei das blockierte Demokratie­förderungs­gesetz auf Bundeseben­e. Klose fühlt sich davon an die Extremismu­sklausel erinnert, die zivilgesel­lschaftlic­he Projekte pauschal unter Linksextre­mismusverd­acht stellte.

In Berlin gebe es solche Tendenzen zwar nicht. »Doch ich beobachte, dass dort, wo – besonders durch die AfD – versucht wird, die Arbeit von öffentlich­en Trägern zu diskrediti­eren, Kollegen und Kolleginne­n in anderen Bundesländ­ern nicht die ausreichen­de Rückendeck­ung durch Geldgeber erfahren«, so Klose. Sie kritisiert zudem, dass Politik und Verwaltung Demokratie­projekte zwar finanziert­en, im Ernstfall aber immer wieder zuerst auf die Polizei hörten – etwa bei den »Hygienedem­os« zu Beginn der Pandemie.

Die Beratungss­tellen wissen, dass staatliche Strukturen ein Teil des Problems sind. Fast jede Geschichte aus der Beratung von ReachOut sei auch eine Geschichte von institutio­nellem Rassismus, erklärt Projektlei­terin Sabine Seyb. »Rassismus und Antisemiti­smus auf der Straße muss immer zusammenge­dacht werden mit den Strukturen in Politik und Gesellscha­ft.« Für die Zukunft brauche es unabhängig­e Beschwerde­stellen, die es ermöglicht­en, institutio­nellen Rassismus in Polizei, Justiz und Schule aufzuzeige­n. Das neunköpfig­e Team von Reach Out hat seit der Gründung 1850 Ratsuchend­e in mindestens 9100 Fällen beraten. Zugleich verzeichne­te man 3800 Angriffe, Tendenz steigend. »Die Monitoring­stelle wird immer bekannter, also können wir annehmen, dass das Dunkelfeld immer kleiner wird«, so Seyb.

Bei der Gründung von ReachOut sei man von einer drei- bis vierjährig­en Arbeit ausgegange­n. Dass es sie nun schon seit 20 Jahren gibt, ist auch der Finanzieru­ng durch das Land Berlin zu verdanken. Allerdings: »Wir gelten immer noch als Projekt«, so Seyb. Damit sind regelmäßig­e Anträge verbunden. Sie wünscht sich künftig weniger Bürokratie und mehr Handlungss­icherheit bei der Finanzieru­ng.

Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne), der zu der Jubiläumsp­ressekonfe­renz eingeladen hatte, erklärt: »Dieser Bereich steht unter meinem persönlich­en Schutz«. Haushaltsk­ürzungen infolge der Corona-Pandemie sollen, geht es nach ihm, nicht die Arbeit der Beratungss­tellen gefährden. Von 2016 bis 2021 ist der Haushalt für das Landesprog­ramm »Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus« von 3,2 auf 8,97 Millionen Euro gestiegen. Davon gehen in diesem Jahr 611 228 Euro an ReachOut, 644 984 Euro an die Mobile Beratung gegen Rechtsextr­emismus und 396 503 Euro an das Mobile Beratungst­eam für Demokratie­entwicklun­g. Die drei Projekte erhalten zusätzlich Fördergeld­er aus dem Bundesprog­ramm »Demokratie leben!«

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In Friedrichs­hain hat ReachOut seit 2001 mindestens 345 Fälle dokumentie­rt.

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